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Verkehrsminister Wissing (FDP)
"Mich überzeugen die Argumente der 'Letzten Generation' nicht"

Vor dem Treffen mit Klimaaktivisten der "Letzten Generation" verweist Verkehrsminister Wissing auf die Pläne der Bundesregierung in Sachen Klimaschutz. Die Vorschläge der Aktivisten seien "wenig sinnvoll". Er habe auch "null Toleranz" für Straftäter.

Volker Wissing im Gespräch mit Stefan Heinlein | 02.05.2023
Der Bundesminister für Verkehr und Digitales Volker Wissing während einer Pressekonferenz.
"Ich bin bereit zuzuhören", sagte Bundesverkehrsminister Wissing (FDP) im Dlf vor seinem Treffen mit Aktivistinnen und Aktivisten der "Letzten Generation" (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
Wissing (FDP) sagte im Dlf, in einer Demokratie müsse man miteinander reden und Argumente austauschen. Gleichwohl werde er aber bei seinem Treffen mit Nachdruck unterstreichen, dass das radikale Vorgehen der Klimaaktivisten nicht zu akzeptieren sei. Derzeit blockierten sie lediglich die Gesellschaft und hätten keinen Blick dafür, wie effektiv die Klimapolitik der Bundesregierung derzeit schon sei.
Die sogenannte Letzte Generation hatte um das Treffen gebeten. Die Gruppe legt etwa durch Straßenblockaden immer wieder den Verkehr lahm. Zuletzt hatten sich Aktivisten in Berlin auf zentralen Straßen festgeklebt. Die Aktivisten fordern als erste Maßnahmen ein Neun-Euro-Ticket und Tempo 100 auf Autobahnen. Die Forderung nach einem dauerhaften Neun-Euro-Ticket im öffentlichen Nahverkehr wies Wissing zurück. Dadurch würde Geld fehlen, um unter anderem das Schienennetz ausreichend auszubauen. Man erreiche somit weniger für den Klimaschutz. Ein Tempolimit auf Autobahnen lehnt die FDP ebenfalls ab.

Das Interview in voller Länge:

Stefan Heinlein: Warum nehmen Sie sich Zeit für eine kleine radikale Gruppe von Aktivisten, die Recht und Gesetz missachten, Straßen blockieren und Kunstwerke beschmieren?
Volker Wissing: In der Demokratie muss man reden. Es müssen Argumente ausgetauscht werden. Mich überzeugen die Argumente der Letzten Generation nicht und mich wundert es, dass die Letzte Generation so wenig sinnvolle Vorschläge macht für Klimaschutz und gleichzeitig so radikal vorgeht und mit Straftaten die Gesellschaft blockiert. Das macht keinen Sinn und das möchte ich mal ganz klar zum Ausdruck bringen und auch mal darauf hinweisen, dass wir ja mehr Klimaschutz machen als die Letzte Generation fordert, und man sich schon mal die Frage stellen muss, wenn mehr passiert als man fordert, weshalb muss man denn dann Straßen in Deutschland blockieren, was macht das für einen Sinn!
Heinlein: Wenn man nur sinnlose Forderungen stellt, wie Sie sagen, wenn man nur laut und radikal genug auftritt, dann bekommt man kurzfristig auch einen persönlichen Gesprächstermin bei einem Bundesminister. Ist das ein Signal, das von dem heutigen Treffen ausgehen könnte?
Wissing: Nein! Aber man muss in einer Demokratie sprechen und die Menschen, die sauer sind in Deutschland, die die Nase voll haben von im Stau stehen, weil andere die Straßen blockieren, die wollen ja, dass eine Regierung redet und Argumente ausgetauscht werden und sich nicht einfach die Fronten weiter verhärten und die Gesellschaft blockiert wird. Insofern halte ich den Dialog immer für sinnvoll. Aber klar ist auch, dass es so, wie es jetzt ist, nicht weitergehen kann, und natürlich habe ich null Toleranz für Straftäter.

