Christoph Heinemann: In dem Flugzeug von Paris nach Teheran reiste 1979 auch Abolhassan Banisadr mit, der im folgenden Jahr zum ersten gewählten Präsidenten der islamischen Republik aufstieg. Später musste er fliehen, heute lebt er in Frankreich im Exil. Ich habe Abolhassan Banisadr vor dieser Sendung gefragt, wie der Flug heute vor 40 Jahren verlief.
Abolhassan Banisadr: Es gab vielerlei Informationen darüber, dass das Flugzeug in den Süden des Iran abgedrängt, oder andernfalls abgeschossen werden sollte. Viele sind gar nicht erst mitgeflogen, weil sie Angst hatten. Diejenigen, die in das Flugzeug einstiegen, waren beunruhigt oder hatten Angst. Khomeinis engerer Zirkel, diejenigen, die sich in dem für ihn reservierten Teil des Flugzeuges aufhielten, waren kaum beunruhigt.
Heinemann: Hatten Sie persönlich Angst, dass das Flugzeug abgeschossen werden könnte?
Banisadr: Nein. Ich bin eingestiegen und war sicher, dass diese Gefahr nicht bestehen, dass die damalige Regierung das nicht tun würde und das Flugzeug heil auf dem Flughafen in Teheran landen würde.
"Khomeini hat Prinzipien der iranischen Revolution verraten"
Heinemann: In welchem Gemütszustand befand sich Ajatollah Khomeini?
Banisadr: Augenscheinlich sehr ruhig. Irgendeine Beunruhigung war in seinem Gesicht nicht zu spüren. Er ist in den oberen Teil des Flugzeugs gegangen, um zu beten. Er war insgesamt sehr ruhig.
Heinemann: Wieso haben Sie sich der Bewegung des Ajatollah Khomeini angeschlossen?
Banisadr: Die Frage stimmt so nicht. Ich habe mich seiner Bewegung nicht angeschlossen. Selbst Khomeini glaubte nicht, dass die Bevölkerung eine Revolution machen würde. Er hat keinerlei Stellungnahme abgegeben, die diese revolutionäre Bewegung unterstützt hätte. Er nahm erstmals 40 Tage nach dem Beginn der Unruhen Stellung. Ich habe schon als Student für diese Revolution gearbeitet.
Es war eher so, dass sich Khomeini der iranischen Revolution und ihren Forderungen und Prinzipien angeschlossen hat. Das hatte er über Journalisten der ganzen Welt noch in Neauphle-le-Chateau angekündigt. Später hat er diese Prinzipien verraten, aber das ist eine andere Sache.
Heinemann: Verraten?
Banisadr: Ja, verraten. Er hatte 19 Grundsätze verkündet, darunter Unabhängigkeit, Freiheit, Demokratie. Auch sehr fortschrittliches: Volkssouveränität, Menschenrechte, Trennung der religiösen Institutionen vom Staat, Freiheit des Glaubens. Das hat er alles akzeptiert und angekündigt.
"Die Mehrheit in der Führung wollte die Diktatur"
Heinemann: Wer hat diese Grundsätze verraten?
Banisadr: Khomeini selbst. Und diejenigen, die mit ihm die Diktatur des Schah-Regimes wiederherstellen wollten. Das war die Führungsmannschaft der Revolution. Es gab dort zwei Strömungen: die Mehrheit wollte eine Diktatur wie unter dem Schah wiederherstellen. Die andere stand für die Demokratie. Aber das war die Minderheit.
Heinemann: Wann haben Sie gemerkt, dass er die Diktatur wiederherstellen wollte?
Banisadr: Man kann nicht sagen, dass er allein gehandelt hätte. Er war nicht der Teufel, der alles allein gemacht hat. Viele haben an der Wiederherstellung der Diktatur mitgewirkt: zehn Prozent Khomeini, 90 Prozent die anderen.
Heinemann: Schon 1970 wurden Sätze von Ajatollah Khomeini veröffentlich, wie der folgende: 'Das Gesetz ist nichts anderes als der Befehl Gottes'. Wie konnte man glauben, dass Khomeini ein anderes als ein religiöses Regime einführen wollte?
Banisadr: Khomeini hat fünfmal seine Meinung über die Stellung des Geistlichen Führers geändert. Zuerst war er gegen eine starke Stellung. Hier in Frankreich hat er gesagt, die Souveränität gebühre dem Volk. Er hat sogar gesagt, unsere Demokratie werde weiter gehen als die westlichen, weil die Bürger an der Führung ihres Landes beteiligt würden.
