Der Zorn richtete sich lange gegen Teheran. Noch vor wenigen Wochen, Anfang November war das auf dem Tahrir-Platz in Bagdad unübersehbar und auch nicht zu überhören. Die Demonstranten riefen "Nein zum Iran, nein zu den Korrupten!". Einer der lautesten war Hadi Saleh:
"Diese Regierung ist eine iranische Regierung und wird vom Iran kontrolliert! Der Irak weiß das jetzt. Wir haben 16 Jahre lang auf dem Ohr gelegen und geschlafen, aber jetzt versteht es das Volk. Jetzt beginnt das Volk zu denken und steht auf!"
Dass schiitische Iraker nicht allein deswegen schon große Freunde des Iran sind, weil auch die meisten Iraner Schiiten sind, ist nicht neu. Neu hingegen war, wie lautstark sich die Menschen jetzt gegen den Einfluss Teherans wehrten. Seit Anfang Oktober gingen Hunderttausende Menschen immer wieder auf die Straße und protestierten, auch, allerdings nicht nur, gegen den Iran. In Bagdad und überall im mehrheitlich schiitischen Süden des Landes demonstrierten sie - gegen die unfähige und korrupte irakische Regierung und gegen die Einmischung ausländischer Mächte im Land. Damit aber ist vor allem der Iran gemeint.
"Der Irak ist die erste Verteidigungslinie des Irans"
Der irakische Politologe Watheq al-Hashimi glaubt, dass die neue Protestbewegung die Führung in Teheran zutiefst beunruhigt. Al-Hashimi im November:
"Dem Iran ist bewusst, in großer Gefahr zu sein. Der Irak ist seine erste Verteidigungslinie. Man war überrascht darüber, dass die schiitischen Provinzen bei den Protesten dabei waren und dass versucht wurde, das Konsulat in Kerbala niederzubrennen - die Sprechchöre lauteten: Iran raus, bis Bagdad frei ist!"
Die wichtigsten Instrumente, die der Iran nutzt, um im Irak Macht auszuüben, sind mehrere von ihm unterstützte irakische Milizen, in denen Schiiten kämpfen. Einige dieser Milizen werden von Männern angeführt, die gleichzeitig als Abgeordnete im Parlament sitzen. Auf diese Weise reicht der lange Arm des Iran direkt bis ins Zentrum der irakischen Politik. Die USA hingegen konnten ihren Einsatz von immerhin 5.200 amerikanischen Soldaten im Irak bisher nicht in direkten politischen Einfluss ummünzen. Denn die Amerikaner bilden reguläre Teile der irakischen Sicherheitskräfte aus, wie die Anti-Terror-Spezialeinheit oder die Bundespolizei; sie unterstützen also staatliche Institutionen und nicht einzelne Milizenführer, die gleichzeitig als Politiker agieren.
Irakisches Parlament: Präsenz aller ausländischen Truppen beenden
Die Volksmobilisierungseinheiten sind der Dachverband aller Milizen im Irak - also auch der sunnitischen oder christlichen, ein offizieller Teil der irakischen Streitkräfte, gegründet 2014 für den Kampf gegen den IS. Zu ihnen pflegte der getötete iranische General Ghassem Soleimani enge Kontakte und er leitete sie an. Als Soleimani am frühen Freitagmorgen in Bagdad landete, wurde er von Abu Mahdi Al-Muhandis empfangen, der Nummer Zwei der Volksmobilisierungseinheiten und damit einer der wichtigsten Männer im Irak. Auch Al-Muhandis war sofort tot, als eine amerikanische Drohne mehrere Raketen abfeuerte.
Bereits am Tag nach dem Trauermarsch forderte das Parlament die Regierung auf, die Präsenz aller ausländischen Truppen im Irak zu beenden. Obwohl viele sunnitisch-arabische und kurdische Abgeordnete die Sitzung aus Protest boykottierten, hat die Entschließung große symbolische Bedeutung. Viele Jahre lang hatten der Iran und seine Partner im Irak nach Wegen gesucht, die Amerikaner aus dem Land zu jagen. Jetzt scheinen sie diesem Ziel nahe zu sein. Und unter denen, die während der vergangenen Wochen bei der Protestbewegung mitmachten, herrscht nun Katerstimmung.
