Angesichts der hohen Energiepreise in Folge des Kriegs in der Ukraine hat sich die Ampel-Koalition erneut auf ein Maßnahmenpaket zur finanziellen Entlastung der Bürgerinnen und Bürger geeinigt. Dazu gehört neben der Senkung der Steuer auf Kraftstoffe unter anderem eine Einmalzahlung von 300 Euro für einkommensteuerpflichtige Erwerbstätige.
Veronika Grimm ist Wirtschaftswissenschaftlerin, Inhaberin des Lehrstuhls für Wirtschaftstheorie an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, der auch "die Wirtschaftsweisen" genannt wird. Die Maßnahmen des neuen Entlastungspakets hält sie größtenteils für richtig, die Aufnahme zusätzlicher Schulden sei aktuell nicht problematisch. Die Bundesregierung müsse aber dennoch gut haushalten. Die Senkung der Benzinpreise sei zudem aus der Zeit gefallen und kontraproduktiv. Vielmehr seien Anreize zum Energiesparen angebracht.
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Das Interview im Wortlaut:
Josephine Schulz: Wenn Sie sich dieses Maßnahmenpaket angucken, ist das für Sie dann kohärent, eine runde Sache, oder ist das eher ein wildes Sammelsurium?
Veronika Grimm: Das Paket ist sehr umfangreich und es ist auch sehr teuer. Beide Entlastungspakete zusammen umfassen ja ungefähr 30 Milliarden Euro und sie bestehen aus vielen Maßnahmen. Einige sind durchaus zu begrüßen, andere kann man kritisch sehen. Es ist, glaube ich, richtig, Menschen mit niedrigen Einkommen, bedürftige Menschen auch zu entlasten. Den ÖPNV zu vergünstigen, das ist ebenfalls richtig. Auch die Maßnahmen zur Förderung der Energieeffizienz, die sind sehr angebracht wegen der Klimaziele, die wir haben. Andere sind im Gegensatz dazu kontraproduktiv und da würde ich auch die Senkung der Benzinpreise benennen.
"Fiskalpolitischer Spielraum für Entlastungen ist da"
Schulz: Auf die einzelnen Punkte würde ich gerne gleich noch mal mit Ihnen gucken. Sie haben jetzt die Kosten angesprochen und gesagt, das wird ziemlich teuer. Ist es Ihrer Meinung nach zu teuer? Sind die Kosten zu hoch?
Grimm: Ja, es ist so, dass wir schon in die Coronakrise mit einem signifikanten fiskalpolitischen Spielraum gegangen sind. Der Schuldenstand war bei 60 Prozent und das ist auch deswegen so gewesen, weil die Regierungen immer gut gehaushaltet, die Staatsschulden niedrig gehalten haben. Insofern sind wir da gut aufgestellt und das ist auch immer noch so. Der Schuldenstand ist zwar angestiegen auf ungefähr 70 Prozent, aber wird jetzt durch diese Maßnahmen nicht noch mal signifikant ansteigen. Das heißt, fiskalpolitischer Spielraum für Entlastungen ist da, aber man muss trotzdem haushalten, denn alles, was der Staat ausgibt, das werden entweder die heutigen, oder die zukünftigen Steuerzahler tragen müssen. Insofern gilt es immer, dass man mit den Mitteln gut haushalten muss, aber es ist auch eine Zeit, in der wirklich hohe Belastungen gerade auftreten.
Schulz: Nochmal Ihre Position zur Klarstellung, weil viele Ökonomen sagen jetzt auch, Deutschland kann Schulden aufnehmen, das ist gar kein Problem, Deutschland kann sich günstig verschulden, hat eine stabile Wirtschaft, das macht nichts. Würden Sie das auch so sehen, oder sagen Sie, das wird schon problematisch mit den vielen zusätzlichen Schulden?
Grimm: Es wird in der aktuellen Situation nicht problematisch mit den zusätzlichen Schulden. Allerdings muss man immer haushalten, denn das ist ja ein Ausnahmezustand gerade, durch die Coronakrise, durch jetzt die zusätzliche Krise, die hinzukommt aufgrund des Krieges in der Ukraine. Da gilt es, die Menschen zu entlasten, im Gegenzug zu der nun schon länger anhaltenden Inflation. Insofern ist das gerechtfertigt. Das sollte auch so geschehen. Aber generell gilt es, dass der Staat tragfähige Staatsfinanzen herstellen muss und darauf achten muss, in wirtschaftlich guten Zeiten auch wieder zu konsolidieren, auch wieder zu sparen.