Als er dann in den Iran zurückgekehrt war, fand sich im Verfassungsgesetz von diesem Prinzip nichts wieder. Der Expertenrat hat vielmehr die Souveränität des Geistlichen Führers beschlossen - zunächst in überwachender Funktion, später dann bekam er die exekutive Macht. Khomeini hat gesagt, der Geistliche Führer, also er, verfüge über die gesamte Macht. Und ich erinnere mich noch gut: In einem Interview mit dem "Spiegel" hatte er gesagt, die Souveränität gebühre dem Volk.
Heinemann: Hat Ayatollah Khomeini gelogen?
Banisadr: Ich werfe ihm vor, dass er niemals hätte akzeptieren dürfen, dass er der Chef wird. Er hätte nicht alles laufen lassen dürfen. Er hätte von Anfang an darauf bestehen müssen, dass die Grundsätze, die er angekündigt hatte, auch verwirklicht würden.
"Es handelt sich um ein Volk in Geiselhaft"
Heinemann: Wann ist Ihnen erstmals aufgefallen, dass er seine Grundsätze verraten würde?
Banisadr: Erstmals war das, als in den Straßen von Teheran Leute Frauen angegriffen haben, die kein Kopftuch trugen. Ich bin zu ihm gegangen und habe ihm gesagt: 'Sie sind verpflichtet, dafür zu sorgen, dass die Frauen frei entscheiden können, ob sie den Schleier tragen wollen, oder nicht. Sie verraten das, was Sie versprochen haben.' Er hat gesagt, das sei nur eine Forderung in einem bestimmten Augenblick gewesen, er habe das so gesagt, aber er werde nicht dafür sorgen, dass das eingehalten werde.
Heinemann: Für Ayatollah Khomeini waren die Prinzipien der Religion wichtiger als die Freiheit?
Banisadr: Die Macht war für ihn wichtiger. Ob es sich um eine Religion oder eine andere Ideologie handelt: Sie wissen, dass die Macht einen davon entfremdet. Keine Ideologie kann sich einer Entfremdung durch die Macht entziehen. In dieser Zeit hatte sich unsere Religion zur Rechtfertigung für die Launen der Macht entwickelt.
Heinemann: Wenn Sie sich die gegenwärtige Lage anschauen: Warum hat dieses Regime fast 40 Jahre durchgehalten?
Banisadr: Es gibt innere und äußere Gründe: Die Staatsführung ist wirtschaftlich unabhängig von der Bevölkerung. Umgekehrt hängt die Bevölkerung vom Staat ab. Politisch handelt es sich um ein Volk, das eine Revolution ausgelöst hat. Und die religiöse Institution hat sich des Staates bemächtigt. Dazu kommt der äußere Faktor: die Wirtschaftssanktionen, die bis heute wirksam sind. Es handelt sich um ein Volk in Geiselhaft.
"Trump hält das iranische Regime an der Macht"
Heinemann: Wie bewerten Sie die Entscheidung von US-Präsident Donald Trump, aus dem Atomabkommen mit dem Iran auszusteigen und die Sanktionen wieder einzuführen, um auf Teheran Druck auszuüben?
Banisadr: Das ist eine Entscheidung gegen jede Veränderung im Iran. Durch diese Entscheidung hält sich das Regime an der Macht. Ein Regime, dass eigentlich dazu verurteilt wäre zu verschwinden. Aber es hält sich künstlich zum großen Teil wegen äußerer Umstände an der Macht, vor allem wegen der Sanktionen. Ich weiß nicht, wie man Herrn Trump erklären kann, dass er uns in Ruhe lassen soll, damit das Volk sein Schicksal ändern kann.
Heinemann: Die Europäische Union bildet gerade eine Zweckgesellschaft, um trotz der US-amerikanischen Sanktionen Öl im Iran kaufen zu können. Befürworten Sie diese Politik, und muss man das Atomabkommen retten?
Banisadr: Absolut. Wenn Europa eine unabhängige Politik wagt, so dass sich das iranische Volk in Sicherheit fühlt, werden die Menschen ihr Schicksal in die Hand nehmen, und diesen absolut diktatorischen Staat in einen Rechtsstaat umwandeln.
Heinemann: Glauben Sie, das Sie den Sturz des Mullah-Regimes erleben werden?
Banisadr: Ich hoffe es. Wenn Herr Trump uns gewähren lässt, warum nicht?
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