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Irak
"UNO muss endlich aktiv werden"

Bayerns evangelischer Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm hat sich erneut für einen internationalen Militäreinsatz im Irak ausgesprochen. "Jetzt geht es um die menschliche Schutzverantwortung", sagte er im Deutschlandfunk. Mit der christlichen Lehre sei ein UNO-Mandat vertretbar.

Heinrich Bedford-Strohm im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Heinrich Bedford-Strohm in einer Profilansicht
    Heinrich Bedford-Strohm, EKD-Vorsitzender Bayern (dpa / picture alliance / Nicolas Armer)
    Die Flüchtlinge im Irak hätten panische Angst, sagte Bedford-Strohm. "Sie verlangen von uns, dass wir sie schützen." Deshalb habe er gefordert, dass die UNO endlich aktiv wird. Ausgestattet mit einem UNO-Mandat sollten Soldaten eine gesicherte Zone herstellen, damit die vor der Terrormiliz IS geflohenen Menschen wieder in ihre Dörfer zurückkehren könnten. Es gehe um eine Notmaßnahme, die auch mit der christlichen Lehre vereinbar sei.
    Angesichts der dramatischen Lage müsse schnell gehandelt werden, sagte der evangelische Landesbischof Bayerns. Der UNO-Sicherheitsrat müsse endlich zu Beschlüssen kommen, statt den Einsatz einzelnen Staaten zu überlassen. Dabei schloss Bedford-Strohm auch eine Beteiligung deutscher Soldaten nicht aus.

