Senyoria ist im Katalonien der letzten Wochen des 18. Jahrhunderts angesiedelt. Konsequenterweise hat Jaume Cabré die Form seines Romans der ausgehenden Aufklärung angepasst und ihn in ein Enthüllungsdrama mit drei Büchern gegossen. Im ersten Buch führt er den Leser ein in die Welt des Don Rafel Massó. Obwohl nicht von Adel, hat dieser es bis zum Gerichtspräsidenten gebracht. Nur der Repräsentant des Bourbonenkönigs Karl der Vierte hat in Katalonien mehr Macht als er.
Des Morgens empfängt Don Rafel Bittsteller und Richter, doch den Rest des Tages verbringt Sa Senyoria damit, den Sternenhimmel zu erkunden, die schöne Baronin von Xerta mit dem Teleskop in ihrem Schlafzimmer zu beobachten, von seiner einstigen Geliebten Elvira zu träumen und sich mit seiner bigotten Ehefrau Marianna bei gesellschaftlichen Anlässen zu zeigen.
Zweifellos war Don Rafel der am meisten beneidete, gehasste und gefürchtete der anwesenden Gäste, denn er war einflussreich, unbeugsam und korrupt, drei Eigenschaften, die im übrigen fast alle auszeichneten, die in diesen Jahren in Barcelona das Sagen hatten.
Der junge Dichter Andreu Perramon bekommt dies schmerzlich zu spüren. Nach einer dieser Festlichkeiten wird eine französische Sängerin in ihrem Hotel erstochen. Am Tatort findet sich ein Medaillon des Dichters, der sich mit der Sängerin vergnügt hat. Andreu landet im Kerker, trotz aller Unschuldsbeteuerungen. Selbst der Hinweis, dass sein Freund, der Musiker Nando, ihn im Hotel abgeholt und die Sängerin noch lebend gesehen hat, nützt ihm nichts. Ein Päckchen mit Dokumenten, die Andreu in Nandos Auftrag bei einem Rechtsanwalt abliefern sollte, wird ihm endgültig zum Verhängnis. Kommissar Setúbal findet es in Andreus Zimmer und erkennt gleich, dass der brisante Inhalt Don Rafel den Kopf kosten würde. Er erpresst den Gerichtspräsidenten.
Schnell waren sich die beiden Männer einig. Der eine erklärte sich bereit, das Päckchen und die ganze Angelegenheit zu vergessen; der andere, sich diesen Gefallen zu merken und sechstausend Reales in klingender Münze herauszurücken. Blutenden Herzens zahlte Don Rafel diesem halben Portugiesen das Geld auf die Hand. Im Gegenzug schlug Setúbal ihm vor, dem Verdächtigen aufrührerische Schiften gegen den König unterzuschieben.
Sa Senyoria sorgt dafür, dass Andreu Perramon gehenkt wird, bevor dessen Freund Nando von einer militärischen Mission zurückkehrt und Andreu entlasten kann. Mit Andreus öffentlichem Tod endet das erste Buch des Romans. Jaume Cabré hat darin sämtliche Fährten gelegt, denen er dann im zweiten Buch nachgeht. Dieses führt den Leser nun, wie üblich im Enthüllungsdrama, in die Vergangenheit: in das Schlafgemach der von Don Rafel einst so geliebten, aber schamlosen Elvira sowie in das Landhaus von Ciset. Dieser war vor einer Weile plötzlich zu Reichtum gelangt. Doch nun wartet er auf den Tod und will beichten. Ein Notar soll diese Beichte protokollieren, um sie einem Anwalt zu übergeben. Ciset will damit Rache nehmen, denn das schreckliche Geheimnis, das zu bewahren man ihn gezwungen hat, brachte seine Frau ins Grab,
gestorben an Schwermut und schlechtem Gewissen, denn schweigen, Ciset, ist auch eine Sünde, und der Herr war schuld an ihrem Tod.
Im dritten Buch schließlich kommt es zum Höhepunkt, Cabré inszeniert Don Rafels Fall. Die Feier der Jahrhundertwende sieht ihn noch mit den Insignien seines Amtes, doch kaum hat das 19. Jahrhundert begonnen, wird Sa Senyoria Opfer des korrupten Systems, dem er seine Macht und seinen Reichtum verdankte.
Wohin auch immer er sich wandte, überall stand jemand bereit, ihn zu zertreten wie einen Käfer.
