"Wie jedes Jahr bemühte ich mich, den Dezember mit einer milden, fast gleichgültigen Gelassenheit auf mich zukommen zu lassen. … Alles war in bester Ordnung. Warum auch nicht? Ich hatte nichts gegen Weihnachten. Das Problem war, dass Weihnachten oft etwas gegen mich hatte. "
Alles ist anders als erwartet: Lárus’ Freundin aus Kindertagen, Matilda, hat sich von seinem Freund Svend getrennt und ist in eine chaotische Wohngemeinschaft gezogen. Svend ist zurück nach Schweden gegangen und auch Lárus ist wieder Single. Verwirrt und traurig, weil sein Geliebter Milan ihn kurz zuvor verlassen hat. Nur ein kleiner Trost ist die alte Abmachung zwischen ihm und Matilda:
"Bevor wir beginnen würden, uns selbst Botschaften auf den beschlagenen Badezimmerspiegel zu schreiben und uns nachmittags beim Bäcker über den Klang der eigenen Stimme zu wundern, würden wir zusammen ziehen. Sie und auch ich konnten jederzeit den anderen darum bitten, wenn wir es allein nicht mehr aushielten. "
Sie halten es aus, irgendwie, doch der melancholische Grundton des Anfangs durchzieht den Roman bis zum Ende. Ich-Erzähler Lárus, der sein Geld damit verdient, dass er Vögel in Großstädten filmt, und Matilda stürzen sich ins Reykjaviker Nachtleben, dröhnen ihre Köpfe mit Popmusik zu, rauchen Unmengen von Zigaretten und spülen ihren Kummer mit viel zuviel Alkohol weg.
Damit gewährt der 1976 geborene deutsch-isländische Autor Kristof Magnusson in seinem Debut-Roman "Zuhause" seinen Protagonisten natürlich nur ein temporäres Vergessen. Das Vergangene werden sie auf diese Weise ebenso wenig los wie den gegenwärtigen Überdruss.
Was Larus schließlich hilft, klingt wie ein therapeutisches Konzept: er lässt seine Jahre mit Milan in seiner Erinnerung Revue passieren und schreibt sich den Schmerz um den verlorenen Geliebten nach und nach von der Seele – hingekritzelt auf die freien Stellen von fünf Busfahrplänen.
Schon der isländische Autor Hallgrimur Helgasson hatte das schnelle, verdichtete Leben der jungen Generation in Reykjavik trefflich beschrieben, ihre fast manische Suche nach Identität und Sinn. Magnusson, der in Hamburg aufgewachsen und zum Kirchenmusiker ausgebildet ist, steht seinem Schriftstellerkollegen nichts nach. Er punktet mit witzigen Dialogen und Randbemerkungen, größerer Ernsthaftigkeit und einem spürbaren Hang zu Selbstironie.
"Liebe. Warum war ich, waren alle so geizig mit diesem Wort, das eigentlich kaum mehr bedeutete als eine Serie nicht zu sehr verunglückter one-night-stands mit derselben Person? Da hatte ich soviel Zeit mit Verschweigen und Verdrängen verbracht und ausgerechnet in der einen Situation, in der ich mit einer Lüge etwas retten konnte, war ich ehrlich gewesen. "
Wie brüchig Familienleben und das Konstrukt "Zuhause" sind, erzählt Kristof Magnusson erst, nachdem neue Liebhaber die Szene betreten und die Beziehungsdramen sich nach etwa der Hälfte des Romans unversehens zu einer Art Kriminalgeschichte auswachsen. Eine beträchtliche Menge Gin, Eifersuchtsexzesse, Sex, Musik, halsbrecherische Autofahrten und Messerstechereien gehören zu den Zutaten - wie bei vielen Autoren. Aber es ist nicht die kriminalistische Wendung, die den Roman lesenswert macht, sondern der intime Einblick in die Küchen, Wohn- und Schlafzimmer der Figuren, in die kaum vordringt, wer als Tourist nach Island reist.
