Jule Reimer: Rauchen kann tödlich sein. Dieser Hinweis kann klein oder auch groß gedruckt auf einer Zigarettenschachtel stehen. Er kann aber auch mit Bildern von faulenden Raucherbeinen unterlegt sein.
Wegen solcher geplanter drastischer Hinweise ist der Zigarettenkonzern Philip Morris gegen die Regierung von Australien und Uruguay vor ein internationales Investorenschutz-Schiedsgericht gezogen. Unzulässige Diskriminierung lautet die Anklage.
Solche privaten Schiedsgerichte auf der Basis von internationalen Investorenschutz-Vereinbarungen sind hoch umstritten. Trotzdem wird die EU-Kommission ab kommender Woche nach einem einjährigen Moratorium erstmals wieder mit den USA über den Investorenschutz im geplanten TTIP-Freihandelsabkommen verhandeln.
Ich fragte vor dieser Sendung Pia Eberhard von der freihandelskritischen Lobby-Organisation Corporate Europe Observatory, warum Investorenschutz-Klauseln und die Möglichkeit, vor Schiedsgerichte zu ziehen, den Gestaltungsspielraum von Regierungen in der Gesundheits- und der Umweltpolitik so sehr gefährden.
Pia Eberhard: Am Ende einer Investorstaat-Klage kann ein sehr hohes Schadensersatzurteil stehen, das weltweit vollstreckt werden kann und in Milliardenhöhe gehen kann. Letztendlich gibt es da keine Begrenzung nach oben. Und wenn ein Staat mit einer solchen Klage konfrontiert ist, oder auch der Androhung einer Klage, wird er dieses finanzielle Risiko berücksichtigen, und wir wissen von Beispielen, wo das dazu geführt hat, dass Staaten nicht reguliert haben wie geplant, oder Regulierungen verzögert haben.
Reimer: Geben Sie mal ein Beispiel?
Eberhard: Die Klagen des Tabak-Konzerns Philip Morris gegen Uruguay und Australien wegen Nichtraucherschutz-Gesetzen dort haben dazu geführt, dass Länder wie Neuseeland oder Malaysia gesagt haben, wir wollen eigentlich die gleichen Maßnahmen einführen, werden aber warten mit der Implementierung, bis diese Klagen entschieden sind, weil wir schlicht auch Angst haben, verklagt zu werden.
Reimer: Nach der vielen Kritik hat Bundeswirtschaftsminister Gabriel ein neues Verfahren vorgeschlagen: Das Investment Court System, also ein Investitions-Gerichtsbarkeitssystem, könnte man es grob übersetzen. Darin gibt es wesentliche Neuerungen, dass zum Beispiel Richter jetzt nicht mehr willkürlich von den Parteien ausgesucht werden können, oder Rechtsanwälte als Richter ausgesucht werden können, dass sie unabhängig sein sollen, dass es eine Berufungsinstanz gibt, allerhand Änderungen, mehr Transparenz. Sie sagen trotzdem, das ist alles nur Kosmetik. Warum?
Eberhard: Die jüngsten Vorschläge der EU-Kommission sehen tatsächlich eine Reihe von prozeduralen Verbesserungen vor: transparentere Verfahren, die Schiedsrichter werden nach einem etwas unabhängigeren Verfahren ausgewählt.
An den Kernproblemen des Investitionsschutzes ändert sich aber nichts. Investoren bekommen weiterhin mehr Rechte als alle anderen in der Gesellschaft und sie werden diese Rechte weiterhin nutzen können, um beispielsweise gegen Umweltgesetze zu klagen und Entschädigungen zu bekommen, die sie im nationalen Rechtssystem oder auch im Europarecht niemals bekommen würden.
Das heißt, die Gefahr dieses Systems für die Demokratie, für Politik zum Schutz des öffentlichen Interesses und den Steuerzahler sind überhaupt nicht adressiert durch diese Vorschläge.
Reimer: Wenn man den vorliegenden Text zum Investitionsschutz und auch zu diesen neuen Investitions-Gerichtsbarkeitsverfahren liest, den die EU-Kommission jetzt den USA präsentieren wird, dort ist ja das Recht der Staaten, Gesetze zu erlassen, ausdrücklich noch mal hervorgehoben. Warum sollte das eingeschränkt sein?
Eberhard: Die Formulierungen zum Rechtsregulieren sind ein schönes Beispiel dafür, wie die Kommission wissentlich Fallstricke einbaut in einen juristischen Text, sodass er sich für den Laien weiterhin gut anhört.
Der Laie liest das und denkt, aha, das Recht zu regulieren ist geschützt. Der Jurist mit Kenntnis in dem Feld sieht sofort: Aha, hier ist das Schlupfloch A, das kann ich umgehen, und hier ist das Schlupfloch B. Letztendlich betreibt die Kommission da schon ein Stück weit Augenwischerei gegenüber der Öffentlichkeit, bietet Investoren aber wirklich immer noch weitreichende Möglichkeiten, das Recht zu regulieren von Staaten infrage zu stellen.
"Rechtsschutz muss für alle verbessert werden"
Reimer: Es gibt aber bestimmt auch Fälle, wo tatsächlich ein bestimmter Investor getroffen werden kann, indem man ein bestimmtes Umweltgesetz macht und der dann auf die Art und Weise faktisch vielleicht auch gemachte Investitionen und all die Möglichkeiten, die er da hatte, verliert.
Wie sollen sich dann Unternehmen wehren, zum Beispiel auch, wenn es, sagen wir mal, rechtsstaatlich nicht so gut funktioniert? Wir wissen auch, zum Beispiel in einigen südosteuropäischen EU-Staaten ist das mit der Justiz, der Unabhängigkeit der Justiz auch noch nicht so ganz einfach.
Eberhard: Es ist klar, es gibt rechtsstaatliche Probleme in vielen Ländern der Welt. Aber die Probleme gibt es dort nicht nur für ausländische Investoren, sondern für alle. Wenn es rechtsstaatliche Probleme gibt, Probleme mit dem Rechtsschutz, dann muss das behoben werden für alle, nicht nur für ausländische Investoren, sondern zum Beispiel auch für einheimische Unternehmen oder Bürger. Der Ausweg kann dort nicht sein, ein Sonderrecht zu schaffen für die Akteure, die ja eher zu den Stärkeren in der Gesellschaft gehören, weil wenn ich die Macht habe, im Ausland zu investieren, dann bin ich mit Sicherheit nicht ganz arm.
Rechtsschutz muss für alle verbessert werden und nicht durch Sonderrechte für Einzelne.
Rechtsschutz muss für alle verbessert werden und nicht durch Sonderrechte für Einzelne.
Reimer: Pia Eberhard von CEO, Corporate Europe Observatory, über die neuen Schiedsgerichte, diese reformierte Variante, die die EU-Kommission gerne für TTIP aushandeln möchte.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.