"Was hier stattfindet sind Straftaten"

Heinlein: Sie sagen es: Die Klimaaktivisten der Letzten Generation gehen den meisten Menschen, nicht nur den Berliner Pendlern gewaltig auf die Nerven. Werten Sie mit Ihrem heutigen Gesprächstermin – wir reden darüber, es wird heute darüber berichtet werden – nicht eine Gruppe auf, die den Bundesbürgern einfach nur gewaltig auf die Nerven geht?
Wissing: Wir müssen in der Gesellschaft reden. Wir müssen Lösungen erarbeiten. Und jeder, der einen Vorschlag hat, sich einzubringen, ist ein wertvoller Beitrag. Aber was hier stattfindet sind Straftaten. Das ist Kriminalität. Und wenn man sich die inhaltlichen Vorschläge anschaut: Ich meine, wir können ja nicht hergehen und können im ÖPNV sagen, wir machen jetzt dauerhaft ein Neun-Euro-Ticket und verzichten dafür auf die Sanierung der Bahn, auf den Ausbau des ÖPNV. Was macht denn das für einen Sinn? Was ist denn das für ein Vorschlag, um Klimaschutz zu betreiben?
Natürlich brauchen wir ein attraktives ÖPNV-Ticket. Deswegen haben wir das Deutschland-Ticket eingeführt. Aber natürlich brauchen wir auch Haushaltsmittel, um die Bahn auszubauen, den ÖPNV auszubauen. Ein niedriger Preis ohne ein besseres Angebot – das ist der Vorschlag der Letzten Generation. Das ist aber ein Vorschlag für weniger Klimaschutz und das muss man mal deutlichmachen. Ich weiß gar nicht, was das für Forderungen sein sollen.
Heinlein: Wenn Sie heute so auftreten in dem Dialog mit der Letzten Generation, wenn Sie sagen, das sind Straftaten, die ihr da begeht, ihr seid eigentlich Kriminelle, das ist Kriminalität – das haben Sie gerade gesagt -, wird dieser Dialog, den Sie anstreben, dann heute Mittag schon funktionieren?
Wissing: Es gibt überhaupt keinen Grund, diese Straftaten, die hier begangen worden sind und offensichtlich ja weiter begangen werden sollen, zu verharmlosen oder zu relativieren. Es gibt aber einen Grund, mal deutlich darauf hinzuweisen, dass diese Straftaten gemacht werden oder begangen werden unter dem Vorwand, man müsse ihre Forderungen umsetzen, um mehr Klimaschutz zu betreiben, die Forderungen aber tatsächlich weniger effizient sind und weniger sinnvoll sind als die Klimaschutzmaßnahmen der Bundesregierung. So einen Widerspruch kann man doch nicht öffentlich stehenlassen und immer wieder permanent sich anhören. Da muss man einmal drüber reden und muss sagen, Leute, eure Vorschläge sind einfach schlechter als die, die die Bundesregierung umsetzt, und jetzt sagt mir mal, warum ihr Straßen blockiert, um schlechtere Klimaschutzmaßnahmen zu ergreifen. Das muss man doch einmal aussprechen.