"Wenn die Löhne steigen, sieht die Lage anders aus"
Schulz: Was sagen Sie, wie lange kann man das aufrechterhalten, dieses Entlastungspaket, wenn sich jetzt beispielsweise an der Lage mit Russland nichts ändert?
Grimm: Das wird sich zeigen. Die Inflation hält zum Beispiel schon länger an und es ist jetzt auch davon auszugehen, dass die Inflation nicht so schnell zurückgeht, wie man sich das ursprünglich mal gewünscht hat. Generell ist es so, dass jetzt Entlastung angezeigt ist, aber es wird auch jetzt so sein, dass im Rahmen von Lohnverhandlungen zum Beispiel die Einkommen steigen werden. Es gab ja signifikante Verluste der Realeinkommen, einfach dadurch, dass wir jetzt schon sehr lange Preissteigerungen hatten. Die werden in den Lohnverhandlungen jetzt kompensiert werden in der nahen Zukunft, und das heißt, das Entlastungspaket ist jetzt angezeigt, aber wenn dann die Löhne sich angepasst haben, sieht diese Lage auch anders aus.
"Sinnvolles Vorgehen bei der Energiepauschale"
Schulz: Apropos Einkommen. Für Erwerbstätige, für Steuerpflichtige soll es ja pro Kopf 300 Euro geben. Das muss dann aber wiederum auch versteuert werden. Kommt am Ende bei den meisten überhaupt relevant etwas an?
Grimm: Ja, das ist eigentlich ein sinnvolles Vorgehen, denn idealerweise möchte man ja ein Energiegeld oder eine Zahlung an die Menschen, die nur denjenigen zugutekommt, die die Härten der Kostensteigerungen nicht oder nur sehr schwer tragen können, den unteren Einkommen, einem Teil der mittleren Einkommen vielleicht und den Transferempfängern. Aber das so zielgerichtet auszuzahlen, ist gar nicht so einfach, und die beschlossene Vorgehensweise, die Zahlung mit dem Einkommen zu versteuern, zum jeweiligen Grenzsteuersatz, führt dazu, dass die Menschen mit niedrigem Einkommen, die auch nur einen geringen Grenzsteuersatz haben, nur einen geringeren Teil davon versteuern als solche mit hohem Einkommen, die dann ungefähr die Hälfte, nicht ganz die Hälfte zurückzahlen, und das geht genau in die gewünschte Richtung. Dadurch, dass man es versteuert, und dadurch, dass man es zu seinem Grenzsteuersatz versteuert, zahlen Besserverdienende mehr davon wieder zurück mit der Steuer und bekommen somit weniger Zuschüsse, und das ist, glaube ich, das, was man damit erreichen wollte und das ist auch sehr zielführend.
Schulz: Aber wenn Sie sagen, das ist sozial gerecht, dann könnte man ja auch sagen, warum bekommen die Besserverdienenden überhaupt irgendwas? Man hätte ja auch eine Grenze einziehen können und sagen können, ab 4000 Euro Brutto gibt es nichts, weil die Menschen brauchen das nicht.
Grimm: Meine Vermutung ist, dass man das nicht tut, weil das sehr, sehr schwer umzusetzen ist. Es ist schwierig, die Menschen zu identifizieren, die dann über diese geringen Einkommen verfügen, und das denen auch zukommen zu lassen in dem Tempo, in dem man das jetzt aktuell machen wollte. Man wollte ja schnell entlasten. Insofern ist dieser Weg ein pragmatischer, der mehr oder weniger das Ziel erfüllt. Die Transferempfänger musste man deswegen auch separat bedienen, weil über die Einkommen man die Transferempfänger nicht erreicht.
"Anzeichen, dass auch Besserverdienende in großem Umfang berücksichtigt werden"
Grimm: Die kriegen jetzt nur noch mal 100 Euro zusätzlich. Da kann man sich auch fragen, wie gerecht ist das, wenn die Menschen, die ein Einkommen haben, 300 kriegen, die, die wenig haben, Transferleistungen beziehen, kriegen 100 Euro.
