Damals, im September 2013 in Buenos Aires, als er im zweiten Wahlgang mit 49 Stimmen zum IOC-Präsidenten gewählt wurde, war seine erste Reaktion: "Uff." Vielleicht war es ein Ausdruck der Erleichterung, weil Thomas Bach erst im zweiten Wahlgang erfolgreich gewesen war. Fünf weitere Kandidaten waren gegen den deutschen Juristen angetreten. Bach hatte das Ziel, dieses höchste Amt im Sport zu bekleiden, lange vorbereitet und war unterstützt worden durch den kuwaitischen Scheich und Multifunktionär Achmad al-Sabah.
Acht Jahre sieht die olympische Charta für die erste Amtszeit vor, die dann nochmal für vier Jahre verlängert werden kann. "Ich bin bereit für eine zweite Amtszeit als IOC-Präsident", verkündete Bach auf der ersten wegen der Corona-Pandemie digital durchgeführten IOC-Session im vergangenen Juli. Daran, dass der 67-Jährige für weitere vier Jahre an der Spitze des neben der FIFA mächtigsten Sportweltverbandes regieren wird, besteht kein Zweifel. Es gibt keinen Gegenkandidaten für den ehemaligen Fechter und FDP-Politiker bei der Wahl, die auf der Tagesordnung der 137. IOC-Sitzung am Mittwoch in Athen steht.
Unterstützer Al-Sabah fehlt wegen einer Anklage in der Schweiz
Al-Sabah wird dieses Mal nicht mitstimmen. Als die Schweizer Justiz das Mitglied der kuwaitischen Königsfamilie im Herbst 2018 wegen Urkundenfälschung anklagte, suspendierte er sich selbst.
Auch andere einstige Top-Funktionäre im IOC-Kosmos und ehemals enge Gefährten von Bach mussten die olympische Bühne bereits verlassen, wie der Senegalese Lamine Diack, der Ire Pat Hickey oder der Brasilianer Artur Nuzman. Korruption, Geldwäsche, Ticketskandale – die Liste der Vergehen ist lang.
Bachs Anspruch war hoch, doch der Ziele wurden verfehlt
Was lässt sich also sagen über die ersten acht Jahre von Thomas Bach als IOC-Präsident? Sein Anspruch bei Amtsantritt war hoch. "Mehr Nachhaltigkeit, mehr Vielfalt bei Olympischen Spielen, die Glaubwürdigkeit und die Integrität der Sportorganisation und der sportlichen Wettbewerbe, der Ermutigung der Mitglieder mehr an den Entscheidungen des IOC mitzuwirken und schließlich sich an die Jugend zu wenden mit dem Ziel, sie wieder zu mehr Sporttreiben zu bewegen und den Sport nicht nur zu konsumieren, dann am Fernsehschirm oder am PC."
Die Reformagenda 2020, einstimmig 2014 in Monaco beschlossen, sollte dem Gigantismus, der Naturzerstörung, der Kostenexplosion entgegenwirken. Doch die seither ausgetragenen Spiele in Rio und Pyeongchang und auch die Spiele in Tokio und Peking sind keine bescheideneren, umweltfreundlicheren oder kostengünstigere Sportgroßveranstaltungen. Jedes Mal werden neue Rekordsummen erreicht. Auch wegen der ausufernden Kosten sank das Interesse an der Austragung, Bewerber zogen sich reihenweise zurück, die Bevölkerungen in demokratischen Ländern votierten gegen Olympia in ihren Ländern, im Verfahren für die Winterspiele 2022 blieben nur das kasachische Almaty und Peking übrig.
Nach diesem Verfahren nagelte das IOC die Bewerber für die Sommerspiele 2024 Paris und Los Angeles lieber gleich beide fest, Paris für 2024 und LA für 2028, sicher ist sicher. Bach kommentierte das mit einem Bild, das an die sprichwörtliche Taube auf dem Dach und den Spatz in der Hand erinnert. Er änderte es ab, indem von zwei Tauben sprach, die er mit den beiden Metropolen als Ausrichter in der Hand habe.