Im südirakischen Nassiriyah fallen am Sonntag Schüsse. Aus einem Trauermarsch für die Attentatsopfer heraus wird auf regierungskritische Demonstranten gefeuert. Die Prozession war auf dem Weg zu ihrem Straßen-Camp, eine gezielte Provokation. Einige der Demonstranten stellten sich dem Zug in den Weg, einige der Trauergäste reagierten und eröffneten das Feuer, drei Menschen wurden verletzt. Während der Protestwelle, die im Herbst einsetzte, waren es immer wieder pro-iranische Milizionäre und uniformierte Bewaffnete aus dem Iran, die auf die Demonstranten schossen. An die 500 Menschen kamen bisher dabei ums Leben. Das brutale Vorgehen brachte noch mehr Iraker gegen den Iran und dessen Handlanger im Land auf, die Freunde Teherans im Irak kamen unter wachsenden öffentlichen Druck. Doch nun dreht sich der Wind wieder. Diejenigen, die für einen besseren und wirklich demokratischen Irak auf die Straße gegangen sind, spüren das. Einer sagt:
"Amerika und der Iran sollten ihre Probleme außerhalb des Irak lösen. Wir wollen nicht, dass sie das in unserem Land tun, wir haben damit nichts am Hut. Wir hier auf dem Tahrir-Platz feiern nicht den Tod von Soleimani oder irgendwem sonst, weil uns das nicht dienen wird."
Der Wunsch so vieler Iraker, ihr Schicksal endlich selbst bestimmen zu können, wird sich vorerst nicht erfüllen. Teheran dürfte den Irak jetzt noch stärker unter seinen Einfluss bringen.
Das Wirken Trumps und seiner Administration
US-Präsident Donald Trump beginnt seine Pressekonferenz am Mittwoch mit einer Präambel. "As long as I am president of the United States, Iran will never be allowed to have a nuclear weapon. Good morning, I am pleased to inform you." Nach iranischen Angriffen in der Nacht zuvor auf Militärbasen im Irak wiederholt Trump zur Einleitung das erklärte Ziel der USA: Iran dürfe niemals Atomwaffen besitzen, so der Präsident. Auf eine militärische Antwort nach den Vergeltungsschlägen will Trump verzichten:
"Wir werden weiter abwägen, wie wir auf iranische Aggressionen reagieren. Die Vereinigten Staaten werden umgehend zusätzliche strafende Wirtschaftssanktionen gegen Irans Regime verhängen. Diese Sanktionen bleiben in Kraft, bis Iran sein Verhalten ändert."
Sanktionen sind das politische Mittel mit dem die US-Regierung eine weitere Eskalation vermeiden will. Dabei seien es doch die verschärften Sanktionen gewesen, mit denen diese Runde der Eskalation begann, sagt der frühere Reporter der New York Times, David Sanger im US-Fernsehsender CNN. Im Mai 2018 entschied Donald Trump, dass die USA das Atomabkommen mit Iran verlassen und Sanktionen wieder in Kraft setzen. Erklärtes Ziel der Administration ist ein neues Atomabkommen, das Irans Einfluss in der Region und das Raketenprogramm umfasst. Trump:
"Es wird ein großartiger Deal für die Welt oder es gibt gar keinen Deal. Und Iran wird sagen, wir werden nicht verhandeln. Ich würde das an ihrer Stelle auch tun in den ersten Monaten. Aber sie werden verhandeln. Oder es passiert etwas; und das wird hoffentlich nicht der Fall sein."
Von Florida aus: Befehl zur Tötung Soleimanis
Kein Krieg, kein Regime-Wechsel, stellt US-Präsident Trump erst später klar. Was meint er aber dann? Aus Washingtons Sicht reagiert die Führung des Iran auf die harten Wirtschaftssanktionen und die sogenannte US-Politik des maximalen Drucks, in dem sie regionale Krisen eskaliert: im Persischen Golf, in Saudi Arabien, im Irak. Als bei einem Angriff auf eine Militärbasis in Kirkuk, im Irak Ende Dezember der US-Amerikaner Nawres Hamid getötet und vier Soldaten verletzt werden, schlagen Außenminister Pompeo und Verteidigungsminister Esper dem Präsidenten vor zu handeln. Präsident Trump hatte seinen Wählern versprochen, die Vereinigten Staaten zu vermeintlich alter Größe zurückzuführen: "We're gonna rebuild our military, nobody is gonna mess with us. Nobody."
In wenigen Monaten steht Trump wieder zur Wahl. An seinem Wohnsitz Mar-a-Lago erhält der Präsident – laut Berichten von Washington Post und New York Times - vom Militär mehrere Vorschläge. Trump befiehlt den Angriff auf Stützpunkte der Hisbollah-Miliz in Syrien und Irak. Mindestens 25 Menschen sterben. Und offenbar erst in einem zweiten Schritt, nach den Demonstrationen vor der US-Botschaft in Bagdad, gibt der US-Präsident von Florida aus den Befehl für die gezielte Tötung des iranischen Kommandeurs, Ghassem Soleimani. Donald Trump:
"Soleimani hatte unmittelbar bevorstehende und schreckliche Anschläge auf amerikanische Diplomaten und Mitglieder des Militärs geplant. Aber wir haben ihn auf frischer Tat ertappt. Wir haben ihn getötet."
