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Irak
Kurden kämpfen für ihren eigenen Staat

Die Abspaltung eines unabhängigen Kurdenstaates vom Irak rückt immer näher. Mittlerweile wird die kurdische Seite von Premierminister Nuri Al-Maliki im Kampf gegen die Islamisten unterstützt. Selbst der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan scheint einverstanden zu sein.

Von Martin Zagatta |
    Zu sehen sind kurdische Kämpfer in Uniform mit Waffen.
    Kurdische Kämpfer warten auf ihren nächsten Einsatz gegen die Islamisten. (picture-alliance / dpa / Sebastian Backhaus)
    Stoppt die Terroristen, stoppt den "Islamischen Staat", hallt es auf den Straßen von Erbil. Die aufgebrachte Menge gehört zu den Tausenden von Jesiden, Angehörige einer religiösen Minderheit, denen es gelungen ist, sich bis hierher, in die Hauptstadt der irakischen Kurden, durchzuschlagen, auf der Flucht vor der Terrororganisation "Islamischer Staat", gegen die sie jetzt protestieren.
    "Wir fordern, dass die kurdische Regierung Truppen schickt, um unsere Familienangehörigen zu retten. Viele sind noch auf der Flucht in den Bergen, wo sie sich vor den Terroristen verstecken und zu verhungern drohen",
    so ein Sprecher der Jesiden. Mehr als 200.000 Menschen, die von den Milizen der Dschihadisten aus ihren Häusern vertrieben wurden, sollen sich allein in der zurückliegenden Woche schon aufgemacht haben in das Gebiet der Autonomen Kurdenregion ganz im Nordosten des Landes.
    Christen und Kurden haben sich zusammengeschlossen
    In eilig errichteten Zeltstädten leben dort schon mehr als eine Million Flüchtlinge, viele aus Syrien gekommen, aber auch die Christen, die aus Mossul fliehen mussten und jetzt aus Karakosch. Massud Barsani, der Präsident der Kurdenregionalgarde:
    "Die Peschmerga, die kurdische Regionalgarde, verteidigt auch die Christen. Wir sorgen dafür, dass in Kurdistan die verschiedenen Bevölkerungsgruppen und Religionen friedlich zusammenleben können."
    Christen und kurdische Jesiden auf der Flucht im Nordirak
    Christen und kurdische Jesiden auf der Flucht im Nordirak (Marwan Ibrahim / AFP)
    Abspaltung vom Irak rückt näher
    Keine leeren Worte. Die Kurden sind in die Presche gesprungen, als die Soldaten der irakischen Armee bei dem Vormarsch der Dschihadisten Hals über Kopf geflohen sind. Während die Kämpfer vom "Islamischen Staat" Mossul, die zweitgrößte Stadt unter ihre Kontrolle gebracht haben, sind auch die Kurden in der von der Armee aufgegebenen Region vorgerückt. Sie haben sich das Gebiet um die Stadt Kirkuk einverleibt, ihre heimliche Hauptstadt und mit die ölreichste Gegend des gesamten Landes - und damit auch die Gunst der Stunde genutzt. Denn die Abspaltung vom Irak, die Gründung eines unabhängigen Kurdenstaates ist damit noch einmal näher gerückt. Massud Barsani:
    "Die kurdische Unabhängigkeit ist ja kein neues Thema. Wir haben das Recht auf Selbstbestimmung und unser Regionalparlament bringt die Abstimmung darüber jetzt auf den Weg."
    Referendum wird vorbereitet
    So gibt sich Kurdenpräsident Barsani zuversichtlich, den lang gehegten Traum von einem eigenen Staat nun verwirklichen zu können. Das Regionalparlament in Erbil ist schon dabei, ein Referendum über die Abspaltung vom Irak vorzubereiten. Für zusätzlichen Zündstoff sorgt, dass die Kurden den angrenzenden Gebieten im Irak anbieten wollen, sich ihnen anzuschließen.
    Die in den Nachbarländern Iran, Syrien und Türkei lebenden Kurden sehen die Staatsgründungspläne im Nordirak mit gemischten Gefühlen. Aber um sich abspalten zu können, müssen die Kurden jetzt erst einmal den Kampf mit den Islamisten gewinnen.
    Die Anführer der Peschmerga geben sich zuversichtlich. Sie haben einen "tödlichen Gegenschlag" angekündigt, gegen die Islamisten, zuletzt aber auch herbe Verluste hinnehmen müssen.
    Premierminister hilft gegen die Islamisten
    Von der Regierung in Bagdad, die natürlich von einer Abspaltung nichts wissen will, sind Kurden dabei lange im Stich gelassen worden. Nuri Al-Maliki, der Premierminister, hat ihnen sogar vorgeworfen, den Milizen der Dschihadisten Unterschlupf zu gewähren. Erst vor wenigen Tagen hat er der Armee dann aber doch den Auftrag erteilt, die Kurden mit Luftangriffen auf die Islamisten zu unterstützen.
    Ob Maliki den Ernst der Lage erkannt hat, die Bedrohung durch den "Islamischen Staat", oder ob er sich Stimmen von kurdischen Abgeordneten sichern will im Kampf um seine jetzt anstehende Wiederwahl, ist unklar. Die Kurden jedenfalls sagen, dass der Kampf gegen den Terror im Nordirak nur zu gewinnen ist, wenn man ihnen die dafür notwendigen Waffen zur Verfügung stellt. Masrour Barsani, der Chef des Kurdischen Sicherheitsrates:
    Kurden-Präsident Massud Barsani will die Unabhängigkeit vom Irak.
    Kurden-Präsident Massud Barsani will die Unabhängigkeit vom Irak. (dpa / Maxppp )
    "ISIS verfügt über jede Menge moderne Waffen und um gegen sie bestehen zu können, müssen die Peschmergas viel besser ausgerüstet werden, von den USA oder anderen. Die internationale Gemeinschaft hat doch eine moralische Verantwortung denjenigen zu helfen, die ihr Leben riskieren, um andere, um Zivilisten zu schützen."
    Türkei mittlerweile für den Kurdenstaat
    Rückendeckung bekommen die irakischen Kurden in dieser Situation ausgerechnet von der Türkei, wo in den vergangenen Jahren ein Umdenken eingesetzt hat. Premierminister Erdogan, der den Kurdenpräsident Barsani einst als Stammesführer beleidigt hat, sieht in ihm inzwischen einen wichtigen Verbündeten. Ankara ist an dem Öl und Gas der Nachbarregion interessiert und den Kurden bietet die Türkei die Möglichkeit, ihre Rohstoff-Vorkommen zu exportieren.
    Eine Pipeline in die Türkei wurde schon eingeweiht, eine zweite ist im Bau. Den Kurden im eigenen Land hat Erdogan mehr Selbstverwaltung versprochen und mittlerweile scheint sich die Türkei sogar mit einer Staatsgründung der irakischen Kurden abfinden zu können. Ein Kurdenstaat - so die offenbar neu gewonnene Einsicht - könnte der Türkei sogar als ein stabiler Puffer dienen in einer höchst unruhigen Region.