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Investoren vs. Bevölkerung
Kampf um die letzten freien Felder von Gonesse

Von den Äckern um das ehemalige Bauerndorf Gonesse bei Paris sind nur noch ein paar Felder übrig. Die sollen bald einem riesigen Einkaufs- und Vergnügungszentrum weichen. Aber Umweltschützer und Bevölkerung leisten Widerstand gegen die Investoren.

Von Bettina Kaps | 22.08.2019
"Nein zu Europa City", steht bei dieser Protestveranstaltung an einem Modell der geplanten Metro-Station Gonesse. Um das Modell steckt Gemüse, wie es auf den umliegenden Feldern wächst.
"Nein zu Europa City" - die Bürger von Gonesse protestieren gegen ein geplantes Einkaufszentrum auf ihrem Feldern (Deutschlandradio / Bettina Kaps)
Sechsspurig führt die Autobahn aus Paris heraus, vorbei an grauen Hochhaussiedlungen, Großmärkten, zwei Flughäfen. Die Vorstädte und ihre Gewerbegebiete ufern aus. Doch wer die stets verstopfte A1 nach 15 Kilometern in Richtung Gonesse verlässt, findet sich plötzlich auf dem Land wieder. Auf weiten Äckern wachsen Weizen und Mais.
Jean-Yves Souben steigt auf eine leichte Anhöhe, von wo aus er im Smog Paris erahnen kann. Der 63-Jährige ist grüner Stadtrat in einer Nachbargemeinde. Darüber hinaus engagiert er sich in einem Kollektiv, das gegen die Zerstörung dieser Felder kämpft. Über ihm setzt ein Airbus zur Landung auf dem Flughafen Charles de Gaulle an.
"Hier darf niemand wohnen. Da vorne, bei der Baumreihe, ist im Jahr 2000 das Überschallflugzeug Concorde abgestürzt. Es hat ein Hotel gestreift, das mitten in der Landschaft stand."
Die Flugschneise hat die strategisch günstig gelegenen Felder vor der Bebauung bewahrt. Aber nun soll hier Europa City entstehen. Der Name steht für einen gigantischen Freizeit-Komplex mit 500 Boutiquen, 2.700 Hotelbetten, Achterbahn, Dauerzirkus, einer Indoor-Skipiste, Kunst- und Konzerthalle und vielem mehr.
"Überflüssige Gewerbefläche auf fruchtbarem Ackerland"
Betreiber ist die französische Supermarktkette Auchan. Zusammen mit einem chinesischen Immobilienkonzern will sie hier drei Milliarden Euro investieren, jährlich 30 Millionen Besucher anlocken und 10.000 Arbeitsplätze schaffen. Es wäre die größte Privatinvestition in Frankreich seit 30 Jahren. Der Staat befürwortet das Projekt und hat es in seine Grand-Paris-Planung einbezogen.
Umweltschützer kämpfen für eine ökologische Kreislaufwirtschaft auf ihren fruchtbaren Feldern statt noch einem Einkaufszentrum.
Umweltschützer fänden eine ökologische Kreislaufwirtschaft auf ihren fruchtbaren Feldern sinnvoller als noch ein Einkaufszentrum (Deutschlandradio / Bettina Kaps)
Jean-Yves Souben zeigt über die Felder hinweg.
"Wir können von hier aus drei Einkaufszentren sehen, sie sind nur fünf Kilometer Luftlinie entfernt. Mit Europa City sollen 500 weitere Geschäfte eröffnen. Hier soll also völlig überflüssige Gewerbefläche geschaffen werden. Auf Ackerland, das zu dem fruchtbarsten in Europa gehört."
Obwohl es nicht geregnet hat, sind die Furchen feucht. Selbst in der Julihitze hätten die Bauern nicht künstlich bewässert, sagt Souben.
"Der Ackerboden ist besonders tief und versorgt die Pflanzen mit ausreichend Wasser. Mehr noch: Diese Felder erfrischen Paris. Wenn sie hier betonieren, wird sich der Nordost-Wind noch stärker aufheizen als jetzt schon über den Flugpisten. Dann wird Paris bei Hitzeperioden noch höhere Temperaturen verzeichnen. Aber das werden die Pariser erst spüren, wenn es zu spät ist."
