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Irland nach dem Brexit
"Europa ist für uns ein Friedensprojekt"

Zwischen Irland und Nordirland wird im Falle des Brexits die EU-Außengrenze verlaufen. Ein Szenario, vor dem sich viele Iren fürchten, mein der irische Schriftsteller Hugo Hamilton. Es gebe eine große Furcht in Irland, dass erneut ein Krieg ausbrechen könnte, sagte er im DLF.

Hugo Hamilton im Gespräch mit Änne Seidel |
    Hugo Hamilton, Porträt
    Hugo Hamilton auf der Frankfurter Buchmesse 2008 (dpa/picture alliance/Uwe Zucchi)
    Änne Seidel: Sollte die Idee vom vereinten Europa, sollte die EU am Ende doch nur ein Märchen gewesen sein? Eine schöne Utopie, an der wir uns ein paar Jahrzehnte lang festgeklammert haben, die aber eben doch nicht taugt für die Realität? Der Brexit soll kommen, daran lässt auch die neue britische Premierministerin Theresa May keinen Zweifel. Grund für uns, uns in den kommenden Wochen mal im übrigen Europa umzuhören und zu fragen: Was bedeutet die EU den Europäern noch? Und wie sollte sie zukünftig aussehen? Heute hören dazu wir eine Stimme aus Irland. Der Schriftsteller Hugo Hamilton lebt in Dublin, hat eine sehr europäische Biografie, er hat eine deutsche Mutter, einen irischen Vater, und hat auch schon in Berlin und Bukarest gelebt. Was verbindet er ganz persönlich mit Europa? Das habe ich ihn gefragt.
    Hugo Hamilton: Ich bin als deutsch-irisches Kind hier in Irland aufgewachsen. Mein Vater hatte vor, die irische Sprache wieder zur Führung zu bringen und die englische Sprache in den zweiten Rang zu setzen. Und wir sprachen auch Deutsch im Haus. Ich hatte immer eine enge Beziehung zu Deutschland und zu Europa. Das wurde dann ganz anders, später, als wir in die EU reinkamen. Wir waren dann mitten drin. Ich ging mit 18 Jahren nach Berlin. Berlin war dann und ist immer noch die Mitte Europas. Und ich glaube, dass viele Iren jetzt so auf Berlin schauen. Es war früher so, dass jeder nach London fuhr, entweder London oder New York. Jetzt hat sich das etwas erweitert. Es gibt viele Iren, die in Deutschland wohnen, oder Frankreich, überall. Wir sehen das ganz anders jetzt.
    "Der Begriff Europäer ist immer noch schwierig"
    Seidel: Haben Sie dann Europa auch als die übergeordnete Heimat empfunden, wo alle Fassetten Ihrer Persönlichkeit ein Zuhause finden und gleichberechtigt nebeneinander stehen können?
    Hamilton: Ja. Meine Mutter fand das sehr lustig, dass man hier in Irland nie richtig die Wahrheit sagen konnte. Man musste irgendwie so einen Hinterweg finden. Dieses klare Sprechen, was man in Deutschland hat, diese Klarheit, wo man alles richtig beantwortet, das gab es in Irland früher nicht. Und das ist vielleicht unsere tolle Art in Irland: Wir können um die Ecke sprechen.
    Seidel: Vor ein paar Jahren haben Sie hier im Deutschlandfunk mal gesagt, Sie würden sich trotzdem nicht als Europäer bezeichnen. Hat sich das mittlerweile geändert?
    Hamilton: Ich glaube, der Begriff Europäer ist immer etwas schwierig.
    Seidel: Warum?
    Hamilton: Man kann mit ganzer Leichtigkeit einfach sagen, ich bin ein Amerikaner oder so was. Aber Europäer, dieser Begriff ist immer noch schwierig. Man sagt entweder, man ist Franzose oder man ist Deutscher oder man ist Ire. Aber vielleicht in diesem Moment, wo die Briten jetzt ausgetreten sind oder austreten wollen, wird dieser Begriff von Europa vielleicht leichter sein. Die Briten waren nie interessiert an Europa. Ich glaube, es gab für die immer einen Widerspruch. Das zu Großbritannien zu gehören und auch zu einer anderen Union, da ist ein großer Widerspruch drin, und das muss sich irgendwie lösen und das kommt dran jetzt.
    "Europa muss sich auf irgendeine Weise aufraffen"
    Seidel: Das heißt, Sie haben die Hoffnung, dass der Brexit auch eine Chance sein könnte, so etwas wie eine europäische Identität aufzubauen, zu bilden?
    Hamilton: Ich glaube wohl. Ich glaube, das ist eine große Chance jetzt. Europa muss sich auf irgendeine Weise aufraffen und sich als 27 Länder wieder zusammenfinden.
    Seidel: Und wie weit weg oder wie nah dran fühlen sich die Iren zurzeit an Europa, jetzt nach dem Brexit-Votum?
