Die sogenannte Hospitalisierungsinzidenz oder Hospitalisierungsrate soll die Inizidenz der Corona-Neuinfektionen als wichtigste Größe für Corona-Schutzmaßnahmen ablösen - das war schon lange im Gespräch. Inzwischen hat der Bundestag ein neues Infektionsschutzgesetz beschlossen. Es enthält die nach dem Auslaufen der epidemischen Lage am 25. November noch möglichen Maßnahmen für die Bundesländer. Diese werden an bestimmte Werte der Hospitalisierungsrate gekoppelt. Das haben die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten auf der Bund-Länder-Konferenz am 18. November beschlossen.
Ab einem Wert von drei wird demnach in einem Bundesland flächendeckend für Veranstaltungen, Restaurantbesuche und ähnliches die 2G-Regel gelten.
Ab einem Wert von sechs gilt die 2G-Plus-Regel.
Ab einem Wert von neun können noch schärfere Maßnahmen wie Kontaktbeschränkungen verhängt werden, darüber muss dann aber der Landtag entscheiden.
Ab einem Wert von sechs gilt die 2G-Plus-Regel.
Ab einem Wert von neun können noch schärfere Maßnahmen wie Kontaktbeschränkungen verhängt werden, darüber muss dann aber der Landtag entscheiden.
Die Hospitalisierungsinzidenz gibt Auskunft über die Belastung der Krankenhäuse durch die Corona-Pandemie. Sie gibt an, wie viele Covid-19-Patienten pro 100.000 Einwohner innerhalb einer Woche in eine Klinik eingewiesen wurden. Der bisherige Höchstwert lag um die Weihnachtszeit 2020 bei mehr als 15.
Die Hospitalisierungsinzidenz wird als Kennzahl allerdings auch durchaus kritisch gesehen, weil sie durch verspätete Nachmeldungen der Krankenhäuser die Realität dort eher unterschätze.
Welche Kritik gibt es am Parameter Hospitalisierungsrate?
Die Kritik an der Hospitalisierungsinzidenz betrifft vor allem das Meldeverfahren. Die Daten aus den Krankenhäusern treffen häufig erst verzögert ein, weshalb die Hospitalisierungsrate laut Fachleuten erst etwa zwei Wochen im Nachhinein ein belastbarer Wert ist und tagesaktuell eher zu niedrig angegeben wird.
Wir hinken der Realität hinterher
Kommentar zur Hospitalisierungsrate
Kommentar zur Hospitalisierungsrate
Nach Einschätzung des Epidemiologen Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut liegen die Verzögerungen daran, dass die Meldewege erst relativ neu etabliert worden sind. Manchmal werde eine Covid-Diagnose auch erst nach Aufnahme eines Patienten gestellt. Deshalb komme es immer wieder zu Nachmeldungen, was die Hospitalisierungsinzidenz zu einem "etwas zähen Indikator" mache, "der nicht wirklich scharf darstellt, was passiert", sagte Zeeb im Deutschlandfunk.
Kriterium Hospitalisierungsrate – Interview mit Hajo Zeeb, Leibniz-Institut
Momentan sei davon auszugehen, dass der Wert einen Zustand von vor einigen Tagen oder in machen Bundesländern von vor zehn Tagen bis zwei Wochen darstelle. "Und das ist natürlich für eine Steuerung in dieser Situation, wo es um knappe Intensivbetten geht, nicht optimal."
Der Intensivmediziner Christian Karagiannidis betonte im Deutschlandfunk, der stressige Klinikalltag lasse keine Zeit für das ständige Ausfüllen von Dokumenten, dafür mangele es an Aufmerksamkeit und Personalausstattung. Denn die Daten werden per Fax an das Gesundheitsamt gemeldet, und gelegentlich werde das vergessen.
Klinikauslastung und Hospitalisierungsrate: Interview mit Christian Karagiannidis (DIVI)
Welche anderen Parameter könnten sinnvoll sein?
Epidemiologe Hajo Zeeb betonte im Dlf, auf die Krankenhäuser zu schauen, sei richtig und notwendig. Um dort tatsächlich Überlastung entgegenzuwirken, brauche es aber eine genauere Angabe zur Belegung der Intensivbetten. Diese seien das Nadelöhr in der aktuellen Situation. Der Indikator der Intensivbettenbelegung sei sogar schneller verfügbar als die Hospitalisierungsrate, weil hier tagesgenau gemeldet würde, und im Vergleich genauso wichtig. "Ich hätte den mindestens gleichrangig gesehen bei der Entscheidung über weitere Maßnahmen", so Zeeb. Er sprach sich für einen kombinierten Indikator aus, der auch die Intensivbetten und auch die Inzidenz der Neuinfektionen berücksichtige.
Das RKI hat bereits im Sommer im Rahmen seiner Control-Covid-Strategie ein solches Stufenkonzept für künftige Corona-Maßnahmen entwickelt und im September aktualisiert, das aus einem Dreiklang aus Inzidenz der Neuinfektionen, Krankenhausauslastung und Intensivbettenbelegung mit Covid-19-Patienten besteht. Für jeden Indikator gibt es Schwellenwerte, ab denen die nächste der drei Stufen greift. Je nach Stufe und Setting (Gastronomie, ÖPNV, Sport etc.) schlägt das RKI dann Maßnahmen wie 3G, Beschränkung der Personenanzahl, Wegfall der Maskenpflicht oder Ähnliches vor.
