Archiv

IOC zu Russland
"Mulmiges Gefühl bei dieser Selbstgerechtigkeit der Deutschen"

Im Zuge des russischen Dopingskandals fordert die Doping-Opfer-Hilfe (DOH) Konsequenzen auch für Deutschland. So sei die Spitze des Deutschen Olympischen Sportbundes nicht glaubwürdig, sagte die Vorsitzende Ines Geipel im DLF. Der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees Thomas Bach müsse gehen, sollte er Russland nicht von Rio ausschließen.

Ines Geipel im Gespräch mit Christine Heuer |
    Die Vorsitzende des Doping-Opfer-Hilfe-Vereins, Ines Geipel.
    Die Vorsitzende des Doping-Opfer-Hilfe-Vereins, Ines Geipel. (dpa-Bildfunk / Rainer Jensen)
    Für das Internationale Olympische Komitee könne es nach dem WADA-Bericht über systematisches Staatsdoping Moskaus "nur eine Entscheidung" geben, so Geipel im Deutschlandfunk. Der Report sei "an Eindeutigkeit nicht zu überbieten", nun müsse man "zum Schutz der Opfer den Break machen".
    Für eine Medaille würden "500 Athleten verbrannt" in Russland. "Es ist der russische Sportkrieg von Putin, der hier läuft", so die ehemalige DDR-Leichtathletin, die selbst anerkanntes Dopingopfer ist.
    "Old-Boy-Strategie" in Deutschland
    Doch könne man kann angesichts der "Selbstgerechtigkeit der Deutschen im Moment" ein mulmiges Gefühl haben: "Wir haben es auch nicht geschafft, dass Staatsdoping der DDR aufzuklären." Die Sportoberen hierzulande seien "nicht in der Lage, die DDR und ihre Opfer ernst zu nehmen". Geipel spricht von einer "Old-Boy-Strategie", der seit vielen Jahren Funktionäre in der Sportpolitik verpflichtet seien und für die Athleten "den Preis zahlen müssen".
    Es gehe nun darum, "die globale Krise des Sports in unser Land reinzurechnen", und dies beinhalte auch die Forderung nach Rücktritten. Ob sie damit auch Alfons Hörmann und Michael Vesper, Präsident und Vorstandsvorsitzender des Deutschen Olympischen Sportbundes, meine, antwortete Geipel, beide seien "keine glaubwürdigen Funktionäre".

    Das Interview in voller Länge:
    Am Telefon ist jetzt Ines Geipel, ehemalige Sprinterin in der DDR-Leichtathletik-Nationalmannschaft, heute Vorsitzende der Doping-Opfer-Hilfe. Guten Morgen, Frau Geipel.
    Ines Geipel: Guten Morgen, Frau Heuer!
    Heuer: Das IOC vertagt seine Entscheidung. Ist das Thomas Bachs Kniff, die Russen doch noch im Spiel zu halten?
    "Es kann eigentlich auch nur eine Entscheidung geben des IOC"
    Geipel: Ja, na klar. Das ist diese Form des Zeitspiels. Wir kennen ja die Protagonisten in dieser Choreographie und auch die sportpolitischen Volten, die jetzt um sich greifen. Allerdings ist die Sachlage sehr klar in diesem Fall, wäre es zum Beispiel aber auch schon 2009 in China gewesen, genau das nämliche Staatsdoping, Geheimdienst und so weiter. Wir haben jetzt eine ganz klare Sachlage, sehr, sehr viele Belege, und deswegen kann es eigentlich auch nur eine Entscheidung geben des IOC.
    Heuer: Nämlich?
    Geipel: Die Russen dürfen nicht starten!
    Heuer: Alle dürfen nicht starten, kein einziger russischer Sportler in Rio?
    Geipel: Na ja, bis auf die, die nicht in Russland sind, meinethalben Frau Stepanova, die sich das ja auch hart erkämpft hat, dieses Startrecht.
    Heuer: Auf die kommen wir gleich noch zu sprechen, glaube ich jedenfalls, wenn wir es schaffen. - Nun erheben die Russen ja immer den Vorwurf, wenn alle russischen Sportler gesperrt würden, dann sei das so etwas wie Sippenhaft. Was entgegnen Sie denn?
    Geipel: Na ja, das ist eine ganz klare Richtlinie. Es gibt eine olympische Charta. Die olympische Charta fordert, dass die olympischen Komitees der Länder sich dem Anti-Doping-Kampf verschreiben. Das ist hier definitiv nicht passiert, sondern genau das Gegenteil, und insofern müssten sich die Athleten natürlich an das russische Olympische Komitee wenden. Hier wird sozusagen eine Diskussion verlängert, erweitert. Das ist ein Problem der Russen zu allererst.
