„Terror und Olympismus sind zwei Gegenteile. Die nicht kombiniert werden können." Die Botschaft des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ist eindeutig: Terror und Olympismus. Zwei Gegenteile, die unvereinbar sind. Das betont er in einer Video-Konferenz mit Vertreter und Vertreterinnen aus 35 anderen Nationen, darunter auch Deutschland, Großbritannien und die USA.
Aus Selenskyjs Sicht möchte das Internationale Olympische Komitee aber genau das: Dem Terror eine Olympische Bühne bieten. Indem man schon bald wieder russische und belarussische Athletinnen und Athleten an den Start gehen ließe – wenn auch unter neutraler Flagge. "Solange Russland tötet und terrorisiert, haben Repräsentanten dieses Terror-Staates keinen Platz im Sport und bei Sport-Wettbewerben. Das kann auch nicht durch eine angebliche Neutralität oder weiße Flaggen kaschiert werden. Weil Russland inzwischen ein Land ist, das alles mit Blut verschmiert, selbst eine weiße Flagge."
35 Nationen arbeiten an einer Stellungnahme
Die Kritik aus der Ukraine ist scharf, wird aber von vielen politischen Amtsträgern weltweit geteilt. Wie das litauische Sportministerium mitteilt, arbeiten alle 35 Nationen an einer gemeinsamen Stellungnahme. Sportlerinnen und Sportler aus Russland und Belarus sollen demnach weiterhin bis Kriegsende ausgeschlossen werden. Aus Deutschland war Staatssekretär Mahmut Özdemir als Vertreter des Bundesinnenministeriums dabei. Für ein Interview stand er nicht zur Verfügung.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser betonte aber erst im Januar, sie halte das Vorhaben des IOC für den völlig falschen Weg. Diese Position habe das Bundesinnenministerium auch bei den Beratungen mit Selenskyj in dieser Woche noch einmal deutlich gemacht, schreibt das BMI auf Anfrage.
"Das IOC sollte sich doch eigentlich darüber Gedanken machen, wo sind rote Linien, die ein Staat eben nicht mehr überschreiten darf?", sagt Fechterin Léa Krüger, Vertreterin des Vereins "Athleten Deutschland", im Deutschlandfunk Players-Podcast. "Weil momentan ist es ja so, dass Russland sich alles erlauben darf. Sie machen immer weiter, begehen einen Bruch des Völkerrechts nach dem nächsten und verletzen auch die Werte des Sports. Und ich finde, dass darüber die Diskussion sein sollte."
Athleten Deutschland kritisiert IOC-Vorhaben
Wie viele Athletenvertretungen kritisiert auch Athleten Deutschland das Vorhaben des Internationalen Olympischen Komitees. Ende Januar hatte das IOC kommuniziert, dass inzwischen eine Mehrheit im Weltsport die Meinung vertrete, dass ein Ausschluss von russischen und belarussischen Athletinnen und Athleten nicht länger tragbar sei. Einer der Haupt-Auslöser dafür sei ein Schreiben zweier UN-Expertinnen gewesen, die in diesem Ausschluss einen klaren Verstoß gegen die Menschenrechtskonventionen sehen.
UN-Beobachterin Xanthaki: Generalausschluss nicht mehr zielführend
Eine davon ist die Griechin Alexandra Xanthaki, UN-Sonderberichterstatterin für kulturelle Rechte. Sie fordert gegenüber dem Deutschlandfunk: „"Wir müssen unterscheiden zwischen den einzelnen Staaten und den Entscheidungen dieser einzelnen Staaten, und Menschenrechten. Und wir müssen deutlich machen, dass wir Menschenrechte von individuellen Personen nur zu dem Grad einschränken, der unbedingt nötig ist, um ein legitimes Ziel zu erreichen."
Ein Generalausschluss von russischen und belarussischen Sportler und Sportlerinnen – für UN-Expertin Xanthaki inzwischen nicht mehr zielführend. Diese Athleten und Athletinnen also nur aufgrund ihrer Nationalität auszuschließen, sei eine Form der direkten Diskriminierung. "Eine Nicht-Diskriminierung, das geht gar nicht mehr", meint dagegen Athletensprecherin Léa Krüger.
"Weil zum Beispiel die Ukrainer noch nicht einmal trainieren können, weil Russland, der Staat, Bomben auf ihre Trainingsstätten schmeißt. Es sind mehrere Athleten und Athletinnen in dem Krieg bereits gestorben auf ukrainischer Seite. Die werden nirgendwo mehr antreten können. Und das heißt, dass man hier auch ganz klar sagen muss: Es findet hier doch eigentlich schon eine Diskriminierung Russlands gegenüber der Ukraine statt."
Xanthaki: Menschenrechte sind universell und kein Politikum
Auch UN-Beobachterin Alexandra Xanthaki verurteilt den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Trotzdem sagt sie: Menschenrechte sind universell und kein Politikum, das verhandelbar ist. Sie wundert sich über die scharfe Kritik aus der europäischen Politik.
"Deutschland und andere Länder haben Konventionen unterschrieben und ratifiziert, die besagen, dass es keine ethnische Diskriminierung geben darf. Vor allem keine direkte. Deutschland und auch andere Länder müssen diese rechtlichen Verpflichtungen jetzt auch respektieren, die sie sich ja selbst auferlegt haben. Wir respektieren diese Verpflichtungen im Bezug auf Menschenrechte nicht nur, wenn es uns passt oder wenn wir dem Verhalten der anderen zustimmen."
Xanthaki unterstützt daher den Plan des IOC, russische Athleten unter neutraler Flagge starten zu lassen – fordert aber, den Fokus noch mehr auf Menschenrechte zu legen. "Sodass, wenn sich ein Russe oder Belarusse oder ein anderer Athlet aus irgendeinem Land in Kriegspropaganda engagiert, diese Athleten gesperrt werden. Wenn ein Athlet die Menschenrechte verletzt, soll dieser Athlet gesperrt werden. Aber auf einer individuellen Ebene. Und nicht auf der Grundlage, dass deren Staaten schreckliche Gräueltaten begangen haben."
IOC-Präsident Bach schickte Brief an das ukrainische NOK
Für den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyi besteht da kein Unterschied. Sport und Politik – aus seiner Sicht in Russland untrennbar. Deshalb droht die Ukraine mit einem Boykott der Olympischen Spiele in Paris 2024. Ein Boykott, der aus Sicht des IOC aber gegen die Olympischen Grundprinzipien verstoße. IOC-Präsident Thomas Bach richtete sich in einem Brief Ende Januar an direkt an das Ukrainische Olympische Komitee: Jedes Nationale Olympische Komitee habe sich demnach verpflichtet, Athletinnen und Athleten zu Wettbewerben zu entsenden.
Von einer Boykottankündigung sehen andere Nationen weiterhin ab, das wurde in dieser Woche deutlich. Aber: Der Streit um den Ausschluss von russischen und belarussischen Sportlerinnen und Sportlern ist längst zu einem Politikum geworden.