"Ab dem 7. Juli wird die Anreicherung für Uran nicht länger auf 3,67 Prozent gedeckelt", verkündet Präsident Hassan Rohani Anfang Juli. Er will den Iran für den Ernstfall rüsten. Die iranische Regierung dürfte wissen, dass ihre Streitkräfte im Kriegsfall gegen die USA hoffnungslos unterlegen wären. Um nicht als wehrlos und getrieben zu erscheinen, setzt Teheran Akzente und dreht dadurch weiter bewusst an der Eskalationsschraube.
"Wir werden die Deckelung aufheben. Wir werden so hoch anreichern, wie wir es für nötig erachten. Ihr müsst wissen, solltet ihre euren Verpflichtungen in der gesetzten Zeit nicht nachkommen, dann wird auch der Schwerwasserreaktor in Arak wieder aktiviert."
Damit steige Teheran aus dem Atomabkommen aus – so der Tenor in westlichen Medien. Doch der Iran will eigenem Bekunden zufolge unbedingt am Abkommen festhalten. Das dafür gewählte Mittel wieder mehr Uran anzureichern, als in dem Abkommen vereinbart, erscheint auf den ersten Blick krude und unlogisch.
"Wenn wir die 300-Kilo-Grenze überschreiten, dann machen wir das, um das Abkommen zu retten. Wie das? In dem Moment, in dem ihr eure Verpflichtungen einhaltet, kehren wir unter die 300-Kilogramm-Grenze zurück."
Iran will Europäer zum Handeln zwingen
Teheran eskaliert - ganz bewusst; will vor allem die Europäer zum Handeln zwingen. Der Iran sieht sich als Opfer eines ungerechtfertigten Wirtschaftskrieges mit den USA – ausgelöst durch den Ausstieg der USA vor einem Jahr aus dem Atomabkommen. 15 Mal hat die Internationale Atomenergiebehörde dem Iran bescheinigt, sich an das 2015 geschlossene Abkommen gehalten zu haben. Dennoch stiegen die USA unter US-Präsident Donald Trump vor gut einem Jahr aus dem Atomabkommen aus.
"Ich verkünde heute, dass die Vereinigten Staaten sich aus dem Iran-Atom-Deal zurückziehen", erklärte Donald Trump und setzte die US-Sanktionen wieder ein. Im Gegenzug reichert der Iran heute wieder mehr Uran an. De jure ist das Abkommen nach wie vor gültig. London, Paris, Brüssel und Berlin beteuern immer wieder, sie wollten das Abkommen retten. Doch Teheran spürt keine Hilfe von europäischer Seite.
Die von den USA verhängten Sanktionen hingegen setzen der iranischen Wirtschaft immer gravierender zu. Und so ist das Abkommen de facto so gut wie tot. Die mit dem 2015 geschlossenen Abkommen verknüpften Hoffnungen werden sich für den Iran wohl nicht mehr erfüllen. Damals sprach der iranische Präsident Rohani noch so:
"Heute ist das Ende der ungerechten Verleumdungen gegen die große iranische Nation und der Beginn einer neuen Ära der Zusammenarbeit mit der Welt."
Trumps Vorgänger, der ehemalige US-Präsident Barack Obama, hatte damals die Verbreitung von Nuklearwaffen als eines der drängendsten Probleme der internationalen Politik verstanden. Erst etablierten die USA mit der Europäischen Union über Jahre ein striktes Sanktionsregime gegen den Iran, das den Iran empfindlich traf. Dieses brachte die iranische Führung dann später zum Einlenken und ermöglichte das Zustandekommen des Nuklearabkommens im Juli 2015. Präsident Obama verkündete den Stillstand der Verbreitung nuklearer Waffen im Nahen Osten:
"Auf der Grundlage dieses Abkommens wird der Iran kein waffenfähiges Uran oder Plutonium mehr produzieren, das man braucht, um Atomwaffen zu bauen. Gleichzeitig werden zwei Drittel aller Uran-Zentrifugen demontiert und unter andauernde internationale Aufsicht gestellt. Der Iran wird seine Zentrifugen für ein Jahrzehnt nicht zur Produktion angereicherten Urans benutzen und gleichzeitig 98 Prozent seines Vorrates an angereichertem Material abgeben."
Kritik an zeitlicher Begrenzung des Abkommens
Obwohl das Problem damit eingedämmt schien, regte sich sofort Kritik aus den Reihen der Republikaner. Zwei Sachverhalte wurden bemängelt. Zum einen die zeitliche Begrenzung des Abkommens. Und: Das Abkommen trage nichts dazu bei, die aggressive iranische Außenpolitik im Nahen Osten einzuhegen. Denn es würde nicht verhindern, dass die Iraner weiter an ballistischen Raketen arbeiten.