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Die Deutsche Krankenhausgesellschaft hat ebenfalls schon vor Monaten die Abkehr von der Inzidenz als Leitwert gefordert und stattdessen einen Mix aus zwölf Indikatoren zur Bewertung der Pandemielage ins Spiel gebracht, darunter die Hospitalisierungsrate, freie Intensivkapazitäten, Todesfälle, Impfquote und R-Wert. Präsident Gerald Gaß erläuterte im Deutschlandfunk-Interview, wie die Parameter in einem Ampel-Schema visualisiert werden könnten. Wichtiger, als die eine "Glücksformel" zu berechnen, sei es, die Werte im Zusammenhang zu interpretieren, betonte er.
Inzidenz maßgeblich? Interview Gerald Gaß, Deutsche Krankenhausgesellschaft
Gérard Krause, Leiter der Abteilung Epidemiologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig, brachte folgende Indikatoren ins Spiel: die Todesfälle, die Neuaufnahmen auf der Intensivstation, die Krankenhauseinweisungen, die Zahl der Menschen, die wegen Covid-19 arbeitsunfähig sind und die Inzidenz der positiven Labortests. Daraus berechnet er einen Gesamtwert, unterteilt in fünf Gruppen der Betroffenen: nach Alter, Landkreis, Impfstatus, Beruf sowie Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe.
Warum spielte der Inzidenzwert der Neuinfektionen bisher die Hauptrolle?
In der ersten Phase der Corona-Pandemie war schnell klar: Hohe Infektionszahlen führen mit zeitlichem Verzug dazu, dass die Krankenhäuser und Intensivstationen an die Grenzen der Belastbarkeit gebracht werden – und dass die Zahl der Todesfälle steigen wird. Um reagieren zu können, war die Inzidenz der Corona-Neuinfektionen der beste frühe Indikator. Der Wert beschreibt die Zahl der Corona-Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen.
Grafik: Neuinfektionen in den vergangenen sieben Tagen pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner nach Altersgruppen
Auch für die Kontaktverfolgung der Gesundheitsämter hat der Inzidenzwert im Laufe der Pandemie eine entscheidende Rolle gespielt. Weltärztepräsident Frank Ulrich Montgomery sagte im Oktober 2020 zur damaligen kritischen 50er-Marke bei der Sieben-Tage-Inzidenz: "Das ist die Zahl, an der die Gesundheitsämter aufhören, jede Infektion nachvollziehen zu können und ein richtiges Tracing der Vorinfizierten, der anderen Infizierten machen zu können."
Warum ist der Inzidenzwert der Neuinfektionen inzwischen weniger aussagekräftig?
Ein Grund ist die fortgeschrittene Impfkampagne: Ein Großteil der Menschen und insbesondere der besonders gefährdeten Altersgruppen ist geimpft, deshalb ist die Wahrscheinlichkeit gesunken, mit einer Corona-Infektion im Krankenhaus zu landen oder daran zu sterben. Die aktuellen Neuinfektionszahlen sind anders einzuschätzen als zu Zeiten vor der Verfügbarkeit der Impfstoffe.
"Tatsächlich können wir mit höheren Zahlen im Großen und Ganzen auskommen", sagte der Epidemiologe Hajo Zeeb im Dlf. Dennoch gebe es weiterhin eine klare Beziehung zwischen Neuinfektionen und Hospitalisierung: "Etwa 0,8 oder 0,9 Prozent aller Infizierten müssen ins Krankenhaus und dort auch behandelt werden", so Zeeb. Auch die Inzidenz der Neuinfektionen habe als Indikator ihre Schwächen, weil auch hier die Meldung nicht optimal laufe. Sie sei aber ein früherer Indikator, an dem man ablesen könne, was in der nächsten Zeit passieren werde.
Intensivmediziner warnten bereits im August davor, dass im Herbst trotz steigender Impfquote eine erneute Infektionswelle mit einer möglicherweise starken Belastung der Intensivmedizin drohe. In einer Studie wurden damals verschiedene Szenarien für den Herbst simuliert. Die Intensivbettenauslastung verläuft demnach weiterhin proportional zur Inzidenz. Dank der Impfungen würden vergleichbare Intensivbettenbelegungen aber erst bei einer höheren Inzidenz als im vergangenen Winter erreicht. Doch bereits ab Inzidenzen von 200 pro 100.000 sei wieder eine erhebliche Belastung der Intensivstationen mit mehr als 3.000 Covid-19-Patienten zu erwarten, sofern die Impfquote nicht noch deutlich gesteigert werde.
"Wir brauchen die Inzidenzen weiterhin, weil sie uns extrem gut sagen, wie sich das Virus in der Bevölkerung verbreitet", sagte auch Christian Karagiannidis im Dlf. Er ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für internistische Intensiv- und Notfallmedizin.
Abkehr von der Inzidenz: Interview mit Intensivmediziner Christian Karagiannidis
Zum einen sei der Blick auf die betroffenen Altersgruppen wichtig. Zum anderen können sich auch Geimpfte infizieren. "Insofern bleiben die Inzidenzen der absolut wichtige Wert, weil er unheimlich viele Daten integriert, und er läuft natürlich der Belegung in den Krankenhäusern deutlich voraus", so Karagiannidis. Er plädierte daher ebenfalls schon im August für einen Dreiklang aus Inzidenzwert, Krankenhaus- und Intensivbettenbelegung.