Der 60-jährige Raisi war Spitzenkandidat der Hardliner und Wunschkandidat des Regimes. Bei der Wahl am 18.06.2021 mit historisch niedriger Wahlbeteiligung (48,8 Prozent) setzte sich der ultrakonservative Ebrahim Raisi von der "Vereinigung der kämpfenden Geistlichkeit", bislang Justizminister, gegen den reformorientierten Abdolnaser Hemmati durch. Raisi bekam 62 Prozent der gültigen Stimmen.
Wer ist Ebrahim Raisi und welche Auswirkungen wird seine Präsidentschaft auf den Iran haben, der aktuell unter einer schweren Wirtschaftskrise leidet?
Der 60-jährige Geistliche Ebrahim Raisi sieht sich als Nachfahre des Propheten Mohammed, ein wichtiger Ausweis religiöser Autorität im schiitischen Islam. In jungen Jahren schlägt der Mann aus einer Klerikerfamilie aus der "heiligen Stadt" Maschad eine juristische Laufbahn ein.
Als stellvertretender Staatsanwalt des Revolutionsgerichts in Teheran soll Raisi Ende der 1980er-Jahre mitverantwortlich für massenhafte Hinrichtungen politischer Gefangener gewesen sein – die USA unter Donald Trumphaben ihn deswegen im Jahr 2019 mit Sanktionen belegt.
Im selben Jahr wird Raisi Chef der Justiz im Iran, und hat damit fortan eines der mächtigsten Ämter im Land. Als Justizchef macht er sich einen Namen im Kampf gegen Korruption, stellt hohe Regierungsbeamte und sogar Richter vor Gericht.
Politisch hat er wenig Erfahrung. Zu den vorherigen Präsidentschaftwahlen 2017 trat er bereits an, unterlag aber dem damaligen Amtsinhaber Ruhani.
"Raisi gibt sich gerne als unabhängig von politischen Fraktionen. Aber seine Unterstützer kommen aus dem Lager der Hardliner und Konservativen", sagt der Teheraner Politik-Experte Mohammad Mohajeri.
Im Wahlkampf versprach Raisi, "unerbittlich" gegen Korruption und Armut im Land zu kämpfen. Der Iran ächzt nach dem Aussetzen des Atomabkommens und den folgenden US-Sanktionen unter einer Wirtschaftskrise, die Inflation ist enorm, Lebensmittelpreise steigen wöchentlich. Gegen diese Krise will Raisi angehen und neue Arbeitsplätze schaffen. "Es ist überhaupt nicht klar, was für einen tatsächlichen ökonomischen Plan er hat", sagte die Politologin Azadeh Zamirirad von der Stiftung Wissenschaft und Politik zwei Tage nach der Wahl im Deutschlandfunk. "Er wird allerdings vermutlich davon profitieren, dass einige Wirtschaftssanktionen jetzt im Zuge der Atomgespräche wieder ausgesetzt werden."
Raisi befürwortet die im Iran nach wie vor praktizierte Todesstrafe. In vielen sozialen Fragen einschließlich der Rolle der Frauen im öffentlichen Leben vertritt er höchst konservative Ansichten. "Was er nicht wird kitten können, ist diese doch immer größer werdende Kluft zwischen Gesellschaft und Staat", glaubt die Politologin Zamirirad. Wie bei anderen Hardlinern vor Raisi rechnet sie mit mehr Repressionen und kleineren Räumen für Bürger und Zivilgesellschaft, insbesondere für Frauen.
Will Raisi Nachfolger von Revolutionsführer Ali Chamenei werden?
Präsident ist nicht das mächtigste Amt im Iran, das geistliche Oberhaupt Ayatollah Ali Chamnei hat großen Einfluss. Manche unterstellen Raisi Ambitionen, Chamenei zu beerben. Diesem Ziel wäre er mit einer Präsidentschaft deutlich näher. Raisi gilt als Vertrauter des Revolutionsführers Chamenei.