Dazu war das Atomabkommen aber auch nie gedacht – darauf weist insbesondere die EU immer wieder hin: Das Raketenprogramm ist kein Teil der Nuklear-Vereinbarung. Warum das so ist? Ein Blick in die Geschichte des Kalten Krieges hilft. Bei sämtlichen Rüstungskontrollverhandlungen mit der Sowjetunion klammerte man alle anderen Konflikte bewusst aus, um einen Verhandlungserfolg auf einem scharf eingegrenzten Konfliktfeld zu ermöglichen. Diese Strategie wandte man auch gegenüber dem Iran an.
Doch nicht nur in den USA, auch im Iran selbst regte sich schnell Widerstand gegen das Atomabkommen. Umfangreiche internationale Finanzsanktionen blieben auch nach Inkrafttreten des Vertrags bestehen und verhinderten bitter notwendige Auslandsinvestitionen. Und: Die von Präsident Rohani und seiner Regierungsmannschaft gewünschte Zusammenarbeit mit der Welt hatte von Anfang an mächtige Widersacher auch im Iran.
"Trotz der Verhandlungen und dem Vertragsentwurf wird sich unsere Politik gegenüber der US-Arroganz in keinem Punkt ändern."
Das stellte Revolutionsführer Ali Khamenei unmittelbar vor Vertragsschluss klar. Denn intern konkurrieren der konservative Khamenei, der seit 1989 Oberhaupt des Iran ist, und der eher gemäßigte Präsident Rohani um die Deutungshoheit im Iran. Soll sich das Land verschließen oder öffnen? Khameneis Position dazu steht seit jeher fest:
"Verhandlungen mit den USA sind verboten. Sie bringen viele Nachteile und haben keinerlei Nutzen."
Durch das Atomabkommen sollte dieser Teufelskreis der gegenseitigen Dämonisierung zwischen Washington und Teheran durchbrochen werden. Doch das Gegenteil ist eingetreten.
"Das iranische Regime sei der wichtigste staatliche Unterstützer von Terrorismus" , verkündet Donald Trump. "Es exportiert gefährliche Raketen, nährt Konflikte im Nahen Osten und unterstützt Terrorgruppen und Milizen wie Hizbollah, Hamas, Taliban und al-Qa'ida."
"Das iranische Regime sei der wichtigste staatliche Unterstützer von Terrorismus" , verkündet Donald Trump. "Es exportiert gefährliche Raketen, nährt Konflikte im Nahen Osten und unterstützt Terrorgruppen und Milizen wie Hizbollah, Hamas, Taliban und al-Qa'ida."
Feindbild USA
Die iranische Sicht ist diametral gegensätzlich. Die USA seien der größte Unruhestifter im Nahen Osten. Niemand könne den Amerikanern trauen, urteilt Revolutionsführer Ali Khamenei, Irans starker Mann.
"Wo ist das eigentliche Nest für Verschwörungen gegen die Islamische Republik? Wenn wir vom Feind sprechen, denken Iraner an die USA."
Gründe dafür gibt es genug. Die USA haben 1953 wesentlich zum Sturz des demokratisch gewählten Regierungschefs Mohammed Mossadegh beigetragen, Schah Mohammad Reza Pahlavi an die Macht gebracht und dessen autoritäre Herrschaft gestützt. Die USA haben den Irak im achtjährigen Krieg gegen den Iran unterstützt. 2002 verortete Präsident George Bush den Iran auf der Achse des Bösen. Teheran musste damit rechnen, von den USA angegriffen zu werden.
Ein Jahr später, im Jahr 2003, marschierten die USA zwar nicht in den Iran ein – aber sie starteten einen Waffengang gegen das Nachbarland Irak mit der Begründung, der Irak besitze Massenvernichtungswaffen. Es wurden nie welche gefunden. Interessant ist aber, wer schon damals die treibende Kraft dahinter war: John Bolton. Er ist inzwischen Sicherheitsberater von Präsident Trump. Aus seiner Abneigung gegen die Herrscher in Teheran macht er keinen Hehl.
"Das Verhalten und die Ziele des Regimes werden sich nicht ändern. Deshalb gibt es nur eine Lösung: Das Regime selbst zu ändern."
Regimewechsel in Teheran – unter Präsident Obama war das Thema offiziell vom Tisch. Trumps Falken meinen es ernst. So auch Außenminister Mike Pompeo. Er will: "…Dem iranischen Regime die finanziellen Mittel entziehen, die es für gewalttätige und destabilisierende Aktivitäten im Nahen Osten und auf der ganzen Welt einsetzt. Es ist unser ultimatives Ziel, das Regime zur Aufgabe des revolutionären Kurses zu bewegen."