Zusätzlich greift Magnusson in die große Kiste der isländischen Sagas, um die Machtbesessenheit des Vaters von Lárus’ Klassenkameraden und Kurzzeitliebhabers Dagur zu erklären. Ein spezifisch isländisches Konstrukt von Macht, überholt wie vieles, denn die Strategien und Weisheiten von Bauernhelden taugen weder zur Identitätsfindung noch zur Lösung der Probleme von heute.
Lárus deckt die Geheimnisse von Dagurs unseligem Familienverband auf, erst auf ironische, später auf drastische Weise. Nur, um im Verlauf der Geschichte zu erfahren, dass seine eigene Herkunft sehr viel enger mit Dagurs Familie verzahnt ist als er je für möglich gehalten hätte.
Und ganz en passant liefert er amüsante Beschreibungen der urbanen Vogelwelt, die vieles mit den Menschen gemeinsam zu haben scheint und die man in einem isländischen Roman nicht unbedingt vermutet. Birkenzeisige, Schwäne, Eissturmvögel, Reiherenten, Mittelsäger, Graugänse und Dreizehenmöwen spielen ihre Rolle. Und muschelfressende Austernfischer:
"Die einen hacken ein Loch in die Muschel, um an deren Inneres zu kommen. Die anderen durchtrennen der Muschel den Schliessmuskel, um sie zu öffnen. Das Interessante daran ist, dass diese Unterarten sich nie vermischen. Die Muschelaufklopper bekommen nur Junge mit ihresgleichen und die Schließmuskeldurchtrenner ebenso, um Verwirrungen bei der Erziehung zu vermeiden. "
Über gut 300 Seiten entwickelt Kristof Magnusson die Geschehnisse dieser ungewöhnlichen Vor-Weihnachtszeit. Er schildert das Erwachsenwerden, die Bedeutung von Freundschaft und die Schwierigkeit, sich irgendwo zu Hause zu fühlen - facettenreich und mit leichter Hand geschrieben. Die langen, starken Dialogsequenzen im Roman verwundern nicht, denn bislang hat der junge Autor nur Theaterstücke verfasst. Man wünscht sich eine Fortsetzung.
Alles ist anders als erwartet: Lárus’ Freundin aus Kindertagen, Matilda, hat sich von seinem Freund Svend getrennt und ist in eine chaotische Wohngemeinschaft gezogen. Svend ist zurück nach Schweden gegangen und auch Lárus ist wieder Single. Verwirrt und traurig, weil sein Geliebter Milan ihn kurz zuvor verlassen hat. Nur ein kleiner Trost ist die alte Abmachung zwischen ihm und Matilda:
"Bevor wir beginnen würden, uns selbst Botschaften auf den beschlagenen Badezimmerspiegel zu schreiben und uns nachmittags beim Bäcker über den Klang der eigenen Stimme zu wundern, würden wir zusammen ziehen. Sie und auch ich konnten jederzeit den anderen darum bitten, wenn wir es allein nicht mehr aushielten. "
Sie halten es aus, irgendwie, doch der melancholische Grundton des Anfangs durchzieht den Roman bis zum Ende. Ich-Erzähler Lárus, der sein Geld damit verdient, dass er Vögel in Großstädten filmt, und Matilda stürzen sich ins Reykjaviker Nachtleben, dröhnen ihre Köpfe mit Popmusik zu, rauchen Unmengen von Zigaretten und spülen ihren Kummer mit viel zuviel Alkohol weg.
Damit gewährt der 1976 geborene deutsch-isländische Autor Kristof Magnusson in seinem Debut-Roman "Zuhause" seinen Protagonisten natürlich nur ein temporäres Vergessen. Das Vergangene werden sie auf diese Weise ebenso wenig los wie den gegenwärtigen Überdruss.
Was Larus schließlich hilft, klingt wie ein therapeutisches Konzept: er lässt seine Jahre mit Milan in seiner Erinnerung Revue passieren und schreibt sich den Schmerz um den verlorenen Geliebten nach und nach von der Seele – hingekritzelt auf die freien Stellen von fünf Busfahrplänen.