Grimm: Ja! Ich glaube, da muss man in das gesamte Paket gucken. Sie hatten ja am Anfang schon gesagt, das Paket ist recht komplex. Zum einen müssen die 300 Euro ja versteuert werden. Das heißt, Besserverdienende kriegen wirklich deutlich weniger als 300 Euro dann raus. Es gibt noch Zuschläge für Kinder, aber auch Zahlungen an Bedürftige, die noch hinzukommen. Es gibt aber auch Zahlungen an Besserverdienende. Zum Beispiel werden ja durch den niedrigen Kraftstoffpreis stärker sehr gut Verdienende begünstigt, weil die mehr Auto fahren. Das Paket ist sehr komplex. Ich glaube, die Verteilungswirkungen sind jetzt auf die Schnelle sehr schwer abzuschätzen. Aber es gibt schon Anzeichen, dass hier auch Besserverdienende in relativ großem Umfang berücksichtigt werden.
"Renten steigen zum 1. Juli kräftig an"
Schulz: Ich habe auch gelesen, es gab Menschen, die geschrieben haben, da wurden relevante Gruppen vergessen wie zum Beispiel die Rentner, die Studierenden, die kein BAFÖG bekommen, die Azubis. Hat man die tatsächlich vergessen?
Grimm: Einige der Zuschüsse, die richten sich ja durchaus auch an Auszubildende, an Azubis, an Studierende, die BAFÖG bekommen. Bei den Rentnern scheint es mir tatsächlich so, dass es da eine Lücke gibt. Allerdings ist es ja so, dass die Rentenzahlungen zum 1. Juli kräftig steigen, um ungefähr sechs Prozent. Vielleicht kann das einer der Gründe sein, warum man da Zurückhaltung hat walten lassen, aber das ist jetzt reine Spekulation.
"Benzinpreise zu subventionieren ist kontraproduktiv"
Schulz: Sie haben schon gesagt, dass Sie die Entlastung beim Tanken nicht so sinnvoll finden. Werden damit auch indirekt die Mineralölkonzerne subventioniert?
Grimm: Erstmal fällt das ziemlich aus der Zeit, weil wir sollten ja jetzt Maßnahmen vorantreiben, die den Klimaschutz nicht konterkarieren. Und vor allen Dingen im Zuge der Diskussionen rund um den Ukraine-Krieg ist es ja nicht unwahrscheinlich, dass es zu einem Lieferstopp von russischen Energieträgern kommt, und dann würden fossile Energieträger extrem knapp werden. Das heißt, wenn wir jetzt die Benzinpreise subventionieren, günstiger machen, dann reduzieren wir ja auch den Nachfrageeffekt, der dadurch resultiert, dass die Preise von fossilen Energieträgern hoch sind, dass die Leute dann auch weniger fahren, mal auf das Auto verzichten, und das ist sehr kontraproduktiv. Das ist auch gefährlich in der aktuellen Situation, denn falls es zu einem Lieferstopp kommt, dann bräuchten wir diesen Nachfrageeffekt. So bitter das ist: Eigentlich müsste der Anreiz, wenig zu verbrauchen, aktuell bleiben in dem Bereich und man sollte anders entlasten und unterstützen. Aber jetzt ist das so geschehen. Ich halte das nicht für zielführend, das so zu machen. Das hätte man anders lösen sollen.
Schulz: Aber noch mal die Frage: Glauben Sie, dass das wirklich bei den Verbrauchern ankommt, die es vielleicht auch wirklich brauchen, ihr Auto auf dem Land, oder, dass dadurch die Profite der Mineralölkonzerne gestärkt werden?
Grimm: Ja, es ist immer so, dass solche Preissenkungen nicht vollständig und auch manchmal langsam weitergegeben werden. Das ist schwierig zu sagen. Bei der Mehrwertsteuersenkung haben wir gesehen, dass ein großer Teil weitergegeben wurde, aber auch nicht alles. Das bleibt abzuwarten. Auch aus dieser Perspektive dürfte diese Maßnahme nicht zielführend sein.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.