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Proteste im Iran
Hintergründe des Hackerangriffs auf Staatsfernsehen noch unklar

Eine Protesttafel unterbrach Samstagabend im Iran eine staatliche Nachrichtensendung. Wer dahinter steckt, ist noch unklar. Der Mut, den besonders Frauen im Iran gerade zeigen, werde über die Zukunft des Landes entscheiden, sagt Yalda Zarbakhch, Leiterin der persischen Redaktion der Deutschen Welle.

Text: Nina Magoley | Yalda Zarbakhch im Gespräch mit Mirjam Kid |
Das Foto zeigt einen Screenshot von dem Hackerangriff auf das iranische Staatsfernsehen.
Dieses Bild war am Samstagabend im iranischen Staatsfernsehen zu sehen (AFP / -)
Seit Mitte September brodelt es auf den Straßen vieler iranischer Städte: Tausende Frauen, Mädchen, aber auch viele Männer protestieren gegen die Herrschaft des islamischen Regimes, gegen die Unterdrückung ihrer Freiheitsrechte. Und obwohl die Sicherheitskräfte immer brutaler gegen die Demonstrierenden vorgehen, lässt deren Entschlossenheit nicht nach. Mehr als 130 Tote zählt die Nichtregierungsorganisation "Iran Human Rights"bereits - darunter auch noch nicht volljährige Mädchen. In der westiranischen Stadt Sanandadsch starb ein Autofahrer während einer Kundgebung durch einen Kopfschuss. Außerdem seien seit Beginn der Demonstrationen mindestens 23 Journalistinnen und Journalisten verhaftet worden, berichtete die Organisation Reporter ohne Grenzen.

Fadenkreuz im Gesicht des religiöser Führers

Am Samstagabend gelang es Regimegegnern offenbar, im Staatssender IRIB kurzfristig das Programm zu unterbrechen. Während einer Rede des obersten Religionsführers Ayatollah Khamenei in der Hauptnachrichtensendung sahen die Zuschauer plötzlich eine Abbildung des Geistlichen in Flammen, auf seinem Gesicht ein Fadenkreuz. Auf Persisch seien die Worte "Das Blut der Jugend klebt an euren Händen" und "Steht auf und schließt euch uns an" zu lesen gewesen.
Darunter wurde ein Bild von der im September in Polizeigewahrsam gestorbenen Mahsa Amini sowie drei weiteren mutmaßlich bei den Protesten getöteten jungen Frauen gezeigt. Das berichten mehrere Nachrichtenagenturen, im Internet kursieren Videos der kurzen Szene.

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Beobachter: Hack durchaus möglich

Dabei sind Internet- und Telefonverbindungen fast im ganzen Land seit Mitte September immer wieder blockiert, auch der Zugang zu Whatsapp und Instagram ist seit den ersten Tagen der Proteste gesperrt. Doch das Internet sei nicht permanent abgeschaltet, sagt Markus Reuter, der für Netzpolitik.org seit Jahren den Iran beobachtet. Der Staat schalte das Netz meist nur zu bestimmten Anlässen ab: bei großen Demonstrationen etwa oder nach Vorfällen in bestimmten Regionen. "Eine dauerhafte Komplettabschaltung des Internets kann sich der Iran als industrialisiertes und digitalisiertes Land wirtschaftlich nicht leisten", sagt Reuter, "zu viele Geschäfte hängen an der Verfügbarkeit des Internets." Schon die jetzigen Abschaltungen und Drosselungen seien sehr teuer, weil sie die Wirtschaft belasten.
Ein Hack sei also durchaus möglich. Aber: "Nach meiner Information ist noch nicht geklärt, ob man das Live-Fernsehen im Iran aus dem Internet überhaupt hacken kann." Eine Anbindung des Live-TVs an das Internet sei aus Perspektive der IT-Sicherheit auf jeden Fall fahrlässig. "Es muss sich also nicht um einen klassischen Hack aus dem Internet handeln, sondern könnte auch eine Person gewesen sein, die beim Fernsehen arbeitet und dort die Sequenz eingespielt hat." Wäre der mutmaßliche Hack aber doch über das Internet ausgeführt worden, sei das zum Beispiel mit den entsprechenden Zugangsdaten möglich.
Bekannt habe sich zu der Aktion nach Medieninformationen bislang eine Aktivistengruppe namens Edaalate Ali (Gerechtigkeit für Ali), berichten die Agenturen. Deren Logo war in der kurzen Einblendung offenbar zu sehen. Diese Gruppierung falle seit einiger Zeit mit spektakulären Hacks auf, sagt Reuter. Unter anderem sei es ihr gelungen, die Videoüberwachung im berüchtigten Evin-Gefängnis zu knacken und erschreckende Bilder von Misshandlungen zu veröffentlicht.

Sender als großer Sicherheitsapparat

Ob diese Gruppe hinter der Aktion im iranischen Staatsfernsehen steckt, sei aber bislang unklar, meint Yalda Zarbakhch, Leiterin der persischen Redaktion der Deutschen Welle, im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Eine solche Aktion habe es zuvor im Iran noch nicht gegeben. Die These, dass Beschäftigte des Senders die Bilder eingeblendet hätten, hält sie für unwahrscheinlich. Denn der staatliche Sender sei ein großer Sicherheitsapparat, so Zarbakhch, eine interne Aktion würde schnell aufgedeckt. Für sie deute vieles auf einen Hackerangriff hin. Vor einigen Monaten habe es einen iranischen Hackerangriff auf das israelische Stromnetz gegeben, berichtet sie, "es könnte sein, dass das nun die Antwort war".
Zwar zweifelten im Iran mittlerweile viele Menschen den Wahrheitsgehalt der staatlichen Nachrichten an, viele würden gar nicht mehr einschalten. Seit Beginn der Proteste gebe es für das iranische Regime nur noch wenig Rückhalt. Dass die Störung aber zur Primetime stattgefunden hat, habe bei der Bevölkerung und in den Sozialen Medien dennoch "eingeschlagen", sagt Zarbakhch.
Der oberste religiöse Führer des Iran, Ayatollah Ali Khamenei, sitzt an einem Tisch
Der oberste religiöse Führer des Iran, Ayatollah Ali Khamenei (picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Uncredited)

Nie dagewesener Mut

Trotz der brutalen Reaktion des iranischen Staats gegen die Proteste sieht die Journalistin eine große Chance darin. Die Tatsache, dass derart viele Frauen und Mädchen dabei sind, gebe diesen Entwicklungen eine ganz neue Qualität. Den Mut, öffentlich das Kopftuch abzulegen oder es sogar zu verbrennen, wie viele Frauen es bereits getan haben, sei bislang einzigartig. Das Kopftuch sei seit Gründung der Islamischen Republik vor 43 Jahren das Symbol der Unterdrückung der Frauen, der Kontrolle über den weiblichen Körper. "Die Frauen werden entscheiden, wie es ausgeht im Iran."