Christoph Schäfer: Eigentlich jährt sich in den kommenden Tagen das Atomabkommen mit dem Iran zum vierten Mal. Zwischen den Vertragspartnern hat sich aber einiges getan: die USA sind ausgestiegen, haben gegen den Iran Sanktionen verhängt und US-Präsident Donald Trump bezeichnet das Land als eine Bedrohung. Der Iran wiederum hat am Wochenende gegen das Atomabkommen verstoßen, indem es seine Urananreicherung hochgefahren hat. Und die Europäer, namentlich Deutschland, Großbritannien und Frankreich, fordern nun in einer gemeinsamen Erklärung, dass sich Teheran an das Atomabkommen halten soll. Europäische Einigkeit hat der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian bereits im Juni im französischen Parlament beschworen: Frankreich, Deutschland und Großbritannien würden ihre ganze Diplomatie bündeln, um den Iran im Atomabkommen zu behalten. Frage nach Paris, an unseren Frankreich-Korrespondenten Jürgen König, derzeit befindet sich auch ein Berater von Macron in Teheran und führt diplomatische Gespräche. Zeichnen sich schon erste Ergebnisse ab?
Jürgen König: Nein, in Teheran ist es jetzt ungefähr 11:45 Uhr. Man hat sich an diesem Vormittag wieder getroffen. Mit wem genau dieser Berater, Emmanuel Bonne, mit wem er dort gesprochen hat oder noch sprechen wird, das ist nicht bekannt. Es gibt entsprechend auch keine veröffentlichten Ergebnisse. Ziel der Gespräche ist es nach offizieller Darstellung, neue Diskussionsräume zu finden, um eine nicht kontrollierbare Eskalation des Konflikts zu verhindern. So hat das Außenminister Jean-Yves Le Drian gestern Abend formuliert. Also, Präsident Emmanuel Macron will den Iran dazu bringen, den Atomvertrag einzuhalten - vielleicht mit dem Argument, dass es andernfalls für Europäer immer schwieriger wird, sich für diesen Vertrag mit dem Iran auszusprechen und einzusetzen, weil man letztlich bei all den Differenzen mit dem amerikanischen Präsidenten Trump sich doch eher dem westlichen Bündnis als dem Iran verpflichtet fühlen wird. Aber gäbe es zu all dem jetzt schon Ergebnisse in Teheran, dann hätten wir sie alle schon durch, sagen wir, diverse Eilmeldungen erfahren.
Christoph Schäfer: Warum setzt sich Frankreich überhaupt so stark für das Atomabkommen mit dem Iran ein?
Jürgen König: Also, zu allererst vermutlich weil Präsident Macron die Gefahr dieser eben nicht kontrollierbaren Eskalation des Konfliktes tatsächlich für sehr groß hält. Und er wird darüber hinaus - wiederum vermutlich - auch eine Gelegenheit sehen, Frankreich wieder in die Rolle einer europäischen Macht zurückzubringen. - Man darf nicht vergessen: Es war ein erklärtes Wahlziel des Präsidentschaftskandidaten Emmanuel Macron die Rückkehr Frankreichs als europäische Gestaltungsmacht. Und wann, wenn nicht jetzt, wäre eben eine Gelegenheit genau als eine solche Gestaltungsmacht aufzutreten? Und es gibt oder gab zumindest intensive Wirtschaftsbeziehungen zwischen Frankreich und dem Iran. Auch deswegen hat man hier ein sehr großes Interesse an einer guten Beziehung, sprich: an einem Fortbestehen des Atomvertrages mit dem Iran.
Christoph Schäfer: Also stecken schon konkret wirtschaftliche Interessen hinter der Position ...
Jürgen König: Ja, ...
Christoph Schäfer:... von Frankreich.
Jürgen König: Ja, die Autoindustrie zum Beispiel wäre betroffen: PSA, Peugeot, Citroen und der iranische Autobauer Khodro. Sie haben 2016 mehr als zwanzig Verträge unterschrieben. Gemeinsam sollten pro Jahr 200.000 Autos im Iran gebaut werden. Das böte den Franzosen enorme Marktchancen dort. Airbus ist natürlich auch für Frankreich wichtig. Da wurden enorme Lieferverträge unterschrieben. Die französische Modeindustrie ist sehr am Iran interessiert. Dort gibt es eine Mittelschicht, für die, sagen wir, der Pariser Chic immer noch von großem Symbolwert ist. Und auch die Kultur ist wichtig. Es gibt einen Kooperationsvertrag - der Louvre hatte bereits einen großen Gastauftritt in Teheran; umgekehrt wurden Schätze des Iranischen Nationalmuseums in Frankreich gezeigt. Ein intensiver Austausch von Wissenschaftlern war vorgesehen - es gibt ihn auch teilweise schon. Also, all diese Beziehungen, Abmachungen, Pläne sie wären bedroht, käme es jetzt nicht zu einer, wie auch immer friedlichen Regelung dieser Iran-Frage.
Christoph Schäfer: In einem Telefonat am Wochenende hat Emmanuel Macron dem iranischen Präsidenten Hassan Ruhani versichert, dass er bis nächste Woche Mittwoch einen Weg finden will, wie er den internationalen Dialog mit dem Iran wieder herstellen will. Gibt es dazu bereits konkrete Ideen aus dem Élysée-Palast?
Jürgen König: Also, bekannt geworden sind jedenfalls noch keine. Es gab gestern diese gemeinsame Erklärung der Außenminister: Frankreichs, Deutschlands, Großbritanniens und der EU-Außenbeauftragten, die Sie erwähnt haben. Ob dieser Aufruf auf Emmanuel Macron zurückgeht? Vielleicht. Eines darf man nicht übersehen: Emmanuel Macron hat am Wochenende nicht nur mit dem iranischen, sondern auch mit dem amerikanischen Präsidenten lange telefoniert. In der französischen Presse wird auch darüber spekuliert, dass Macron zwischen den Präsidenten Ruhani und Trump vermitteln will - oder dieses wollen könnte, indem er Trump die Möglichkeit bietet, einen neuen oder einen geänderten Vertrag auszuhandeln, mit dem einerseits der Iran weiterhin einen, sagen wir, wirtschaftlichen Nutzen aus diesem Wiener Atomabkommen ziehen könnte und der es andererseits Trump ermöglichen würde, im beginnenden US-Präsidentschaftswahlkampf als derjenige aufzutreten, der dem Iran seine Bedingungen aufgezwungen hat. Wie gesagt, das ist nur eine Spekulation. Ich finde den Gedanken interessant. Heute Morgen wurde ja eine andere amerikanische Idee bekannt, nämlich die, die Straße von Hormus im Persischen Golf mit einer internationalen Militärkoalition zu schützen. Diese Idee, glaube ich, dürfte wohl eher nicht auf Emmanuel Macron zurückgehen.
Christoph Schäfer: So die Einschätzungen von unserem Frankreich-Korrespondenten Jürgen König. Vielen Dank nach Paris.