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Am Wochenende haben die Kämpfer der IS-Milizen erneut ein grausames Hinrichtungsvideo ins Internet gestellt. Es zeigt die Enthauptung des britischen Entwicklungshelfers David Haines, und dieses Video dürfte die Debatte um das westliche Engagement in dieser Konfliktregion erneut anheizen - nicht nur die Debatte um weitere Waffenlieferungen, sondern auch um "Boots on the Ground", wie die Amerikaner sagen, um Bodentruppen also. In Deutschland hält man sich mit solchen Forderungen noch immer zurück, aber ausgerechnet ein Vertreter der Evangelischen Kirche hat sich in den vergangenen Tagen immer wieder dafür stark gemacht: der Landesbischof von Bayern nämlich, Heinrich Bedford-Strohm. Ihn begrüße ich jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen!
    Heinrich Bedford-Strohm: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
    Armbrüster: Herr Bedford-Strohm, weshalb sind Sie für Bodentruppen?
    Bedford-Strohm: Zunächst einmal muss man ganz klar sagen, Gewalt kann nie eine Lösung sein. Gewalt, militärische Gewalt ist immer eine Niederlage. Aber hier geht es jetzt um die menschliche Schutzverantwortung. Ich habe ja bei meinem Besuch im Nordirak mit vielen Flüchtlingen gesprochen, jesidischen, christlichen Flüchtlingen vor allem, und die haben alle panische Angst davor, dass die IS wiederkommt, und die verlangen von uns, dass wir sie schützen. Deswegen habe ich gefordert, dass die UN endlich aktiv werden und dort eine gesicherte Zone herstellen, auch natürlich dann mit UNO-Soldaten, die sicherstellen, dass die Menschen in ihre Dörfer zurückkehren können, ohne Angst vor der IS zu haben.
    Der entscheidende Punkt ist, dass dort über eine Million Flüchtlinge im Nordirak im Moment sich aufhalten. Die sind unter sehr schwierigen Bedingungen da im Moment untergebracht, zum Teil draußen. Jetzt kommt der Winter und kein Mensch weiß, wie die eigentlich den Winter überstehen sollen, und deswegen muss jetzt ganz schnell gehandelt werden, damit die in die Dörfer, die ja inzwischen leer stehen, die ja sozusagen befreit sind, dass sie da zurückkehren können, ohne Angst haben zu müssen.
    "Flüchtlinge haben Fürchterliches erlebt"
    Armbrüster: Und könnten Sie sich vorstellen, dass an einem solchen Einsatz auch Soldaten der Bundeswehr teilnehmen?
    Bedford-Strohm: Grundsätzlich muss zunächst mal die UNO endlich aktiv werden. Der UN-Sicherheitsrat muss endlich wirklich zu Beschlüssen kommen, die die internationale polizeiliche Gewalt, die die UNO eigentlich darstellen müsste, wirklich jetzt in die Hand nehmen, anstatt das einzelnen Staaten zu überlassen. Das ist jetzt mal die erste Voraussetzung. Da stehen alle UNO-Mitglieder natürlich grundsätzlich in der Pflicht. Welche konkreten Ausformungen das dann haben kann, das kann man jetzt noch nicht sagen.
    Armbrüster: Aber deutsche Soldaten, nur um das klarzustellen, würden Sie nicht ausschließen?
    Bedford-Strohm: Ausschließen würde ich bei UN-Aktivitäten gar nichts.
    Armbrüster: Jetzt fragen sich natürlich viele Hörer, warum ist jetzt ausgerechnet die Kirche für den Einsatz von Soldaten in diesem doch recht unübersichtlichen Kriegsgebiet? Warum ausgerechnet ein Vertreter der Evangelischen Kirche?
    Bedford-Strohm: Die Antwort ist ganz einfach: Das ist schlicht und einfach, weil die schwächsten Glieder - in diesem Fall diese Flüchtlinge, die Fürchterliches erlebt haben und panische Angst haben - weil die geschützt werden müssen. Das ist der einzige alleinige Grund. Das ist auch ein Aspekt christlicher Ethik, dass Menschen, die von Völkermord bedroht sind, geschützt werden.
    Ich will noch mal ganz deutlich sagen: Hier geht es nicht um die Legitimierung von Gewalt oder die Absegnung von Waffen. Hier geht es um eine Notmaßnahme, die wirklich unmittelbar bedrohte Menschen schützt, also so etwas wie ein internationales polizeiliches Eingreifen, und das ist etwas, was auch in der ökumenischen, in der kirchlichen Friedensethik einen festen Ort hat: die menschliche Schutzverantwortung, also unmittelbar vom Völkermord bedrohte Menschen zu schützen. Deswegen: Wenn ich hier von UNO-Soldaten spreche, die diesen Schutz übernehmen sollen, dann ist das ganz im Einklang mit der christlichen Friedensethik.
    "Menschen nicht einfach der Gewalt der IS überlassen"
    Armbrüster: Na ja. Ich kann mir gut vorstellen, dass Ihnen da einige Leute in der Evangelischen Kirche auch deutlich widersprechen würden. Sind denn eigentlich die Zeiten von "Schwerter zu Pflugscharen" vorbei bei Ihnen?
    Bedford-Strohm: Nein, überhaupt nicht. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Die Legitimierung von Gewalt, die Rede vom gerechten Krieg, die haben wir glücklicherweise überwunden. Darum kann es nicht gehen. Es ist völlig richtig, dass wir immer wieder deutlich machen, auch ich selbst in der Öffentlichkeit, dass wir der Gewalt normalerweise viel zu viel zutrauen, der militärischen Gewalt, und dass zum Beispiel die Waffenexport-Praxis absolut nicht haltbar ist, die wir gegenwärtig haben, die diese Region überhaupt erst mit Waffen vollgepumpt hat. Davon muss man aber deutlich unterscheiden die unmittelbare Schutzpflicht von Menschen, die jetzt unmittelbar bedroht sind. Die Menschen sehen diese Bilder von geköpften Menschen ja auch und die wissen ganz genau, dass sie selbst von dieser Gewalt unmittelbar bedroht sind, und da dürfen wir sie einfach nicht alleine lassen.
    Armbrüster: Mit der Schutzpflicht wurden aber in den vergangenen Jahren auch jede Menge Kriege und Einsätze legitimiert, die anschließend auch in einem ziemlichen Desaster geendet sind. Ist das nicht abschreckend?
    Bedford-Strohm: Ich glaube, dass man schon unterscheiden kann die unmittelbare Schutzpflicht, die zum Beispiel bei dem Völkermord in Ruanda versäumt worden ist, und Kampfeinsätze, bei denen es um Gebietsgewinne geht, die sehr unübersichtlich sind. Der Schutz unmittelbar bedrohter Menschen, der ist zwar nicht leicht eingrenzbar, aber er ist schon deutlich noch mal zu unterscheiden von solchen Kampfeinsätzen, und er ist sowohl in der UNO-Verfassung als auch in der Ethik eine fest verwurzelte Sache und in diesem Fall ist es nicht einfach, das ist mir völlig klar. Die Risiken sind auch auf dem Tisch. Nur diese Risiken können nicht dazu führen, dass wir diese Menschen einfach der Gewalt der IS überlassen.
    Armbrüster: Herr Bedford-Strohm, wenn ich Sie da so höre, dann kann ich mir vorstellen, Waffenlieferungen an die Kurden sind für Sie auch völlig in Ordnung?
    Bedford-Strohm: Völlig in Ordnung würde ich nie sagen. Sie sind ein großes Risiko. Waffenlieferungen haben immer das große Risiko, dass diese Waffen natürlich in die Hände von Menschen kommen können, die nichts Gutes damit machen. Deswegen ist es eine sehr schwierige Frage und ich gestehe, ich bin da auch selber hin und hergerissen. Aber ich habe auch vor Ort gesehen und ich habe alle meine Gesprächspartner gefragt nach solchen Waffen, sind solche Waffen wirklich notwendig, um die Menschen jetzt zu schützen. Die Menschen dort haben mir gesagt, ja.
    Armbrüster: Heinrich Bedford-Strohm war das, der evangelische Landesbischof von Bayern. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen.
    Bedford-Strohm: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.