Schon der isländische Autor Hallgrimur Helgasson hatte das schnelle, verdichtete Leben der jungen Generation in Reykjavik trefflich beschrieben, ihre fast manische Suche nach Identität und Sinn. Magnusson, der in Hamburg aufgewachsen und zum Kirchenmusiker ausgebildet ist, steht seinem Schriftstellerkollegen nichts nach. Er punktet mit witzigen Dialogen und Randbemerkungen, größerer Ernsthaftigkeit und einem spürbaren Hang zu Selbstironie.
"Liebe. Warum war ich, waren alle so geizig mit diesem Wort, das eigentlich kaum mehr bedeutete als eine Serie nicht zu sehr verunglückter one-night-stands mit derselben Person? Da hatte ich soviel Zeit mit Verschweigen und Verdrängen verbracht und ausgerechnet in der einen Situation, in der ich mit einer Lüge etwas retten konnte, war ich ehrlich gewesen. "
Wie brüchig Familienleben und das Konstrukt "Zuhause" sind, erzählt Kristof Magnusson erst, nachdem neue Liebhaber die Szene betreten und die Beziehungsdramen sich nach etwa der Hälfte des Romans unversehens zu einer Art Kriminalgeschichte auswachsen. Eine beträchtliche Menge Gin, Eifersuchtsexzesse, Sex, Musik, halsbrecherische Autofahrten und Messerstechereien gehören zu den Zutaten - wie bei vielen Autoren. Aber es ist nicht die kriminalistische Wendung, die den Roman lesenswert macht, sondern der intime Einblick in die Küchen, Wohn- und Schlafzimmer der Figuren, in die kaum vordringt, wer als Tourist nach Island reist.
Zusätzlich greift Magnusson in die große Kiste der isländischen Sagas, um die Machtbesessenheit des Vaters von Lárus’ Klassenkameraden und Kurzzeitliebhabers Dagur zu erklären. Ein spezifisch isländisches Konstrukt von Macht, überholt wie vieles, denn die Strategien und Weisheiten von Bauernhelden taugen weder zur Identitätsfindung noch zur Lösung der Probleme von heute.
Lárus deckt die Geheimnisse von Dagurs unseligem Familienverband auf, erst auf ironische, später auf drastische Weise. Nur, um im Verlauf der Geschichte zu erfahren, dass seine eigene Herkunft sehr viel enger mit Dagurs Familie verzahnt ist als er je für möglich gehalten hätte.
Und ganz en passant liefert er amüsante Beschreibungen der urbanen Vogelwelt, die vieles mit den Menschen gemeinsam zu haben scheint und die man in einem isländischen Roman nicht unbedingt vermutet. Birkenzeisige, Schwäne, Eissturmvögel, Reiherenten, Mittelsäger, Graugänse und Dreizehenmöwen spielen ihre Rolle. Und muschelfressende Austernfischer:
"Die einen hacken ein Loch in die Muschel, um an deren Inneres zu kommen. Die anderen durchtrennen der Muschel den Schliessmuskel, um sie zu öffnen. Das Interessante daran ist, dass diese Unterarten sich nie vermischen. Die Muschelaufklopper bekommen nur Junge mit ihresgleichen und die Schließmuskeldurchtrenner ebenso, um Verwirrungen bei der Erziehung zu vermeiden. "
Über gut 300 Seiten entwickelt Kristof Magnusson die Geschehnisse dieser ungewöhnlichen Vor-Weihnachtszeit. Er schildert das Erwachsenwerden, die Bedeutung von Freundschaft und die Schwierigkeit, sich irgendwo zu Hause zu fühlen - facettenreich und mit leichter Hand geschrieben. Die langen, starken Dialogsequenzen im Roman verwundern nicht, denn bislang hat der junge Autor nur Theaterstücke verfasst. Man wünscht sich eine Fortsetzung.