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Iranische Sportlerinnen im Exil
Unter ständiger Beobachtung

Vor einem Jahr verstieß Jina Mahsa Amini im Iran gegen Kleidungsvorschriften, wurde verhaftet und starb. Dies führte zu Protesten, die das Regime brutal unterdrückte. Im deutschen Exil setzen iranische Frauen, auch im Fußball, mutig ihren Kampf fort.

Von Ronny Blaschke |
Das Foto zeigt eine Frau von hinten. Auf ihrem T-Shirt steht auf Englisch "Frau, Leben, Freiheit".
Ein Jahr nach dem Tod der Kurdin Jina Mahsa Amini im Iran scheint die Aufmerksamkeit für den Protestruf „Frau, Leben, Freiheit“ abgeflaut zu sein. Doch im deutschen Exil gehen iranische Frauen weiterhin mutig voran. (picture alliance / NurPhoto / Allison Bailey)
Eine Sportanlage in Berlin-Kreuzberg vor wenigen Wochen. Die Frauenrechtsgruppe Discover Football veranstaltet eines ihrer großen Festivals. Mehr als 100 Fußballerinnen aus zehn Ländern spielen und vernetzen sich miteinander. Am Ende eines heißen Turniertages diskutieren drei Frauen über Menschenrechtsverletzungen im Iran. Mit dabei: Hamideh Hamidi, früher stand sie für das iranische Nationalteam im Tor. Seit bald einem Jahr lebt sie im Exil in Deutschland. Vor einigen Monaten war es für sie noch unvorstellbar, auf einer Bühne zu sitzen, und vor mehr als 100 Menschen zu sprechen.
„Als ich von der Organisation gefragt wurde, ob ich hier auf dem Panel sitze, war ich erst verängstigt. Meine Familie ist noch im Iran, und natürlich möchte ich sie nicht mit regimekritischen Aussagen gefährden“, sagt Hamideh Hamidi. „Doch dann sehe ich in sozialen Medien, wie oft im Iran mutige Frauen ohne Kopftuch ins Gefängnis müssen. Einige kommen wieder raus und protestieren weiter. Wenn sie keine Angst haben, dann sollte ich hier in Europa erst recht keine Angst haben.“

Mobilisierung in sozialen Medien

Hamideh Hamidi formuliert bedächtig. In Berlin spricht sie ohne Kopftuch. Anders als die iranischen Fußballerinnen, die ebenfalls zu Gast sind, aber nach dem Turnier wieder nach Teheran reisen. Ein Jahr nach dem gewaltsamen Tod Kurdin Mahsa Amini hat das Interesse aus dem Westen an Iran nachgelassen. Wie kann die Exilgemeinde trotzdem Aufmerksamkeit erzeugen?
Hamidi sagt: „Ich verbringe viele Stunden im Internet. Ich kann nicht an jeder Demonstration teilnehmen, aber ich kann für jede Demonstration in sozialen Medien Werbung machen. Wir dürfen uns nicht daran gewöhnen, dass Demonstranten im Iran getötet werden, und ihre Familien sie dann nicht bestatten dürfen.“
Für das iranische Regime war Sport lange ein Medium, um in die unterschiedlichen Milieus der Gesellschaft hineinzuwirken. Medaillen bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen sollten die Islamische Republik positiver erscheinen lassen. Doch zuletzt ging der Plan weniger auf. Erfolgreiche Sportler traten aus ihren Nationalteams zurück und verließen das Land gleich ganz so wie Fußballtorhüterin Hamideh Hamidi: „Wahrscheinlich können die Sportler erst zurückkehren, wenn sich der iranische Staat grundlegend ändert. Niemand ist dort wirklich sicher. Selbst Ali Daei, einer der größten Fußballer unserer Geschichte, könnte alles verlieren, wenn er sich weiter gegen das Regime stellt.“

Keine Zuschauer in Teheran

 „Frau, Leben, Freiheit.“ So lautet der wohl bekannteste Slogan der Demonstrierenden im Iran. Ein Slogan, der auch in der vielfältigen Exilgemeinde in Europa oft zu hören und zu sehen ist. Zum Beispiel, wenn es um den Männerfußball im Iran geht, wo Zuschauerinnen über Jahrzehnte nicht zugelassen waren. Auf Druck von Aktivistinnen und von NGOs wurden vor wenigen Wochen drei Stadien für ein begrenzte Anzahl von Frauen geöffnet.
 „Wobei jetzt mit dem bevorstehenden Jahrestag es ja wiederum so ist, dass man davon ausgehen kann, dass nirgendwo Zuschauer zugelassen werden“, sagt Christoph Becker von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der sich schon lange mit dem Iran beschäftigt. „In Teheran wiederum sind auch gar keine Zuschauer im Moment im Fußballstadion, was damit begründet wird, dass das Stadion baufällig ist. Auch da kann man sich natürlich fragen, ob das nicht eine Schutzbehauptung ist. Es ist wie immer: Es sind immer so ein, zwei Schritte in die eine Richtung, dann zwei, drei Schritte wieder zurück.“

Fehlendes Vertrauen in die FIFA

Offenbar fürchtet das iranische Regime die Mobilisierungskraft des Fußballs. In Berlin sagt die Torhüterin Hamideh Hamidi, dass der Weltfußballverband FIFA die iranischen Funktionäre zu lange gewähren ließ: „Ich habe kein großes Vertrauen in Sportorganisationen. Sicher ist: Die FIFA sollte den iranischen Fußballverband härter sanktionieren. Sie dürfen mit der Ausgrenzung von Frauen nicht durchkommen.“
Wenn Hamideh Hamidi mit Freundinnen im Iran kommuniziert, gerät sie ins Grübeln. War es ein Fehler, so abrupt das Land zu verlassen? Leistet sie in Deutschland genug, um ihren alten Mitspielerinnen zu helfen? Katja Müller-Fahlbusch von Amnesty International geht davon aus, dass iranische Oppositionelle auch im Exil von Anhängern des Regimes beobachtet werden: „Wir hören schon länger Berichte von iranischen Aktivsten, Aktivistinnen in Deutschland, dass sie das Gefühl haben, auf Demonstrationen ausgespäht zu werden, fotografiert zu werden, auch online beobachtet zu werden.“

Morddrohungen und Cyber-Attacken

Der deutsche Verfassungsschutz hat in einem Bericht dargelegt, wie iranische Exilanten mit Morddrohungen und Cyber-Attacken eingeschüchtert werden. Einige Aktivisten, die in Berlin demonstrierten, wurden tätlich angegriffen. Hamideh Hamidi gibt das zu denken: „In meinen ersten Wochen in Deutschland habe ich mich beobachtet gefühlt. Wenn ich länger draußen war, habe ich genau auf meine Umgebung geachtet. Ich weiß, dass wir auch hier in Europa kontrolliert werden. Und diese Informationen eventuell gegen unsere Familien verwendet werden.“
Hamideh Hamidi möchte nicht öffentlich darüber sprechen, wie sie nach Deutschland gekommen ist und in welcher Stadt sie nun wohnt. Aber sie will weiterhin auf die Gewalt und die Straflosigkeit der iranische Staatsdiener aufmerksam machen. Damit ihre Freunde im Iran merken, dass sie in Europa nicht vergessen wurden.