Die Administration in Washington startet eine Medien-Offensive. Die Opposition in den USA warnt vor einem weiteren Krieg. In einer Umfrage unterstützt eine Mehrheit der befragten Amerikaner den Kurs von US-Präsident Trump. In der Gruppe der 18- bis 22-jährigen lehnen aber 60 Prozent die Tötung Soleimanis ab. Die US-Armee beginnt, 3.000 weitere Soldanten nach Kuwait zu verlegen.
Die entscheidenden Stunden dieser Woche beginnen Dienstagnachmittag in Washington mit einer Pressekonferenz von US-Verteidigungsminister Esper. Der Termin wird vorgezogen - wie immer, wenn Washington im Winter Schnee erwartet:
"Ich denke, wir sollten mit einem Vergeltungsschlag rechnen in irgendeiner Form. Entweder durch ihre Handlanger, wie sie es seit langem tun oder. Oder von eigener Hand."
Esper bereitet die Bevölkerung in den Vereinigten Staaten auf einen Vergeltungsschlag aus Iran vor. Vergeltung durch Irans verbündete Milizen im Nahen Osten oder durch iranische Truppen selbst. So konkret waren die Angaben aus dem Pentagon in den Tagen zuvor nicht: "Wir sind vorbereitet für jede Möglichkeit und dann werden wir passend reagieren." In der Nacht reagieren die Vereinigten Staaten auf die Vergeltungsschläge auf Militärstützpunkte im Irak nicht. Auch am nächsten Morgen nicht. Als US-Präsident Trump vor die Presse tritt, scheinen zwei Dinge klar: Er will keinen Krieg und er will ein neues Abkommen mit Iran – als Ersatz für den Atomdeal, an dem er längst nicht mehr festhält.
"Es ist an der Zeit für Großbritannien, Deutschland und Frankreich, Russland und China, die Realität anzuerkennen. Sie müssen sich verabschieden von den Überresten des Atomdeals. Und wir müssen zusammenarbeiten, für ein Abkommen mit Iran, dass die Welt sicherer und friedlicher macht."
Eine militärische Eskalation führt nicht zum erklärten Ziel der Amerikaner, das haben diese Tage gezeigt. Präsident Trump wird künftig erklären, er habe bei der Tötung Soleimanis gehandelt - an einer Stelle, an der seine Vorgänger zögerten. Und trotzdem habe er das Land nicht in einen neuen Krieg getrieben. Die Konflikte mit Iran aber bleiben.
Iran: Tagelang schreien Menschen ihre Wut heraus
Szenenwechsel. Totengebete im Iran für den Schattenmann Soleimani. Revolutionsführer Ali Chamenei rezitiert Verse aus dem Koran. Nach wenigen Worten versagt dem 80-Jährigen die Stimme. Er hält kurz inne und schluchzt. Die Betenden hinter ihm beginnen zu weinen und zu wehklagen. Der Ayatollah fängt sich wieder und setzt hinter dem Sarg von General Ghassem Soleimani unter Mühen das Gebet fort. Drei Tage dauert die Staatstrauer für den getöteten Führer der Al-Kuds Brigaden. Millionen Menschen säumen in den Städten Ahwaz, Mashhad, Teheran und Soleimanis Heimatstadt Kerman die Straßen. Sie wollen Abschied nehmen von jenem Mann, den viele im Iran als Held verehren und den Donald Trump als gefährlichsten Terroristen der Welt bezeichnete.
"Marg bar Omrika" – Tod für Amerika. Tagelang schreien Menschen im Iran ihre Wut heraus. Ghassem Soleimani ist Anfang Januar von einer amerikanischen Rakete am Flughafen in Bagdad zerfetzt worden. Er war extrem bedeutend und einflussreich, einer der wichtigsten Berater von Revolutionsführer Ali Chamenei. Soleimani wurde in den vergangenen Jahren immer wieder ins Gespräch gebracht, wenn es um hohe und höchste Ämter im Iran ging. Er wurde als potentieller Nachfolger von Präsident Hassan Rohani gehandelt. Manche haben ihn sogar als möglichen Nachfolger des Revolutionsführers Chamenei ins Spiel gebracht.