Wissing: Juristisch unhaltbar, was da gesagt wird

Heinlein: Herr Wissing, in manchen Städten, etwa in Hannover, soweit ich es im Kopf habe, gibt es eine Art Waffenstillstand mit den Straßenklebern. Der Bürgermeister unterstützt die Forderungen, dafür werden keine Straßen mehr blockiert. Wie denkbar ist ein solches bundesweites Moratorium am Ende des heutigen Tages nach Ihren Gesprächen heute?
Wissing: Das können Sie ausschließen. Ich habe keine Verhandlungen zu führen und ich habe auch keine Vereinbarung dort zu treffen. Aber ich bin bereit zuzuhören und bin bereit, auch in den Dialog zu gehen, um die Frage mal zu klären, ob es nicht sinnvoller wäre, man würde sich mal anschauen, was macht die Bundesregierung gerade und wie kann man diese Aufgaben, die wir ja gemeinsam haben, Klimaschutz so betreiben, dass wir mit einer breiten Mehrheit der Gesellschaft vorangehen und auch gut vorankommen. Es ist ja nicht so, dass wir unsere Klimaschutzziele nicht ernstnehmen.
Dann wird immer wieder behauptet, wir würden die Verfassung brechen und wir würden rechtswidrig vorgehen. Das ist ja alles juristisch unhaltbar, was da gesagt wird, und trotzdem wird es als Begründung genommen, um Straßen zu blockieren.
Heinlein: Eine der Forderungen der Klimaschützer, der Klimaaktivisten, je nachdem wie man sie nennen will, ist ein Tempolimit auf Autobahnen. Das scheitert ja an Ihnen, an Ihrem Ministerium, an Ihrer Partei. Das könnten Sie ja heute ansprechen, vielleicht sogar auf einen Verhandlungstisch legen.
Wissing: Über ein solches Tempolimit wird jetzt schon ewig gesprochen. Das ist eine Maßnahme, die wenig Klimaschutz bringt und für die es keine parlamentarische Mehrheit gibt.

Wissing: Wir haben wirksamere Maßnahmen als Tempolimit 100

Heinlein: Aber wenig ist ja besser als nichts!
Wissing: Aber viel ist noch besser als wenig, verstehen Sie, und deswegen haben wir ja Maßnahmen ergriffen, die weit über das hinausgehen, die aber auch eine parlamentarische Mehrheit haben und die Gesellschaft mitnehmen. Ein Tempolimit von 100, was die Letzte Generation fordert, findet in Deutschland keine Mehrheit und damit müssen die leben. Und ich halte es auch nicht für richtig, weil wir Maßnahmen haben, die mehr Wirkung haben und die weniger Widerstand in der Bevölkerung auslösen.
In einer Demokratie muss man effiziente Maßnahmen ergreifen, die eine breite Mehrheit unterstützt, und nicht ineffiziente Maßnahmen, die die breite Mehrheit aufwiegelt in Deutschland, und das muss man auch akzeptieren als Argument und kann dann nicht immer wieder sagen, wir wollen das aber gegen den Widerstand einer Mehrheit durchsetzen, und wenn ihr das nicht macht, dann blockieren wir euer Land. Das ist nicht in Ordnung.
Heinlein: Herr Wissing, seit gestern gilt das Deutschland-Ticket. Sie haben es angesprochen. Freie Fahrt für 49 Euro im Nah- und Regionalverkehr. Das ist den Klimaaktivisten zu teuer. Die sagen, neun Euro, das wäre der richtige Preis. Sonst wird weitergeklebt. Wie wollen Sie die Gäste heute von Ihrer Entscheidung 49 Euro überzeugen?
Wissing: Zunächst einmal finde ich es ja geradezu aberwitzig, dass man gegen mich demonstriert und sagt, da müssen wir ein anderes ÖPNV-Ticket haben. Ich war ja derjenige, der das Neun-Euro-Ticket vorgeschlagen hat. Es war ja nicht so, dass das in aller Munde der Umweltverbände gewesen wäre. Ich war derjenige, der das Deutschland-Ticket vorangetrieben hat, aber das Deutschland-Ticket ist ja dauerhaft. Das Neun-Euro-Ticket war nur für drei Monate.
Wenn Sie jetzt das Deutschland-Ticket ersetzen wollen durch ein dauerhaftes Neun-Euro-Ticket, dann erklären Sie damit gleichzeitig, dass die Haushaltsmittel, die wir brauchen, um in die Schiene zu investieren, damit die Züge pünktlicher kommen, damit das ÖPNV-Angebot besser wird, dass diese Dinge dann nicht umgesetzt werden. Und wir brauchen beides! Wir brauchen ein attraktives Ticket und wir brauchen Investitionen in die Schiene und den ÖPNV. Was die Letzte Generation vorschlägt bedeutet faktisch, beim ÖPNV fehlt das Geld, um das Angebot zu verbessern, weil wir dauerhaft ein Neun-Euro-Ticket machen. Das wirkt schlechter für den Klimaschutz und für die Menschen als das, was ich umsetze.

