Wimbledon 2018. Nach 65 Minuten hat Angelique Kerber Matchball im Finale gegen Serena Williams. "Ja! Unglaublich, das gibt's nicht! 22 Jahre nach Steffi Graf hat Deutschland wieder eine Wimbledon-Siegerin!", brüllen die Fernsehreporter. Ein historischer Sieg.
Und dann dieses Interview, ZDF-Reporter Martin Wolff im Gespräch mit Angelique Kerber: "Das haben Sie durchgestanden, aber danach ging es noch nicht direkt ins Bett oder? Getrunken? Geflirtet? Kamen die Verehrer in Scharen immer wieder mal an?"
Hier wird eine Top-Athletin, eine Frau, die das erste Mal seit 1996, das erste Mal seit Steffi Graf, Wimbledon gewonnen hat, nicht nach ihrer sportlichen Leistung gefragt, sondern nach ihrem Flirtverhalten. Auch die männlichen Wimbledon-Finalisten spielen eine Rolle. Um eine sportliche Einschätzung - im engeren Sinne - geht es bei der Frage an Kerber aber nicht. "Das ist die berühmte Champions-Night, und da wird, glaube ich, mit dem Sieger des Herren-Wettbewerbs getanzt - mit wem würden Sie denn lieber tanzen, jetzt so ganz privat? Djokovic ist vielleicht ein bisschen smoother als Anderson?"
Auf Nachfrage erklärt ZDF-Reporter Martin Wolff, wann er solche Fragen das letzte Mal einem männlichen Sportler gestellt hat: "Das ist schon so lange her, dass ich mich gar nicht dran erinnern kann."
"Ja, das ist Sexismus"
Es sind Fragen, die in Interviews mit Novak Djokovic, Rafael Nadal oder Alexander Zverev undenkbar wären. Dieser Umkehrschluss offenbart vor allem eins: Die Fragen sind sexistisch, wie Ilse Hartmann-Tews, Leiterin des Instituts für Soziologie und Genderforschung an der Deutschen Sporthochschule erklärt: "Ja, das ist insofern Sexismus, wenn man Sexismus als jegliche Form der Diskriminierung im Bezug auf oder aufgrund des Geschlechts beschreibt."
Sie empfiehlt allen Journalistinnen und Journalisten den Selbst-Test: "Würdet Ihr das mit Männern auch so machen? Würden Sie da auch auf das Flirtverhalten ansprechen, oder die vergangenen Nächte permanent in den Vordergrund stellen und nicht die Leistung? Dass Sie selbst mal darüber nachdenken, ob Sie nicht ein unterschiedliches Verhalten an den Tag legen, wenn Sie es mit Sportlerinnen zu tun haben oder Sportlern. Und wenn ja, ob dieses unterschiedliche Verhalten dann vielleicht auch etwas mit Diskriminierung zu tun hat."
"Das ist jetzt wirklich eine Unverschämtheit"
Eine Frage, die sich ZDF-Reporter Martin Wolff bei der Analyse seines Interviews nicht stellt: "Auf keinen Fall. Und das finde ich fast schon unverschämt. Aber offenbar suchen Sie jetzt ein Thema und wollen sich unbedingt daran festbeißen. Ich bleibe jetzt trotzdem am Telefon, obwohl ich jetzt schon keine große Lust mehr habe, mit Ihnen zu sprechen."
Eines ist klar: Freunde macht man sich mit einer Berichterstattung zu dem Thema nicht. Im Laufe des Interviews sinkt die Stimmung in den Keller:
"Das ist jetzt wirklich eine Unverschämtheit."
"Ich habe eigentlich nur beschrieben, wonach sie in dem Interview gefragt haben."
"Mir gefällt die ganze Art ihrer Fragestellung nicht".
"Sie suchen ganz gezielt irgendwo einem Ansatzpunkt, wo man endlich mal reinhacken kann und sagen kann: Oh, das schien mir aber jetzt sexistisch."
"Ja, aber wenn Sie sich damit wohlfühlen, dass Sie das so machen, dann wünsche ich Ihnen weiter viel Glück und Erfolg auf Ihrem beruflichen Weg."
Das Argument: Angelique Kerber sei zufrieden gewesen und deswegen könnten die Fragen gar nicht sexistisch sein. "Sie war hochzufrieden hinterher, ihr Manager war hochzufrieden mit dem Interview." Öffentliche Äußerungen von Angelique Kerber zum Interview sind nicht bekannt geworden.
Journalistische Verantwortung ist gefragt
Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts anzusprechen, ist für Sportlerinnen nicht immer leicht, meint Sport-Soziologin Hartmann-Tews: "Die sind abhängig von den Medien. Also sie brauchen mediale Präsenz, um dann auch zum Beispiel für Sponsoren interessant zu werden. Und diese Abhängigkeit oder Kooperation mit den Medien mag bestimmt dazu führen, dass man auch bei unangenehmen Fragen milde ist. Man wird sicherlich keinem Journalisten so ohne Weiteres ins Wort fallen."
Um so mehr ist journalistische Verantwortung gefragt. Und Reflexion - fürs nächste Mal.
ZDF-Reporter Martin Wolff: "Mir ist nichts passiert. Jede Frage, die ich gestellt habe, habe ich bewusst gestellt. Und wenn sie mich jetzt dazu bringen wollen, dass ich sage, 'Oh, um Gotteswillen, was hab ich da getan', dann tut es mir leid."