Die japanische Profi-Tennisspielerin Naomi Osaka hat ihren Rückzug bei den French Open verkündet und öffentlich gemacht, dass sie seit Jahren immer wieder an Depressionen leide.
Die viermalige Grand-Slam-Siegerin hatte zuvor bereits angekündigt, dass sie sich nicht mehr den Pressekonferenzen stellen wolle, die für die Sportler bei einem solchen Turnier obligatorisch sind. Daraufhin hatten die Verantwortlichen in Paris der 23-Jährigen mit dem Ausschluss gedroht.
Es sei das Beste für das Turnier, für die anderen Spieler und für ihr Wohlbefinden, wenn sie zurückziehe, erklärte die Nummer zwei der Weltrangliste nun auf Twitter. Der Präsident des französischen Tennis-Verbandes, Moretton, bedauerte den Schritt und wünschte Osaka gute Genesung.
Paris, Roland Garros. Seit dem 24. Mai finden hier wieder die French Open statt, eines der wichtigsten Tennis-Turniere. Bei ihrem letzten Auftritt in Paris, 2019, scheidet die Japanerin Naomi Osaka in Runde drei aus. In diesem Jahr sollte es besser laufen. Deshalb hatte die Weltranglistenzweite angekündigt, nicht mehr an den Pressekonferenzen nach den Spielen teilzunehmen, wie sie es in der Vergangenheit noch getan hat.
Man werde entweder mit Fragen konfrontiert, die bereits oft gestellt wurden, oder mit "Fragen, die Zweifel in unsere Köpfe bringen", erklärt Osaka kurz vor Beginn des Turniers auf Twitter.
Sie habe häufig gemerkt, dass "die Leute" keine Rücksicht auf die psychische Verfassung der Athleten nehmen. Das werde ihr auf Pressekonferenzen immer wieder bewusst.
"Hier geht es auch darum, Emotionen zu transportieren"
"Wer möchte, dass auf seine Gefühle Rücksicht genommen wird, der wendet sich nicht zuerst an die Presse", findet Babett Lobinger, Professorin für Sportpsychologie an der Sporthochschule in Köln. Lobinger berät Athletinnen und Trainer – und eine Rolle spielt dabei auch deren Arbeit mit Medien. "Hier geht es auch darum, Emotionen zu transportieren. Und auch die Journalisten, die Fragen stellen, stehen ja unter Druck, die müssen auch Headlines produzieren oder brauchen auch die Klicks."
Einen Teilboykott der Presse, wie nun von Naomi Osaka angekündigt, hält Lobinger dennoch für den falschen Weg. "Da muss man wirklich seine Erwartungen an die Branche noch mal überarbeiten und auch zu einer professionellen Öffentlichkeitsarbeit kommen. Da gibt es ja auch Medienberater, die einem dabei helfen."
Osaka ist nicht die erste Sportlerin, die sich dieser gängigen Medienpraxis im Sport verweigert. Und wie andere zuvor muss sie deshalb eine Geldstrafe von 15.000 US-Dollar zahlen. Denn der Veranstalter der French Open erklärt das Rede-und-Antwort-Stehen zur Pflicht, drohte Osaka sogar mit einem Ausschluss vom Turnier, dem sie mit ihrem Ausstieg zuvorkam.
Das Interview am Spielfeldrand
Auch im Fußball gehören Interviews mit Spielern oft dazu.
Köln, Müngersdorf, Ende Mai - kurz nach Ende des ersten Spiels um Aufstieg oder Verbleib in der ersten Fußball-Bundesliga zwischen dem Gastgeber und Holstein Kiel tritt Jonas Hector vor die Kamera. Der Reporter fragt den Verlierer, wie dieser sich fühlt. Der Kapitän des 1. FC Köln reagiert genervt: "Immer diese scheiß Fragen. Das ist ja Ihr Job, ja, dumme Fragen zu stellen, das machen Sie gut."