Wissing: Wir hoffen, dass wir Deutschland-Ticket-Preis halten können

Heinlein: Werden Sie sich denn in der Koalition, auch bei Ihrem Parteifreund, Finanzminister Lindner, dafür einsetzen, dass es dauerhaft, wie Sie sagen, das Deutschland-Ticket für diesen Preis geben wird, für diese 49 Euro, und nicht nur für wenige Monate, wie es bislang geplant ist?
Wissing: Der Preis ist doch bei dem Ticket nur das eine. Das Entscheidende ist doch, dass diese Tarifstrukturen mal so vereinfacht werden, dass der Wechsel von Individualverkehr auf ÖPNV jederzeit und überall möglich ist. Das Ticket ist wegen seiner Einfachheit eine Einladung, den ÖPNV stärker zu nutzen. Dieser Effekt – dafür setze ich mich ein – muss dauerhaft erhalten bleiben.
Was die Preisentwicklung des Tickets angeht, so ist es doch heute nicht zu sagen, was das Ticket in fünf oder zehn Jahren kostet.
Heinlein: Aber in einem Jahr vielleicht?
Wissing: Wir haben vereinbart, dass wir das evaluieren, dass wir hoffen, dass wir das so halten können. Wir müssen aber abwägen zwischen dem Preis des Tickets und den Investitionen in den Ausbau des ÖPNV und die Verbesserung der Pünktlichkeit der Bahn. Es ist ja niemandem geholfen, wenn wir heute sagen, wir werden das Ticket garantiert auf einem bestimmten Preis halten, und im Zweifel dann dafür ÖPNV-Leistungen abbauen. Wenn das die Forderung ist, dann sage ich: Nein, das nicht!
Heinlein: Ich würde Ihnen aber tatsächlich widersprechen. Die 49 Euro, dieser doch recht niedrige Preis ist für die meisten Kunden entscheidend, sich jetzt zu sagen, ich kaufe mir so ein Deutschland-Ticket. Der Tarifdschungel ist eher ein Nebeneffekt. Wenn der Preis wieder hochgeht, dann werden viele Leute nicht mehr Busse und Bahnen in Zukunft nehmen, wenn Sie sagen, der Preis wird steigen in Zukunft.
Wissing: Da möchte ich Ihnen jetzt widersprechen. Der Preis ist vor allen Dingen eine Verbesserung in der Stadt. Der Abbau des Tarifdschungels ist vor allen Dingen eine Verbesserung auf dem Land. Wir können aber nicht ÖPNV immer nur aus der Brille der Stadt denken. In der Stadt funktioniert er ja heute schon sehr gut. Jetzt haben wir in der Stadt eine Entlastung mit dem Preis hinbekommen, und zwar eine spürbare Entlastung, und auf dem Land haben wir eine spürbare Verbesserung, weil wir diese extrem hohen Preise – die sind ja viel höher gewesen als in der Stadt – und diesen komplizierten Tarifdschungel abgeschafft haben. Dieser Tarifdschungel ist ein Albtraum.
Die Leute haben auf dem Land teilweise drei Fahrkartenautomaten auf dem gleichen Bahngleis erleben müssen und das wird jetzt beseitigt. Deswegen bitte ich Sie, mal die Brille der Stadt nicht alleine aufzusetzen, sondern auch mal auf den ländlichen Raum zu schauen, was das an Verbesserungen dort bringt. Und wissen Sie: Ein Umstieg im ländlichen Raum auf den ÖPNV bringt ja viel mehr Klimaschutz als im urbanen Bereich, weil wir ja im urbanen Bereich vielleicht drei, vier, fünf Kilometer fahren, während wir auf dem Land für Berufspendler vielfach 50, 70, 100 Kilometer zum Arbeitsplatz haben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.