    Heuer: Entscheiden muss jetzt eigentlich das IOC oder sein Chef Thomas Bach. Der ist ein Intimus von Wladimir Putin. Jeder weiß, dass die beiden sehr eng miteinander sind. Wie, glauben Sie, geht die Sache aus?
    Geipel: Die geht aus, indem der Druck der aktiven Athleten in der Welt und vor allen Dingen auch der NADAs hoffentlich in dieser Woche weiter sehr hoch bleibt, und dann kann es, egal ob KAS oder nicht, eigentlich keine andere Entscheidung geben.
    Heuer: Und auch in der Kürze der Zeit, weil die Olympischen Spiele ja wirklich jetzt sehr bald beginnen?
    Geipel: Ja. Das ist natürlich jetzt genau diese Gemengelage: das versuchte Zeitspiel des IOC, aber auch die sehr genaue Sachlage. Es gibt diesen McLaren-Report, der ist ja an Eindeutigkeit nicht zu überbieten. 20 von 28 olympischen Sommersportarten sind gedopt gewesen bei den Russen, sieben von acht olympischen Wintersportarten. Da bleibt ja nicht viel übrig!
    Heuer: Wenn das IOC sich anders entscheidet und sagt, nein, das entscheiden wir jetzt erst mal nicht, jetzt fangen wir mal an mit den Olympischen Spielen, dann kommen die russischen Sportler, was bedeutet das dann aus Ihrer Sicht eigentlich für Thomas Bach? Müsste der dann nicht abtreten?
    Geipel: Ja klar, er muss gehen. Das wäre ein Kotau für das IOC und auch für den gesamten Anti-Doping-Kampf, aber auch für das, was in Rio stattfinden soll. Wir haben jetzt hier das Maximum an Brisanz und auch an Beleg und insofern, glaube ich, gibt es hier nicht so sehr viel Handlungsspielraum. Es gibt keinen alternativen Fahrplan für Herrn Bach.
    Heuer: Sie haben Ihre Erfahrungen mit dem Staatsdoping in der DDR gemacht, schlimme Erfahrungen. Glauben Sie, Russland hat niemals mit dem Staatsdoping seiner Sportler aufgehört?
    "Das ist im Grunde der russische Sportkrieg von Putin"
    Geipel: Hat nicht aufgehört. Ich hatte die Möglichkeit, nach '89 mit Anti-Doping-Experten der Russen zu sprechen, Interviews zu machen. Da war das ganz klar. Die haben ihre alten Helden hochgehalten, sie haben das sehr, sehr hochgezogen. Das ist im Grunde der russische Sportkrieg von Putin, der hier läuft, und man muss sich vor Augen halten, dass für jede olympische Medaille, die die Russen erkämpfen, 500 Athleten verbrannt werden, und da geht es um Kinder wieder, um Jugendliche und um viele, viele Opfer. Das muss man schon, diesen Break muss man jetzt schon auch zum Schutz der vielen aktiven Athleten in Russland selber machen, weil man ja weiß, dass während der Olympischen Spiele Mannschaften chemisch sehr hochgezogen werden, und hier darf es jetzt überhaupt in keiner Sekunde nachdenken, ob Russen in Rio starten dürfen. Das wäre fatal.
    Heuer: Frau Geipel, glauben Sie eigentlich, dass die russischen Sportler alle wissen, dass sie gedopt werden, oder gibt es da auch so ein System des Zwangsdopings, wie Sie das aus der DDR gekannt haben?
    Geipel: Es ist natürlich jetzt nicht ganz einfach, das zu spekulieren. Aber wie gesagt, es wird sehr, sehr viele junge Athleten geben, die in dieses Staatsdoping hineingezogen werden und die natürlich nicht informiert werden. Das ist schon sehr ernst zu nehmen, dass wir hier viele Hunderte Opfer in der Zukunft haben werden, und deswegen: das ist hier hoch kriminell, was läuft, alles das, was wir sehen konnten bisher an Belegen.
    Das Staatsdoping der DDR sei bis heute nicht wirklich aufgeklärt
    Heuer: Wieso wird das eigentlich jetzt erst aufgedeckt?
    Geipel: Ja, das ist die große Frage. Jeder der sich mit dem Sport befasst hat wusste seit Jahren, wenn man den russischen Biathlon angeschaut hat, dass hier in hohem Maße chemisch nachgeholfen wird. Ja, wir haben jetzt erst die Whistleblower gehabt, die Stepanovas, Rodschenkow, wir haben erst vor anderthalb Jahren die Filme der ARD gehabt. Es braucht diese Belege. Wie gesagt, es gibt Staatsdoping auch in anderen Ländern, und es wäre eine Katastrophe, wenn wir diese massive Krise des Sports verschwenden würden. Wir können uns ja jetzt auch nicht einfach als die Guten präsentieren. Man kann schon ein mulmiges Gefühl haben vor dieser Selbstgerechtigkeit der Deutschen im Moment, denn wir haben es ja auch nicht geschafft, das Staatsdoping der DDR in wirklicher Weise aufzuklären.