"Lasst mich das entscheidende Wort zuerst sagen: Wir nehmen Rache." Verspricht Hossein Salami, der Chef der iranischen Revolutionsgarde. "Es wird eine harte, entschiedene, schmerzhafte und entschlossene Rache sein." In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch ist es soweit. Der Iran schießt gut zwei Dutzend Raketen des Typs Qiam auf von US-Streitkräften genutzte Militärbasen im Irak. Vergeltung sei das noch nicht, sagt Revolutionsführer Chamenei dazu. "Sie haben lediglich eine Ohrfeige bekommen." Getötet oder verletzt wird niemand. Die Raketen richten nicht einmal Schaden an. Offenbar sollten sie das auch gar. Denn die US-Truppen im Irak waren gewarnt worden. Ob von irakischen oder iranischen Informanten, ist unklar. Bereits eine Stunde bevor die Raketen nahe Erbil einschlugen, heulten dort Sirenen. Teheran wollte kein Blutbad. Teheran wollte Washington nicht herausfordern. Der Politikwissenschaftler Ali Bigdeli weiß warum: "Der Zustand des Landes und der gesamten Region erlaubt keinen Krieg. Das wissen einige Politiker und Militärs hier genau. Sie sollten keinen Grund für US-Militärschläge liefern."
Der iranischen Wirtschaft droht der Kollaps
Der Iran kann einen offenen Krieg mit den USA und deren Verbündeten nicht gewinnen. Das Land ist militärisch hoffnungslos unterlegen. Seit 1979 lastet ein internationales Waffenembargo auf der Islamischen Republik. Die Luftwaffe ist völlig veraltet. Panzer und Schiffe sind Eigenbau und nicht auf der Höhe der Zeit. Die iranischen Militärausgaben belaufen sich auf 15 Milliarden Dollar pro Jahr. Das Verteidigungsbudget der USA und ihrer Verbündeten im Nahen Osten liegt bei rund 850 Milliarden Dollar.
"Wir haben deutlich gezeigt, dass wir gegenüber den USA keinen Rückzieher machen", tönt Präsident Hassan Rohani nach dem Raketenangriff auf Militärbasen im Irak. "Wenn die USA ein weiteres Verbrechen begehen, müssen sie mit einer deutlich stärkeren Antwort rechnen."
Iranische Medien berichten, bei den Raketenangriffen seien bis zu 80 feindliche Kräfte umgekommen. Niemand anders bestätigt das. Die iranische Führung will kraftvoll und handlungsfähig erscheinen. Tagelang hat sie Vergeltung angedroht. Tagelang hat der Tod von General Soleimani das Land in einen patriotischen Taumel gehüllt und die großen Nöte der Islamischen Republik in den Hintergrund treten lassen. Doch die Probleme sind nach wie vor da, versichert Ali Bigdeli: "Die Erwartungen der Menschen an die Regierung haben sich nicht geändert. Sie werden zunehmen. Die Regierung ist hilflos. Es wird nicht besser, solange die US-Sanktionen in Kraft sind."
Iranisches Regime: asymmetrischer Krieg im Nahen Osten
Der iranischen Wirtschaft droht der Kollaps. Galoppierende Inflation, Verfall der Landeswährung, steigende Arbeitslosigkeit, zunehmende Verarmung großer Teile der Bevölkerung. Hunderttausende sind im November deshalb auf die Straße gegangen. Das Regime reagierte mit Knüppeln, Tränengas und Scharfschützen. Bis zu 1.500 Menschen sollen umgekommen sein. Das Land exportiert kaum noch Öl. Teheran mischt aber in etlichen Ländern im Nahen Osten mit – in Syrien, im Libanon, im Irak und im Jemen. Architekt und Baumeister dieser expansiven Politik war Ghassem Soleimani. Er hat es wie kein Zweiter verstanden, mit vergleichsweise geringen Mitteln den Einfluss Irans in der Region zu vergrößern. Das iranische Regime führt einen asymmetrischen Krieg im Nahen Osten, weil es sich bedroht fühlt, weil es vor dem wirtschaftlichen Kollaps steht, weil es um seine nackte Existenz geht. Zündeln und Eskalieren gehören dabei zum Repertoire Teherans. Dem neuen Führer der von Washington als Terrororganisation bezeichneten Al-Kuds Brigaden, General Ismail Qaani, will die iranische Führung noch mehr Geld für Einsätze im Ausland zur Verfügung stellen. Teherans Ziel ist ein Naher Osten ohne US-Truppen.
"Sie haben des ehrenwerten Soleimanis Hände abgeschnitten. Um das zu vergelten, müssen wir den USA die Füße abschneiden und sie aus unserer Region werfen."
Ob und wann die USA sich aus der Region zurückziehen, bestimmt allein Washington. Die iranische Führung hofft, dadurch ihr Überleben sichern zu können.