Sa Senyoria findet seinen Meister. Einen besonderen Reiz des spannenden Romans macht aus, dass der Autor auch in der Form der Zeitenwende Rechnung trägt. Sein Drama des 18. Jahrhunderts, dessen allwissender Erzähler zudem immer wieder durch das damals auf der Bühne übliche Beiseitesprechen in der ersten Person ergänzt wird, wird durch gefühlvolle Briefe der Selbstreflektion gebrochen, wie sie die Romantiker des folgenden Jahrhunderts schreiben sollten. Der junge Musiker Nando richtete sie an seinen Freund Andreu. Das neue Jahrhundert bringt dem in der Vergangenheit verhafteten Don Rafel das Ende, doch Nando, dem Romantiker, die Gelegenheit, Andreu zu rächen.
Jaume Cabrés Roman spielt zwar in der Zeit nach der Auflösung der katalanischen Selbstverwaltung durch die Bourbonen, behandelt aber ein bis heute aktuelles Thema. Er beschreibt einen korrupten, autoritären Staat, in dem der einfache Bürger, der nicht über die Mittel zur Bestechung verfügt, dem System hilflos ausgeliefert ist, während eine intrigante herrschende Klasse das Gesetz nach Belieben beugt und, wie Sa Senyoria, sich dabei auch noch im Recht glaubt, solange man sich nicht erwischen lässt.
Als Fachmann für juristische Fragen wußte Don Rafel, daß es für die Justiz Sünde nur in dem Maße gibt, in dem sie bekannt wird. Für die Justiz ist das perfekte Verbrechen keine Sünde.
Man spürt förmlich die Freude, mit der Cabré detailgenau dem dekadenten, nichtsnutzigen Adel Barcelonas nachspürt, der sich nach der Unterwerfung Kataloniens durch die Bourbonen bei Karl IV. anbiedert, einem König, der das Regieren dem Geliebten seiner Gattin überließ und nicht wahrnahm, dass sich die Gesellschaft zu wandeln begann. Die Anfänge der Industrialisierung ließen bereits ein Großbürgertum entstehen, und schon sehr bald sollten mehr Bürger wie Don Rafel zu höheren Ämtern gelangen, ohne sich wie er beim Adel einzuschmeicheln. Bleibt noch zu ergänzen, dass Senyoria auch durch die Anschaulichkeit besticht, mit der Jaume Cabré durch die Straßen des Barcelonas der letzten Tage des 18. Jahrhunderts führt.
Jaume Cabré: Senyoria
Aus dem Katalanischen von Kirsten Brandt
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009, 448 Seiten, 24,80 Euro
Des Morgens empfängt Don Rafel Bittsteller und Richter, doch den Rest des Tages verbringt Sa Senyoria damit, den Sternenhimmel zu erkunden, die schöne Baronin von Xerta mit dem Teleskop in ihrem Schlafzimmer zu beobachten, von seiner einstigen Geliebten Elvira zu träumen und sich mit seiner bigotten Ehefrau Marianna bei gesellschaftlichen Anlässen zu zeigen.
Zweifellos war Don Rafel der am meisten beneidete, gehasste und gefürchtete der anwesenden Gäste, denn er war einflussreich, unbeugsam und korrupt, drei Eigenschaften, die im übrigen fast alle auszeichneten, die in diesen Jahren in Barcelona das Sagen hatten.
Der junge Dichter Andreu Perramon bekommt dies schmerzlich zu spüren. Nach einer dieser Festlichkeiten wird eine französische Sängerin in ihrem Hotel erstochen. Am Tatort findet sich ein Medaillon des Dichters, der sich mit der Sängerin vergnügt hat. Andreu landet im Kerker, trotz aller Unschuldsbeteuerungen. Selbst der Hinweis, dass sein Freund, der Musiker Nando, ihn im Hotel abgeholt und die Sängerin noch lebend gesehen hat, nützt ihm nichts. Ein Päckchen mit Dokumenten, die Andreu in Nandos Auftrag bei einem Rechtsanwalt abliefern sollte, wird ihm endgültig zum Verhängnis. Kommissar Setúbal findet es in Andreus Zimmer und erkennt gleich, dass der brisante Inhalt Don Rafel den Kopf kosten würde. Er erpresst den Gerichtspräsidenten.
Schnell waren sich die beiden Männer einig. Der eine erklärte sich bereit, das Päckchen und die ganze Angelegenheit zu vergessen; der andere, sich diesen Gefallen zu merken und sechstausend Reales in klingender Münze herauszurücken. Blutenden Herzens zahlte Don Rafel diesem halben Portugiesen das Geld auf die Hand. Im Gegenzug schlug Setúbal ihm vor, dem Verdächtigen aufrührerische Schiften gegen den König unterzuschieben.