"Steht der Bahnhof im Feld, gibt es nichts mehr zu verteidigen"
Das Umwelt-Kollektiv hat gegen den Bebauungsplan geklagt – vorerst mit Erfolg. Laut Gericht wurde die Urbanisierung dieser – so wörtlich – "besonders fruchtbaren Felder" beschlossen, obwohl die "zu erwartenden wirtschaftlichen Gewinne nicht gesichert sind".
Nun droht weitere Gefahr durch den "Grand Paris Express": Die neue Metrolinie 17 soll eigens für das Erlebnis- und Konsumzentrum quer über die heutigen Felder führen. Zwei Kilometer vom Stadtzentrum von Gonesse entfernt ist ein Bahnhof geplant. Ab November soll gebaut werden, die Gegner des Projekts haben schon eine Blockade geplant. Jean-Yves Souben ist empört, dass der Staat Europa City so massiv unterstützt.
"Der Premierminister hat angekündigt, dass dieses Stück der neuen Metrolinie erst 2027 fertig werden soll. Aber da sollen offenbar Fakten geschaffen werden. Wenn der Bahnhof mitten im Feld steht, gibt es hier nichts mehr zu verteidigen. Dann werden sie rundherum betonieren und Gewerbe schaffen."
Gewerbe, das die chronisch hohe Arbeitslosigkeit in dieser Banlieue verringern könnte. Das jedenfalls erhofft sich der Bürgermeister von Gonesse, der Europa City sehnlich erwartet.
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Grand Paris". Eine Städt wächst über sich hinaus.
Souben holt einen Rechen aus seinem Auto, geht zu einem schmalen Streifen Land am Rand des Feldwegs, hackt Unkraut aus. Seine Mitstreiter haben einen kleinen Gemüsegarten angelegt. Mit Agronomen und Wirtschaftswissenschaftlern haben die Umweltschützer ein Konzept namens CARMA ausgearbeitet, die Abkürzung bedeutet "Kooperation für eine ehrgeizige Landwirtschaft in Verbindung mit Stadt und Land". Das Beet ist Symbol und Aushängeschild dafür. Und ihre Antwort auf die Frage, wie man das Land rund um Gonesse nutzen soll.
Solidarische Landwirtschaft statt Einkaufszentrum
Die Umweltschützer organisieren auch Informationsveranstaltungen. Trotz strömenden Regens haben sich an einem Sonntag im Mai hunderte Menschen auf dem Feld versammelt, große Zelte bieten Schutz. Der Agronom Robert Levesque erklärt den Anwesenden, worin das Projekt CARMA besteht.
"Wir wollen auf den Feldern von Gonesse eine Solidarwirtschaft entwickeln, die auf Bio-Anbau von Obst und Gemüse beruht und Arbeitsplätze schafft. Wir planen eine Kreislaufwirtschaft, bei der die Lebensmittel vor Ort verarbeitet werden, mit kurzen Transportwegen, beispielsweise für Schulkantinen."
Der Ingenieur und Stadtplaner Robert Spizzichino koordiniert das Projekt. Ihm ist es gelungen, einschlägige Unterstützer zu gewinnen, wie eine große Bio-Supermarktkette, große Umweltvereine. Das und auch die Klimademonstrationen der Jugend machen ihm Mut.
"Wir haben ein konkretes Projekt ausgearbeitet, das umsetzbar ist. Falls Präsident Macron eines Tages sagt: Ich habe es mir anders überlegt, unsere Vorhaben, Europa City, der Bahnhof sind schlecht, wir satteln um, verwirklicht CARMA, dann müssen wir bereit sein. Von diesem Gedanken sind wir wie besessen."
Die Bauunternehmer aber denken nicht daran, Europa City aufzugeben: Ab September haben auch sie wieder Informationsveranstaltungen für die Anwohner angekündigt.