Bach-Nachfolge
Watanabes Vision für das IOC und Olympia

Das IOC wählt auf dem Kongress im März einen Nachfolger für den Vorsitzenden Thomas Bach, entscheidet aber auch über neue Konzepte für Olympische Spiele. Der Japaner Morinari Watanabe tritt mit der Idee an, das IOC zu demokratisieren und die Spiele an mehreren Orten gleichzeitig austragen.

Von Felix Lill |
    Morinari Watanabe während eines Festakts des Deutschen Turner-Bundes
    Tritt als Reformer für Olympia und das IOC an: Morinari Watanabe (picture alliance / dpa | Hasan Bratic)
    Morinari Watanabe hat ein großes Versprechen: "Als Kompass wünsche ich mir, dass die Olympischen Spiele wieder von allen und überall geliebt werden. Darauf möchte ich zusteuern." Dies sagte Watanabe im September vergangenen Jahres, als der Japaner verkündete, dass er der nächste Präsident des Internationalen Olympischen Komitees werden will.
    Für die größte Sportveranstaltung der Welt habe der Chef des Weltturnverbands außerdem eine Vision, die in Sphären des IOC geradezu demokratisch wirkt: "Statt eines Events, wo alles von oben entschieden wird, möchte ich die Graswurzelprozesse stärken. Ich will Prägung von unten."

    Watanabes Versprechen: Mehr Transparenz und Demokratie im IOC

    Was Watanabe konkret will: Ein IOC wie ein Parlament, also einem Unterhaus aus 206 Nationalen Olympischen Komitees und einem Oberhaus aus 120 IOC-Mitgliedern. Mit ihm als neuen IOC-Präsidenten sollen so Entscheidungen transparenter und fairer werden.
    Der scheidende IOC-Präsident Thomas Bach scheint davon auszugehen, dass mit seinem Abtreten Änderungen kommen. Auch wenn er offenlässt, was er erwartet. Ende letzten Jahres erklärte Bach mit Hinblick auf die Zukunft der Spiele: "Wir müssen jetzt lernen. Wenn wir bis zu den nächsten Spielen warten, und es dann nicht so gut läuft, ist es zu spät. Wir müssen also jetzt, wo wir den Erfolg der letzten Spiele von Paris noch genießen, arbeiten, um uns weiterzuentwickeln."
    Was die Programme eint: Sie versprechen mehr Geschlechtergleichheit, mehr Einfluss der Athlet*innen, Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Wie genau, bleibt allerdings oft unkonkret.

    Sieben Kandidaten für IOC-Vorsitz und Nachfolge von Thomas Bach

    Und damit steckt das IOC also im Wahlkampf. Eine Übersicht:
    Kandidat Sebastian Coe, derzeit Chef des Weltleichtathletikverbands, will Olympioniken künftig besser auf eine Karriere nach Olympia vorbereiten.
    Faisal Bin al-Hussein, Prinz von Jordanien, wirbt mit einer Neuorganisation des Wettkampfkalenders, um Herausforderungen des Klimawandels besser zu begegnen.
    Johan Eliasch, Chef des Internationalen Skiverbands, will die Winterspiele zwischen permanenten Orten rotieren lassen und in deren Größe Regenwaldfläche sichern.
    Auch David Lappartient, Vorsitzender des Internationalen Radsportverbands, verspricht, Olympia würde mit ihm den Planeten nicht mehr schädigen, sondern schützen.
    Kirsty Coventry, Ex-Schwimmerin aus Simbabwe, will die Digitalisierung und Nutzung von Künstlicher Intelligenz im Sport ins Zentrum rücken.
    Und Juan Antonio Samaranch Junior, Sohn des gleichnamigen einstigen IOC-Präsidenten, würde Athleten mehr Selbstvermarktung gestatten.

    Watanabes Vision: Olympia auf fünf Kontinenten gleichzeitig

    Die originellsten Vorschläge aber kommen von Morinari Watanabe – denn nicht nur seine Idee eines olympischen Parlaments wird mittlerweile weltweit diskutiert.
    "Die Olympischen Spiele in fünf Städten auf fünf verschiedenen Kontinenten gleichzeitig? Dies ist die brilliante Idee des Japaners Morinari Watanabe. Sein Programm ist wohl das radikalste unter den sieben Kandidaturen. Denn die Sportarten würden sich auf verschiedene Orte aufteilen und damit auch das Zentrum der Spiele insgesamt!", hieß es Anfang der Woche in einer Diskussionsrunde des brasilianischen Senders Jovem Pan.
    Würde Olympia simultan auf fünf Kontinenten ausgetragen, wäre vieles anders als bisher: Bestimmte Sportarten könnten an klimatisch passenden Orten steigen. Durch die Nutzung verschiedener Zeitzonen könnte rund um die Uhr Livesport übertragen werden. Einschaltquoten dürften dadurch deutlich steigen.

    Mehrere Ausrichterstädte für Olympia - dadurch auch weniger Kosten?

    Mehrere Kritikpunkte an der bisherigen Art, Olympia zu organisieren, würden damit womöglich adressiert.
    So sagt Jules Boykoff, Politikprofessor an der US-amerikanischen Pacific University und bekannter Olympiakritiker: "Trotz der großen Probleme rund um Olympia – von hohen öffentlichen Ausgaben über Militarisierung bis zu Greenwashing – sind die Spiele in der Öffentlichkeit bisher beliebt gewesen. Aber in den Gastgeberstädten ist das weniger der Fall. Faktisch würden die meisten Städte, die Olympia veranstaltet haben, nicht erneut Gastgeberin sein wollen."
    Mit Watanabes Konzept könnte sich dies ändern. Nicht nur, weil mit einem IOC-Parlament die Entscheidungen durchsichtiger werden müssten. Mit mehreren Gastgeberinnen gleichzeitig würden auch die Kosten pro Stadt sinken - und die Olympiaausrichtung in mehr Ländern bezahlbar werden.
    Ein anderer Kritikpunkt von Jules Boykoff würde dagegen kaum tangiert: "Olympische Spiele balancieren seit langem zwischen Kosmopolitanismus und Chauvinismus. Und bei der Art, wie sie bisher organisiert werden, befördern sie nämlich Nationalismus. Wenn es bei den Spielen um Internationalismus ginge statt Hypernationalismus, könnten zum Beispiel bei der Eröffnungsfeier alle Kugelstoßerinnen oder alle Fußballer zusammen einlaufen. Stattdessen laufen die Athleten nach Ländern geordnet, womit politischer Nationalismus gefördert wird, oder sogar Hypernationalismus."
    Dies liege nicht nur an Nationenvergleichen wie dem Medaillenspiegel, sondern auch an den oft nationalistisch anmutenden Werbekampagnen der Austragungsstädte. Und die könnten sich sogar verstärken, wenn plötzlich fünf Städte gleichzeitig um globale Aufmerksamkeit wetteifern.

    Watanabe Außenseiter im Rennen um Bach-Nachfolge

    Der 65-jährige Watanabe, der nie Spitzensportler war, dafür aber ein Sportmanager des Multikonzerns Aeon, gilt bei der Wahl für das IOC-Präsidentenamt als Außenseiter.
    Als Favoriten gelten der Brite Coe, die Simbabwerin Coventry und der Franzose Lappartient. Aber indem Watanabes Ideen schon jetzt diskutiert werden, könnte er so oder so Einfluss auf das Olympia der Zukunft haben.