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Iphigenia auf deutsch-koreanisch
Wiedervereinigung als Tabubruch auf der Bühne

Frauen, die an Schicksalen und Trennungen, inneren und äußeren Mauern verzweifeln: Vier koreanische und ein deutscher Regisseur haben Goethes "Iphigenie" zeitgenössisch uminterpretiert. "Walls - Iphigenia in Exile" heißt die Theaterproduktion, die am 23. Oktober im Deutschen Theater in Berlin Premiere feiert. Ein Stück mit Sprengkraft - vor allem im noch immer geteilten Korea.

Von Christiane Habermalz |
    Kotti Yun und Hyuan Jun Ji in "Walls − Iphigenia in Exile"
    Kotti Yun und Hyuan Jun Ji in "Walls − Iphigenia in Exile" (Foto: Deutsches Theater / Arno Declair)
    Iphigenie, entwurzelt und vereinsamt, ist auf die Insel Tauris verbannt und verzehrt sich in Sehnsucht nach der griechischen Heimat.
    "Weh dem, der fern von Eltern und Geschwistern/ ein einsam Leben führt! Ihm zehrt der Gram/ das nächste Glück vor seinen Lippen weg, /ihm schwärmen abwärts immer die Gedanken."
    Im geteilten Korea besitzen diese Worte, gesprochen von Helmut Mooshammer und koreanisch übertitelt, eine besondere emotionale Bedeutung. Bei der Premiere im südkoreanischen Gwangju am vergangenen Wochenende mussten sich die Zuschauer aber auch unangenehme Sätze anhören. Etwa wenn es um die prekäre Situation von nordkoreanischen Flüchtlingen in Südkorea geht. Iphigenie, will in Deutschland Asyl beantragen, weil sie gehört hat, dass hier die Menschen aus Westdeutschland tatsächlich mit denen aus Ostdeutschland ohne Diskriminierung zusammenleben würden.
    "In Korea bin ich nur ein Mensch zweiter Klasse! Bitte nehmen Sie mich an! "
    Das Theaterstück "Walls - Iphigenia in Exile", hervorgegangen aus einer Kooperation des Deutschen Theaters mit jungen koreanischen Regisseuren, Dramaturgen und Schauspielern, zielt auf ein heikles Thema in Korea: Teilung und Wiedervereinigung sind hochgradig ideologisch aufgeladen, doch in der Realität haben sich Nord- und Südkoreaner längst entfremdet. Die Doppelmoral zeigt sich am Umgang mit den nordkoreanischen Flüchtlingen, die es in den Süden schaffen. Sie erhalten ein Willkommensgeld, gelten offiziell als "Boten der Wiedervereinigung", doch sie werden auch in Umerziehungslager gesteckt und führen oft ein Schattendasein in der Gesellschaft.
    Ein verstörender Moment
    Vor allem in der jüngeren Generation gibt es kaum noch Berührungspunkte mit dem Norden, erzählt der koreanische Theaterregisseur Kyungsung Lee.
    "Einmal als ich in Berlin war, stand ich per Zufall an einer Kreuzung und da standen auf der anderen Seite ein paar Nordkoreaner. Wir haben uns nur angestarrt, natürlich wusste jeder sofort, ich war aus Südkorea und sie aus Nordkorea. Das war ein sehr verstörender Moment. Wir sind immer noch Koreaner, aber wir reden nicht miteinander und fühlen uns sehr fremd."
    Gesellschaftlich und wirtschaftlich könnte die Distanz nicht größer sein zwischen dem Steinzeit-Kommunismus des Nordens und der glitzernden Konsum – und Mobilphonwelt des Südens. In Südkorea gibt es große Ängste, - auch davor, den eigenen Wohlstand einzubüßen, sollte es je zu einer Vereinigung mit dem armen Norden kommen. Ihrerseits würden viele Nordkoreaner mittlerweile lieber zu China gehören, sagt Kyungsung Lee.
    "Denn sie fühlen sich emotional China viel näher als Südkorea. Aber was bedeuten dann die 5.000 Jahre, die wir zusammen gehört haben? Das beschäftigt mich, was heißt das für unsere Gesellschaft, was bedeutet koreanische Nationalität und Identität überhaupt noch?"
    Ein großer Schmerz
    Dennoch, sagt Lee, ist da auch ein großer Schmerz. Die Teilung sei unterschwellig allgegenwärtig, im Alltag der Menschen, in der Art und Weise, wie sie Zeitung lesen oder Dinge beurteilen. Das "Walls"-Projekt hat bei den beteiligten Theaterleuten viel in Bewegung gesetzt, manche innere Mauer auf beiden Seiten zum Bröckeln gebracht. In Berlin habe man gemeinsam die Gedenkstätte an der Bernauer Straße besucht, erzählt Dramaturgin Danbi Yi, dabei viele bewegende Geschichten über persönliche Schicksale gehört. Später sei man dann auch in Korea gemeinsam an die Demilitarisierte Zone an der Grenze zu Nordkorea gefahren – für die Koreaner ein Schockerlebnis:
    "Es war so beschämend für uns, sie hatten daraus ein Touristenereignis gemacht. Es sind nicht so viele Koreaner, die da hingehen, es sind dort vor allem ausländische Touristen. Und da direkt an der Grenze gibt es einen Erlebnispark. Mit Karussell und einem verkleideten Wikinger, der herumlief ... es war völlig unseriös, eine Touristenattraktion."
    Ein Thema, das bewegt
    Vor dem Projekt habe er sich nie an das Thema Wiedervereinigung herangetraut, erzählt der koreanische Regisseur Yungung Yang. Erst im Austausch mit den deutschen Kollegen habe er gemerkt, wie sehr das Thema mit ihm persönlich zu tun habe – nicht nur wegen seiner Mutter, die aus Nordkorea stammte und ihre Geschichte und Herkunft Zeit ihres Lebens verdrängt habe.
    "Wenn ich auf das Stück und auf Goethes Iphigenie schaue, dann habe ich immer noch Hoffnung. Und für mich als Theatermacher ist es wichtig, diese Hoffnung in mir zu behalten, dass man diese Mauern irgendwann doch einreißen kann."