Arbeitslosigkeit, Abwanderung, Drogenprobleme
Weite Teile der Bevölkerung spüren die Auswirkungen der sich verschärfenden Wirtschaftskrise. Die massiven Sanktionen seien aber nicht der einzige Grund für die Misere. Missmanagement, Vetternwirtschaft und Korruption grassieren in der Islamischen Republik. Die Währung schwächelt, die Inflation ist hoch, die Arbeitslosigkeit steigt, das Drogenproblem nimmt zu und auch der Brain-Drain gut ausgebildeter Iraner geht weiter.
Und so kämpfen die Herrscher in Teheran ums Überleben ihres Systems. Die Unzufriedenheit weiter Teile der iranischen Bevölkerung wird größer. Aber: Der Druck von außen hilft den Herrschenden dabei, dem im Inneren wachsenden Druck zu widerstehen. Parlamentspräsident Ali Larijani:
"Herr Trump muss verstehen, wenn du eine zivilisierte Nation drangsalierst, dann rückt sie zusammen. Wenn er das verstehen würde, dann könnten viele Probleme der USA im Nahen Osten gelöst werden. Aber ich bezweifle das. Denn es bedarf einer gewissen intellektuellen Durchdringung, um eine zivilisierte Nation zu verstehen. Das ist im Kern deren Problem hier in der Region."
Das autoritäre iranische Regime herrscht mittels Angst, Einschüchterung und Druck. Es braucht einen äußeren Feind, um das eigene Volk nach innen zu einen. Interessant ist: Auch US-Präsident Donald Trump konzentriert sich auf die Außenpolitik.
Die Demontage des innenpolitischen Vermächtnisses seines Vorgängers, die Krankenversicherung, genannt "Obamacare", gelang Trump nicht. Das außenpolitische Erbe zu zerstören war weit einfacher.
"Dies ist ein einseitiges Abkommen, das niemals hätte abgeschlossen werden dürfen. Es hat uns keine Ruhe und keinen Frieden gebracht, und es wird dies niemals tun. Nachdem die Sanktionen aufgehoben wurden, nutzte das Regime seine neuen Geldquellen dazu, nuklearfähige Raketen zu bauen, Terroristen zu unterstützen und Verwüstung im Nahen Osten und darüber hinaus anzurichten."
Das Nuklearabkommen hat unbestreitbar nicht alle Probleme mit dem aggressiven Regime in Teheran gelöst. Besorgniserregend ist insbesondere, dass der Iran weiter Raketen baut, die mit Nuklearwaffen bestückt werden können. Diese Raketen können schon heute den gesamten Nahen Osten und Teile Südeuropas erreichen. Aber: Es hat das Sicherheitsproblem der iranischen Atomrüstung zumindest für eine begrenzte Zeit eingehegt. Oliver Thränert, Experte für Rüstungskontrolle und Massenvernichtungswaffen an der ETH Zürich.
"Der Fall Iran war ja eigentlich der erste Fall, wo ein Mitgliedsstaat des nuklearen Nichtverbreitungsvertrages, der bei umfänglichen Vertragsbrüchen erwischt worden ist, mit diplomatischen Mitteln wieder in das Vertragsregime über das Abkommen von 2015 zurückgeführt werden konnte. Und insofern war das ein Nicht-Verbreitungspolitischer Leuchtturm, der da aufgebaut wurde. Und wenn der jetzt wieder einstürzt, dann fällt natürlich vieles weg und die Krise des nuklearen Nichtverbreitungsregimes würde sich noch weiter verstärken und es wäre durchaus möglich auch mit Blick auf die Konfrontationen in der Region, dass andere Länder dort auch einen nuklearen Weg gehen, an allererster Stelle natürlich Saudi-Arabien. Und wenn das passiert, dann wird eben dieses ganze nukleare Nichtverbreitungsregime möglicherweise an seine Grenzen kommen."
Urananreicherung Irans verstößt gegen Vereinbarung
Seit gut einem Jahr versuchen deshalb nun die Europäer, das Atomabkommen doch noch zu retten. In dieser Woche erst schickte der französische Präsident Emmanuel Macron seinen Berater nach Teheran. Der deutsche Außenminister Heiko Maas war vor einigen Wochen dort. Doch in der jüngsten Erklärung heißt es noch einmal: "Wir haben konsequent und deutlich darauf hingewiesen, dass unser Festhalten an der Nuklearvereinbarung von ihrer vollständigen Einhaltung durch Iran abhängt."
Doch genau dagegen verstößt das iranische Regime, seitdem es seine Urananreicherung wieder hochgefahren hat. Auf den Fluren des Auswärtigen Dienstes der EU gibt man sich dabei eher bedeckt. Zu viele öffentliche Äußerungen könnten die heiklen Verhandlungen derzeit gefährden. Immerhin wurde das Atomabkommen JCPOA, der "Joint Comprehensive Plan of Action", hier maßgeblich miterarbeitet. Der Schwerpunkt liegt weiter darauf, alles dafür zu tun, dass der Iran im Abkommen bleibt. Und man ihm dafür Handelserleichterungen gewährt - unter Umgehung der US Sanktionen.