In diesem Fall kann Babett Lobinger die Kritik des Sportlers verstehen. Direkt nach einem so aufwühlenden Spiel sei die Frage nach der Gefühlslage eine müßige "und ich würde der Branche auch unterstellen in dem Moment, dass man gar nicht daran interessiert ist, eine detaillierte Spielanalyse von Jonas Hector zu bekommen, sondern, dass es auch darum geht, jetzt Emotionen nicht nur einzufangen, sondern, ehrlich gesagt, auch ein Stück weit zu provozieren."
Und mit Branche meine die Sportpsychologin: Unterhaltungsbranche. Das zeige sich in solchen Momenten besonders, so Lobinger.
Spagat zwischen "nicht zu platt" und "nicht hochwissenschaftlich"
Aber geht es am Ende wirklich nur um Unterhaltung? Lars Ruthemann findet das nicht. Ruthemann ist einer der bekanntesten deutschen Sportreporter, für das ZDF war er schon in etlichen Wettkämpfen und Spielen, bei Europa- und Weltmeisterschaften im Einsatz.
Das Interview am Spielfeldrand – für ihn eine wichtige und auch anspruchsvolle journalistische Disziplin: "Es darf einerseits nicht zu platt, zu flapsig oder zu beliebig sein – Wie geht es Ihnen jetzt, was sagen Sie dazu – es soll aber jetzt auch nicht eine hochwissenschaftliche Erhebung sein. Das ist im Prinzip dieser schmale Grat, den Spagat, den wir hinkriegen müssen, so eine Information zu bekommen, nach einer strittigen Szene, aber natürlich auch den Fernsehzuschauer zu unterhalten."
Das Verhalten von Jonas Hector, die Antworten, die er einem Kollegen des Streamingdienstes DAZN gegeben hat – unprofessionell, findet Ruthemann: "Man muss ihm einräumen, dass er enttäuscht ist nach so einem Spiel, kaputt, keine Frage. Aber nichtsdestotrotz, finde ich, sollte der Kapitän, jetzt 31, des 1. FC Köln auch die Größe haben, eine Frage nicht in der Form abzuwatschen, wie er das getan hat."
Natürlich dürften die Interviewten auch Kontra geben, wenn sie mit den Fragen nicht einverstanden sind. Aber wenn Jonas Hector und auch Naomi Osaka diesen Teil der Arbeit von Medien grundsätzlich kritisierten oder sogar in Frage stellten, würden sie sich am Ende ja auch selbst schaden, meint Ruthemann: "Ich finde, alle Sportler sollten sich immer vergegenwärtigen, dass die Medien auch zu diesem Zirkus dahingehend dazugehören, dass wir letztlich auch dafür sorgen, dass die Sportler, ob es die Tennisspielerin oder der Fußballspieler ist, auch ganz ordentliches Geld verdienen."
Das sieht auch Sportpsychologin Babett Lobinger so. Sie würde sich nur wünschen, dass Sportlerinnen und Sportler manchmal ein wenig mehr Zeit erhalten – zumindest so viel, um eine kurze Entspannungsübung zwischen Sport und Interview einzulegen.
Hilfsangebote für Menschen mit Depressionen, Suizidgefährdete und ihre Angehörigen: Wenn Sie sich in einer scheinbar ausweglosen Situation befinden, zögern Sie nicht, Hilfe anzunehmen.
Hilfe bietet unter anderem die Telefonseelsorge in Deutschland unter 0800-1110111 (kostenfrei) und 0800-1110222 (kostenfrei) oder online unter telefonseelsorge.de an. Eine Liste mit bundesweiten Beratungsstellen gibt es hier.
Hilfe bietet unter anderem die Telefonseelsorge in Deutschland unter 0800-1110111 (kostenfrei) und 0800-1110222 (kostenfrei) oder online unter telefonseelsorge.de an. Eine Liste mit bundesweiten Beratungsstellen gibt es hier.