Im Iran beginnt 1997 eine Phase der Entspannung. Gegen die Widerstände der Hardliner wird der Reformpolitiker Mohammad Chātami zum Präsidenten gewählt. In einem CNN-Interview wirbt Chātami für eine „neue Beziehung“ mit den USA, er spricht von einem „Dialog der Zivilisationen“. Die US-Regierung erwidert die Signale. Präsident Bill Clinton schickt an hohen iranischen Feiertagen Grüße nach Teheran. In einer Videobotschaft bezeichnet er das WM-Spiel von 1998 als „Zeichen gegen die Entfremdung“.
„Damals hat man gedacht, es würde richtig ein Dialog zwischen Iran und USA anfangen“, sagt der aus dem Iran stammende Filmemacher Ayat Najafi, der sich mit der politischen Geschichte des Fußballs befasst hat, auch mit dem Spiel USA-Iran 1998. Damals wehren sich Geistliche gegen die Liberalisierung des neuen Präsidenten. Radikale Gruppen bedrohen die iranische Mannschaft, die Sicherheitsvorkehrungen rund um ihr Trainingscamp werden erhöht. Religionsführer Ali Chamenei will nicht, dass sich das iranische Team beim Händeschütteln vor dem Spiel auf das amerikanische zubewegt.
Sehnsucht nach internationaler Anerkennung
Die Fifa will den Spannungen entgegenwirken und erklärt den Spieltag am 21. Juni 1998 zum „Fairplay-Tag“, erinnert der aus dem Iran stammende Fan Reza, der seinen Nachnamen nicht nennen möchte: „Der Schiedsrichter war Urs Meier aus der Schweiz, das war eine Andeutung, ein Schweizer Schiedsrichter, auch neutral.“ Seit 1981 vermittelt offiziell die als neutral geltende Schweiz die US-Interessen in Teheran. Vor der WM-Partie überreichen sich die Spieler Blumen und posieren für ein gemeinsames Foto, sagt der in Teheran geborene Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour: „Und das ist nicht nur als Zeichen von Völkerverständigung verstanden worden im Iran, sondern als Ausdruck von der Sehnsucht der Menschen nach internationaler Anerkennung, nach Austausch und dem Ende der Isolation.“
Im Stadion von Lyon gibt es auch Proteste. Anhänger der so genannten Volksmudschahedin zeigten Banner und Fotos von Maryam Rajavi. Die Oppositionelle lebt mit vielen Mitstreiternseit vierzig Jahren in Paris. Im Stadion sollen nun rund 150 Sicherheitskräfte einen möglichen Platzsturm der Protestierenden verhindern. Vor dem Fernseher bekommt der Fußballfan Reza davon jedoch nichts mit, sagt er: „Ein interessantes Spiel, aber es wurde auch viel zensiert. Damals habe ich mich gewundert, warum nicht alles voll gezeigt wird. Und nachher hat sich herauskristallisiert, dass viele Oppositionelle im Stadion waren.“
Das Regime schlägt brutal zurück
Auf dem Spielfeld ringt die iranische Mannschaft die USA 2:1 nieder, ihr erster Sieg überhaupt bei einer WM-Endrunde. Hunderttausende Menschen strömen im Iran auf die Straßen. Hupkonzerte, verbotene Musik, sogar einige tanzende Frauen, berichtet Regisseur Ayat Najafi: „Die Menschen wollten explodieren. Man benutzte jede Chance, das zu zeigen.“
Die Mobilisierungskraft des Fußballs schockiert den Klerus im Iran. Die Hardliner wollen die Reformen des Präsidenten Chātami untergraben. Am Tag des WM-Spiels gegen die USA entmachtet das konservativ geprägte Parlament den Innenminister Abdollah Nouri, eine der fortschrittlichsten Stimmen. Ayat Najafi sagt: „Genau an diesem Tag des Fußballspiels. Und ich habe gedacht, genau, die haben diesen Tag ausgesucht, weil alle im Iran nur an dieses Fußballspiel dachten. Und keiner hat das wahrgenommen. Und dann war ich auch selber auf der Straße, nach dem Spiel. Und ich war ein bisschen traurig, dass keiner darüber redet, dass Nouri nicht mehr Innenminister ist.“
Der Einfluss der Diaspora
Diese Entmachtung ist erst der Anfang. Die Revolutionsgarden lassen bald darauf Studentenproteste niederschlagen. Es folgt eine Mordserie an Intellektuellen. Hunderte Studenten, Menschenrechtler und moderate Politiker kommen in Haft. Auch spätere Protestwellen werden im Iran niedergeschlagen – bis in die Gegenwart. Eine wichtige Rolle in der Debatte spielen dabei die Exilanten in der Diaspora, sagt Christoph Becker von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Mehr als anderthalb Millionen Menschen iranischer Herkunft leben allein in den USA: „Da haben alte Anhänger des Schahs nach wie vor noch eine wahrnehmbare Stimme. Auch der Sohn des damals gestützten Schahs lebt in den Vereinigten Staaten. Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass zumindest ein Teil der Briefe, die an die Fifa gingen, die dazu aufforderten, den iranischen Verband von der Weltmeisterschaft auszuschließen, eben auch aus Nordamerika gesendet wurden.“
Ausgerechnet gegen die USA könnte das iranische Team nun zum ersten Mal ins WM-Achtelfinale einziehen. Und auch danach wird die Debatte weitergehen: Wer fühlt sich durch die Mannschaft repräsentiert? Das Regime, die Opposition, vielleicht sogar die Diaspora? Das brisanteste Spiel der Vorrunde wird darauf einen großen Einfluss haben.