    Hamilton: Wir Iren sehen uns eigentlich sehr eng an Europa. Wir hatten früher diese ganz engen Begriffe von Nationalität. Wir wollten Iren sein, wir hatten uns freigesetzt aus den britischen Kolonien, wir mussten uns zeigen als typische Iren. Und das machen wir jetzt eigentlich viel besser in einer globalen Welt. Ich glaube, wir haben diese enge Nationalität überwunden über die Jahre. Wir hatten da diesen Krieg in Nordirland, den wollen wir nicht mehr. Europa hat uns irgendwie in die Offenheit gebracht und das sehen wir als eine Errungenschaft. Wir sehen Europa ganz anders, als man in Großbritannien das sieht, und wir fürchten das eigentlich, dass wir hier wieder sehr abgelegen sind.
    Seidel: Zumal die europäische Außengrenze nach dem Austritt Großbritanniens ja auf Ihrer Insel verlaufen wird, zwischen der Republik Irland und Nordirland.
    Hamilton: Genau. Das ist eine große Furcht hier in Irland, dass wir wieder diesen Krieg erleben werden. Das ist für uns eine große Furcht.
    "Es ist die engstirnige Nationalität, die uns so viel geschadet hat"
    Seidel: Sie sprechen den Nordirland-Konflikt an. Die EU als Friedensprojekt - hier in Deutschland hat man manchmal den Eindruck, dass dieses Argument nicht mehr so wirklich zieht. Der letzte Krieg hierzulande ist jetzt fast ein Menschenleben lang her, die meisten Menschen wissen gar nicht mehr, wie es ist, nicht in Frieden zu leben. In Irland ist das anders. Nehmen die Iren die EU nach wie vor als ein solches Friedensprojekt wahr?
    Hamilton: Genau! Das ist ein Friedensprojekt für uns auch. Uns ist aber viel dadurch geholfen worden, dass die Amerikaner da sich eingesetzt haben für unseren Frieden in Nordirland. Es ist die engstirnige Nationalität, die uns so viel geschadet hat in den letzten 50 Jahren, und diese Nationalität haben wir jetzt überwunden, hauptsächlich in den letzten zehn Jahren, da wir diesen Wohlstand erlebt haben hier in Irland. Das hat uns viel geholfen dabei, nicht mehr diesen Traum von Irland, von 32 Grafschaften zu sehen. Wir können jetzt zu einer größeren globalen Welt gehören und auch zufrieden sein damit. Unser Irisch sein ist kein Grund für Krieg jetzt und das hat viel mit diesem Europa zu tun. Die Engländer und die Briten, jetzt für meine Begriffe, gehen genau in die verkehrte Richtung. Die gehen rückwärts. Die gehen in diese enge Form von Nationalität, die früher mein Vater im Haus bei uns als Sprachenkrieg angestartet hat. Wir durften zum Beispiel kein Englisch sprechen im Haus. Ich habe darüber geschrieben, wie wir das erlebt haben als Kinder, und ich dachte mir, als dieser Brexit entschieden wurde in England, ich dachte mir: Oh, jetzt kommt es wieder. Dieser Versuch, ein Land abzuschneiden von der globalen Welt, das ist kaum zu verstehen heutzutage, ob das überhaupt klappt. Ich weiß das nicht, ob ein Brexit überhaupt möglich ist.
    "Wir möchten immer noch weiter an Europa gebunden bleiben"
    Seidel: Das wissen wir noch nicht, das werden wir sehen jetzt in den nächsten Wochen und Monaten, wie sich das gestalten wird. - Sie haben den Wohlstand angesprochen. Irland hat finanziell vom EU-Beitritt profitiert. Sehen die Iren das nach wie vor so? Sehen sie den wirtschaftlichen Nutzen der EU? Oder hat die Finanzkrise in dieser Hinsicht doch zu mehr EU-Skepsis geführt?
    Hamilton: Ja. Wir sind in einer wunderbaren Situation in Irland. Wir profitieren sehr davon, dass wir sehr eng an Europa sind. Für uns ist das ein großer Schaden. Man sieht das hier als einen großen Schaden jetzt, dass der Brexit kommt.
    Seidel: Auch einen großen wirtschaftlichen Schaden.
    Hamilton: Einen großen wirtschaftlichen Schaden.
    Seidel: Weil die Handelsbeziehungen zu Großbritannien sehr wichtig sind für Irland?
    Hamilton: Ja, und wir hatten schon länger diese ganz engen Beziehungen mit Großbritannien. Das ist die große Furcht hier, dass wir am meisten leiden, wirtschaftlich aus diesem Brexit, dass Tarife oder irgendwie dieser Binnenmarkt abgeschlossen wird und dass wir Außenseiter sind. Wir möchten immer noch weiter an Europa gebunden bleiben, aber dieses Loch inzwischen, das in England bestehen wird, das wäre für uns ein großer Schaden, wirtschaftlich.
    Seidel: … fürchtet der deutsch-irische Schriftsteller Hugo Hamilton, wir sprachen über das "Märchen Europa" - nächste Woche hören Sie an dieser Stelle den Historiker Dominik Geppert, im Gespräch mit meinem Kollegen Michael Köhler.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.