Größter Schatten auf Bachs Amtszeit: Der Umgang mit Russland
Inzwischen gibt es wieder mehr Interessenten, das Auswahlverfahren ist geändert, transparenter ist es nicht geworden. So jedenfalls ist der bisherige Eindruck, der sich auch durch die Entwicklungen rund um das Bewerbungsvorhaben von Rhein-Ruhr für 2032 aufdrängt. Dabei wurden die Beteiligten überrascht von der Entscheidung des IOC, mit Konkurrent Brisbane bevorzugte Gespräche führen zu wollen.
Als größter Schatten in Bachs Amtszeit steht der vielen Beobachtern zu lasche Umgang mit Dopingsünder Russland. Das staatliche Dopingsystem wurde umfassend belegt im McLaren-Report und durch den Kronzeugen Grigory Rodchenkov, der als Leiter des Moskauer Anti-Doping-Labors den Betrug umgesetzt hatte. Und die Konsequenz?
Nur die russischen Leichtathleten wurden seither ausgeschlossen, weil der Leichtathletik-Weltverband als einziger Fachverband so entschied. Alle anderen russischen Athletinnen und Athleten dürfen weiter starten, rund 300 in Rio, etwa 170 in Pyeongchang. Dort dann als olympische Athleten aus Russland ohne Nationalsymbole in neutraler Kleidung und ohne Flagge.
"Es war eine Grundsatzentscheidung, die in weiten Teilen auch mitgetragen worden ist, die auch Kritik erfahren hat. Es ist eine Grundsatzentscheidung zu Gunsten der individuellen Gerechtigkeit gegenüber Athleten und dass man nicht Athleten bestraft, die an diesem System nicht beteiligt waren. Dass man hier nicht einfach mit der Sense drüber fährt, sondern dass jeder das Recht hat auf individuelle Gerechtigkeit."
Das System war demaskiert, aber nicht die einzelnen SportlerInnen, das Vertuschungssystem hatte sie geschützt. Was bleibt ist die Botschaft, dass unter IOC-Präsident Thomas Bach selbst bei einem aufgedeckten Dopingbetrug eine drastische Sanktion ausbleibt und Wettbewerbsverzerrungen in Kauf genommen werden. In einem CNN-Interview sagte Thomas Bach im August 2018, der Kampf gegen Doping könne nicht gewonnen werden, es klang wie eine Kapitulation: "Doping wird es immer geben. Es ist einer der Kriege, die man nicht gewinnen kann."
Politische Haltung? "Wir sind keine Weltregierung"
Die damalige IOC-Athletenvertreterin Claudia Bokel äußerte vor den Spielen 2016 in Rio Bedenken gegen die Russland-Entscheidung, sie verwies darauf, dass sich eine überwältigende Mehrheit der AthletInnen für den Ausschluss Russlands ausgesprochen hätte. Bach widersprach im DLF Sportgespräch: "Sie hat sich am Ende der Stimme enthalten, genau aus dem Grunde, dass nämlich nicht die Meinung der Athleten gab, sondern dass die Athleten sehr gespalten waren in ihrer Auffassung."
Anders als viele Athletenvertreter zuvor ist Claudia Bokel seit Ablauf ihrer Amtszeit nicht mehr weiter im oder für das IOC tätig. Inzwischen haben sich weltweit unabhängige Athletenvertretungen gebildet, die sich gegen die vereinnahmenden Regeln des IOC positionieren. Allen voran der Verein Athleten Deutschland mit professionellen Strukturen, eigenem Etat, eigenem Personal. Es wird der Finger in die Wunden gelegt: Zum Beispiel, wenn es um das Thema politische Meinungsäußerungen im olympischen Kontext geht, Regel 50 der Charta. Ein Jahr vor den Spielen in Peking ist es angesichts der Menschenrechtsverletzungen in China, vor allem angesichts der Notlage der Uiguren, noch auffallend still.
Ob da noch etwas kommt? Ende 2019 jedenfalls erklärte Thomas Bach zu der Regel 50: "Die Verantwortung des IOC bezieht sich auf die olympischen Spiele. Wir sind keine Weltregierung, die dafür Sorge tragen kann, dass ein souveränes Land Gesetze verabschiedet, bestimmte Standards einhält. Das ist die Aufgabe der Politik."
Anders fällt seine Bewertung aus, wenn es um Nord- und Südkorea geht. Dafür, dass in Pyeongchang die beiden tief getrennten Länder etwa beim Eishockey-Frauenteam zusammen auftraten, ließ sich der IOC-Präsident feiern und nahm den Seouler Friedenspreis gerne entgegen.