Zu diesem Zweck wurde im Januar die Gesellschaft Instex gegründet - von den drei europäischen Unterzeichnerstaaten des Aktionsplans: Frankreich, Großbritannien und Deutschland. In Europa sind es allen voran diese Staaten, die an dem Abkommen festhalten wollen. Für die Europäische Union als Ganzes deutete Ende Juni die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini an, die Zweckgesellschaft sei nun einsatzfähig.
Sieben weitere EU-Staaten wollen sich daran jetzt beteiligen. Über die Einzelheiten gibt es wenig offizielle Auskünfte. Man will offensichtlich diejenigen schützen, die sich zum Handel über Instex bereit erklärt haben. Lange wurden dafür etwa keine Banken gewonnen. Denn: Unternehmen, die sich daran beteiligen, laufen Gefahr, ihrerseits mit US-Sanktionen belegt zu werden. Bisher ist ohnehin nur an Handel in kleinem Umfang gedacht. Medikamente, Hilfsgüter, Lebensmittel. Waren, die ohnehin durch US Sanktionen nicht betroffen sind.
"Selbst wenn es funktionieren würde, wäre es letztendlich kein ernsthafter Ersatz für das, was die Iraner jetzt verpassen durch diese starken US-Sanktionen und die Sekundärsanktionen", sagt Guntram Wollff von der Denkfabrik Breughel in Brüssel.
Der Streit um den Iran-Deal hat elementare Schwächen der europäischen Außen-, Sicherheits- und Finanzpolitik offen gelegt. Den Sekundär-Sanktionen durch die USA zum Beispiel kann Europa nicht effektiv etwas entgegensetzen. Zu verflochten sind die internationalen Finanzströme. Zu wenig integriert ist der europäische Kapitalmarkt, als dass er ein Gegengewicht zum Dollar darstellen könnte.
"Entscheidend auf europäischer Seite ist natürlich, dass die Amerikaner massiven Druck ausüben auf Entscheidungsträger in ganz Europa und sich niemand die Finger verbrennen wird."
Kein größerer Landkrieg der USA gegen den Iran
Die Führung im Iran hat das längst erkannt – kommt von der versprochenen Hilfe der Europäer in dem Land doch seit einem Jahr so gut wie nichts an. US-Präsident Donald Trump hingegen kommt das zugute: Er kann in den USA weiterhin verkaufen, dass er in der Lage ist, die Hinterlassenschaft seines Vorgängers Obama zu demontieren.
Aber: Dass Trump einen größeren Landkrieg gegen den Iran entfesseln will, ist unwahrscheinlich. Er schreckt anscheinend vor einem unkalkulierbaren militärischen Konflikt zurück. Das zeigte sich, nachdem der Iran eine amerikanische Drohne über der Straße von Hormuz abgeschossen hatte. Den daraufhin angesetzten amerikanischen Gegenschlag blies Trump 10 Minuten vor seiner geplanten Ausführung wieder ab.
"Auf der einen Seite der Abschuss einer unbemannten Drohne, auf der anderen Seite hätte es 150 Tote gegeben, wenn ich den Angriff hätte ausführen lassen. Das wollte ich nicht, das wäre unverhältnismäßig gewesen."
Das iranische Regime kann jederzeit eine Politik der militärischen Nadelstiche ausführen, wie sich bei den Sprengstoffanschlägen gegen Tanker in der Straße von Hormus gezeigt hat.
Auch die Zunahme an angereichertem Uran sowie der leicht erhöhte Grad der Urananreicherung heizen die Debatte an. Tatsächlich aber werden sie den Iran einer Atomwaffe nicht wesentlich näherbringen. Die zuständigen Fachleute in den USA und in Israel wissen das. Teherans "Abkehr" vom Atomabkommen stellt eine Vertragsverletzung, aber noch keinen Kriegsgrund dar. Beide Seiten sind offenkundig darauf bedacht, Krieg zu vermeiden.
Was er vom Iran wollte, fasste Trump kürzlich so zusammen:
"Ich möchte, dass sie mich anrufen."
Trump wünscht ein Treffen mit hoher internationaler Aufmerksamkeit. Teheran winkt ab. Gespräche seien denkbar, erklärt Präsident Rohani, wenn die Sanktionen aufgehoben würden und Washington sich wieder an das Atomabkommen halte.
"Alle jetzt von uns unternommenen Schritte können innerhalb einer Stunde rückgängig gemacht werden. Warum seid ihr so besorgt? Wir haben euch doch gesagt, haltet eure Zusagen ein und wir kehren an den Anfang zurück."