    Heuer: Sie haben jetzt zweimal Juliya Stepanova erwähnt, die Läuferin. Sie hat den Stein ins Rollen gebracht. Und Ihr Verein, die Doping-Opfer-Hilfe, zeichnet sie dafür mit dem Anti-Doping-Preis 2016 aus. Aber Juliya Stepanova, die zahlt dafür auch einen hohen Preis. Sie lebt versteckt im Exil. Wie kann der Sport Whistleblower wie Frau Stepanova schützen?
    Juliya Stepanova habe beispiellosen Mut bewiesen
    Geipel: Na ja, indem sie diesen Akt, diese Haltung, diese Zivilcourage tatsächlich ernst nimmt und indem der Sport, der organisierte Sport, eben das IOC beispielsweise Juliya Stepanova hineinnimmt in den Sport. Sie lebt unter extremen Bedingungen, sie braucht finanzielle Hilfe, es läuft heute ein Fund Grounding an, und insofern muss man ihr vor allen Dingen auch in der Lebenssituation helfen.
    Heuer: Aber die Verbände, das IOC zum Beispiel, die machen das bisher nicht?
    Geipel: Nein, eben! Das muss man fordern und deswegen ist das ja auch ein Signal von uns als DOH zu sagen, sie braucht den Preis, ihr gehört der Preis, sie ist unwahrscheinlich mutig in dieser Situation. Es ist ja ein aktives Staatsdoping. In dieser Situation rauszugehen und zu sagen, das passiert hier, das ist beispielloser Mut.
    Heuer: Alfons Hörmann, der DOSB-Präsident, den wir vor wenigen Minuten ja schon mal im O-Ton gehört haben, der hat im Deutschlandfunk hier kürzlich gesagt, er würde jeden Whistleblower mit offenen Armen empfangen. Raten Sie Athleten, sich in diese Arme zu flüchten, wenn sie Doping aufdecken möchten?
    "Die den Preis bezahlen müssen, das sind immer die Athleten"
    Geipel: Ja, es ist sowieso schwierig, was wir hier von den Sportobersten hören, von Vesper und Hörmann jetzt in dieser Situation. Man muss schon ernst nehmen, dass sie nicht in der Lage sind, bis heute nicht, den DDR-Sport ernst zu nehmen und auch die Opfer ernst zu nehmen. Man hört immer diese Sätze, wir spüren Verantwortung, und was das in Tat und Wahrheit bedeutet, das weiß man nicht so genau. Klar: Wir brauchen mehr Aufklärung auch in Deutschland in Sachen Doping. Natürlich wird in Deutschland auch gedopt. Natürlich gibt es auch heute oder entstehen oder werden produziert Opfer. Aber sehr vertrauenswürdig ist das, was der DOSB in diesem Kontext macht, nicht.
    Heuer: Woran liegt das denn?
    Geipel: Ja, wir haben natürlich eine Old Boy Strategie seit vielen, vielen Jahren, und die Funktionäre, die jetzt dran sind, die Sportpolitik machen, sind nach wie vor dieser Politik verpflichtet. Man richtet sich ein, das sind gute Stellen und die, die den Preis bezahlen müssen, das sind immer die Athleten, und insofern ist das natürlich immer noch eine Abwägungsfrage.
    "Dreckige Sportpolitik über Jahre"
    Heuer: Aber das ist so eine Art Abwägungsfrage, die eigentlich auch zu Rücktritten führen müsste, Frau Geipel, wenn ich Ihnen folge?
    Geipel: Absolut, ja! Das ist jetzt der Punkt, ja. Hier bricht etwas auf und das ist gut. Der Druck ist massiv, weltweit massiv. Aber wie gesagt, wir können diese große Krise des globalen Sports, müssen wir reinrechnen in unser Land und das ernst nehmen, was passiert. Und klar, dann muss auch die Forderung stehen, dass Leute, die über Jahre diese dreckige Sportpolitik gemacht haben, eben auch zurücktreten.
    Heuer: Und das gilt auch für Alfons Hörmann und Michael Vesper in Deutschland?
    Geipel: Na ja, wenn man sich überlegt, was da in den letzten Wochen Thema war, die Dachziegel-Katastrophe sozusagen und eben auch bei Herrn Vesper die Good Governance Geschichte, wo ja nie klar wird, was ist da eigentlich der Hintergrund, was verhandeln wir hier eigentlich, das sind ja keine glaubwürdigen Funktionäre.
    Heuer: Ines Geipel, ehemalige Sprinterin in der DDR-Leichtathletik-Nationalmannschaft, selbst Dopingopfer und Vorsitzende der Doping-Opfer-Hilfe war das. Frau Geipel, vielen Dank für das Gespräch.
    Geipel: Ich danke auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.