"Ali Chamenei ist recht alt, er ist krank, man macht sich schon seit Jahren Gedanken über die Nachfolge", sagte die Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur im Deutschlandfunk. "Und Raisi scheint da jemand zu sein, der in Frage kommt." Das bedeute auch, dass er sich nicht mit Chamenei anlegen, sondern dessen Linie folgen werde.
Mehrere Regierungen haben die Wahl Raisis kritisiert. "Irans neuer Präsident, bekannt als der Schlächter von Teheran, ist ein Extremist, der für den Tod Tausender Iraner verantwortlich ist", erklärte etwa Israels Außenminister Jair Lapid auf Twitter. Das könnte es Raisi auf dem internationalen Parkett schwierig machen. Allerdings werde die Weltgemeinschaft in vielerlei Hinsicht nicht anders können, als mit ihm zu reden, meint die Kölner Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur.
Eine neuerliche Einigung zum Atomabkommen von 2015 wäre für den Iran sehr wichtig. Die Islamische Republik war auf einem guten Weg, ihre internationalen Beziehungen zu normalisieren, bevor US-Präsident Trump das Abkommen 2018 einseitig aufkündigte und mehr Zugeständnisse vom Iran forderte.
Mitte Juni standen die Chancen gut, dass die Verhandlungsparteien (EU, Russland, China, Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Iran) noch in der Amtszeit von Vorgänger Hasan Ruhani wieder zusammenfinden. "Eine Einigung zur Wiedereinsetzung des Atomdeals ist in Reichweite, aber noch nicht finalisiert", twitterte der russische Verhandlungsführer am 19.06.2021.
Präsident Ebrahim Raisi hat sich zu dem Abkommen bekannt. Er habe es auch gar nicht in der Hand, die Einigung zu kippen, meint die Politologin Azadeh Zamirirad von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Sie geht allerdings von neuem Konfliktpotenzial unter einem Präsident Raisi aus – etwa Regionalfragen betreffend, ballistische Raketenprogramme, Menschenrechtsfragen oder, im Streitfall, bei den Details zur Umsetzung des Atomdeals.
Politische Opposition ist im Iran schwierig. Viele Oppositionelle leben im Exil. Vor den Präsidentschaftswahlen ließ der sogenannte Wächterrat von rund 600 Bewerbern und Bewerberinnen um eine Kandidatur nur sieben zu, alles Männer. Die Kölner Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur nannte die Wahl im Dlf eine "Farce". Der Wächterrat habe sich diesmal nicht einmal um den Anschein einer Auswahl bemüht, moderate Kandidaten von vornherein ausgeschlossen.
Aus der geringen Wahlbeteiligung, Kommentaren auf Wahlzetteln und Gesprächen mit Iranern lässt sich Illusionslosigkeit ablesen. Doch es gebe nicht nur Resignation, beobachtet die Politologin Azadeh Zamirirad:
"Wir sehen tatsächlich sehr viel Vitalität und sehr viel auch Aufbruchsstimmung – in verschiedenen Diskussionen, gerade in Clubhouse und auf anderen Messenger-Diensten –, die Frage, ob es nicht eine Art Neuaufbruch jetzt geben müsste und könnte. Es gibt die Idee, dass man eben ganz neu ansetzen muss, dass das, was wir unter traditionellen Reformbewegungen im Iran gesehen haben, schlicht nicht greift, letztlich gescheitert ist."
Straßenproteste wenig aussichtsreich
Islamwissenschaftlerin Amirpur glaubt allerdings nicht, dass Proteste auf der Straße Erfolg hätten. Proteste wurden in den vergangenen Jahren brutal niedergeschlagen. Die Regierung habe immer noch sehr sehr viel an Schlagkraft und Unterstützung.
Häufig werde die Zahl genannt, dass 80 Prozent lieber ein anderes Regime hätten. Doch die verbleibenden 20 Prozent würden bis zum Ende mit dem Rücken zur Wand für das Regime kämpfen. "Insofern sehe ich da noch nicht die große, breite kritische Masse, die wirklich etwas auf der Straße bewegen könnte", sagt Zamirirad.
Quellen: Karin Senz, Fabian May, dpa, AFP, rtr, AP