Sa Senyoria sorgt dafür, dass Andreu Perramon gehenkt wird, bevor dessen Freund Nando von einer militärischen Mission zurückkehrt und Andreu entlasten kann. Mit Andreus öffentlichem Tod endet das erste Buch des Romans. Jaume Cabré hat darin sämtliche Fährten gelegt, denen er dann im zweiten Buch nachgeht. Dieses führt den Leser nun, wie üblich im Enthüllungsdrama, in die Vergangenheit: in das Schlafgemach der von Don Rafel einst so geliebten, aber schamlosen Elvira sowie in das Landhaus von Ciset. Dieser war vor einer Weile plötzlich zu Reichtum gelangt. Doch nun wartet er auf den Tod und will beichten. Ein Notar soll diese Beichte protokollieren, um sie einem Anwalt zu übergeben. Ciset will damit Rache nehmen, denn das schreckliche Geheimnis, das zu bewahren man ihn gezwungen hat, brachte seine Frau ins Grab,
gestorben an Schwermut und schlechtem Gewissen, denn schweigen, Ciset, ist auch eine Sünde, und der Herr war schuld an ihrem Tod.
Im dritten Buch schließlich kommt es zum Höhepunkt, Cabré inszeniert Don Rafels Fall. Die Feier der Jahrhundertwende sieht ihn noch mit den Insignien seines Amtes, doch kaum hat das 19. Jahrhundert begonnen, wird Sa Senyoria Opfer des korrupten Systems, dem er seine Macht und seinen Reichtum verdankte.
Wohin auch immer er sich wandte, überall stand jemand bereit, ihn zu zertreten wie einen Käfer.
Sa Senyoria findet seinen Meister. Einen besonderen Reiz des spannenden Romans macht aus, dass der Autor auch in der Form der Zeitenwende Rechnung trägt. Sein Drama des 18. Jahrhunderts, dessen allwissender Erzähler zudem immer wieder durch das damals auf der Bühne übliche Beiseitesprechen in der ersten Person ergänzt wird, wird durch gefühlvolle Briefe der Selbstreflektion gebrochen, wie sie die Romantiker des folgenden Jahrhunderts schreiben sollten. Der junge Musiker Nando richtete sie an seinen Freund Andreu. Das neue Jahrhundert bringt dem in der Vergangenheit verhafteten Don Rafel das Ende, doch Nando, dem Romantiker, die Gelegenheit, Andreu zu rächen.
Jaume Cabrés Roman spielt zwar in der Zeit nach der Auflösung der katalanischen Selbstverwaltung durch die Bourbonen, behandelt aber ein bis heute aktuelles Thema. Er beschreibt einen korrupten, autoritären Staat, in dem der einfache Bürger, der nicht über die Mittel zur Bestechung verfügt, dem System hilflos ausgeliefert ist, während eine intrigante herrschende Klasse das Gesetz nach Belieben beugt und, wie Sa Senyoria, sich dabei auch noch im Recht glaubt, solange man sich nicht erwischen lässt.
Als Fachmann für juristische Fragen wußte Don Rafel, daß es für die Justiz Sünde nur in dem Maße gibt, in dem sie bekannt wird. Für die Justiz ist das perfekte Verbrechen keine Sünde.
Man spürt förmlich die Freude, mit der Cabré detailgenau dem dekadenten, nichtsnutzigen Adel Barcelonas nachspürt, der sich nach der Unterwerfung Kataloniens durch die Bourbonen bei Karl IV. anbiedert, einem König, der das Regieren dem Geliebten seiner Gattin überließ und nicht wahrnahm, dass sich die Gesellschaft zu wandeln begann. Die Anfänge der Industrialisierung ließen bereits ein Großbürgertum entstehen, und schon sehr bald sollten mehr Bürger wie Don Rafel zu höheren Ämtern gelangen, ohne sich wie er beim Adel einzuschmeicheln. Bleibt noch zu ergänzen, dass Senyoria auch durch die Anschaulichkeit besticht, mit der Jaume Cabré durch die Straßen des Barcelonas der letzten Tage des 18. Jahrhunderts führt.
Jaume Cabré: Senyoria
Aus dem Katalanischen von Kirsten Brandt
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009, 448 Seiten, 24,80 Euro