Archiv


Ironisch-trockenes Foxtrott-Finale

Ottorino Respighi wird als verspäteter Spätromantiker abgetan. Hingegen gehört er zu einer genuin italienischen Tradition des Belcanto und eines klassizistischen Ideals. Verschiedene Dirigenten und Sängerinnen haben ihn auch in neuerer Zeit interpretiert. Am 18. April 1936 verstarb der Komponist.

Von Dietmar Polaczek |
    "O quante belle figlie, Madama Doré" ist ein Kinderlied, das jeder Italiener kennt. Der Wind in den Pinien der Villa Borghese, Kinderspiele im Park, in römische Sonne und Heiterkeit getaucht, zugleich höchst raffiniert in Instrumentation und Harmonik - da hat man die Essenz des Komponisten. Ottorino Respighi, 1879 in Bologna geboren, schrieb sein bekanntestes Werk, die sinfonische Dichtung "I Pini di Roma", 1924, als Mussolini zum Diktator aufstieg und Giacomo Matteotti ermordet wurde. Nichts davon in seiner Musik. Der Musikhistoriker John Waterhouse präzisiert:

    "Wenn auch ein Mann von beträchtlicher Kultur, blieb er doch, wie die Biografie seiner Witwe zeigt, ein sehr einfacher, sogar kindlicher Mann."

    Er studierte in seiner Heimatstadt Violine, Bratsche, Klavier und Komposition, verdiente sein Brot als Orchestermusiker, ging als solcher 1900 und 1902 nach Petersburg und erfuhr dort von Rimsky-Korsakow prägende Impulse, die sich in manchen slawischen Zügen seiner Musik wiederfinden: In seinem D-Dur Quartett von 1907 findet sich ein Tonfall, der an Dvořák oder noch mehr an Janáček erinnert, und eine thematische Arbeit, die das historische Vorbild Beethoven widerspiegelt. Doch das Studium der alten Meister ging bei Respighi viel weiter zurück:

    "Kaum ein Komponist des 20. Jahrhunderts, von Gian Francesco Malipiero einmal abgesehen, hat sich so früh, so lange und so intensiv mit alter Musik abgegeben wie Respighi",

    schreibt Jürg Stenzl in seinem Werk "Von Giacomo Puccini zu Luigi Nono". Respighi hat sich öfter damit vergnügt, barocke Lautmalerei nachzubilden, etwa in seiner hübschen Suite "Gli uccelli" von 1927 mit einer gackernden Gallina, einer Henne.

    Der kindliche Mann war auch ein glücklicher Mann. 1913 wurde er Professor am römischen Konservatorium Santa Cecilia. Dort gehörte seit 1915 die Sängerin und Komponistin Elsa Olivieri-Sangiacomo zu seinen Schülern. 1919 heirateten sie - eine von ungewöhnlich tiefer Liebe erfüllte Ehe, die bis zu Respighis Herztod am 18. April 1936 dauerte. Danach hütete die Witwe, die 102 Jahre alt wurde, mehr als ein halbes Jahrhundert lang das Erbe ihres Mannes, als Biografin, Archivarin und Bearbeiterin unvollendeter Werke.

    Sehr erfolgreich war Respighis letzte vollendete Oper "La fiamma" 1934 in Gegenwart des Duce in Rom mit ihm selbst am Dirigentenpult uraufgeführt.

    Das könnte vom 20 Jahre älteren Puccini sein. Respighi kam nur ein bisschen zu spät. Die Plätze waren besetzt. Scheinbar verspäteter Spätromantiker, war er klassizistischem Ebenmaß und italienischem Belcanto verpflichtet, kannte andererseits aber Debussy und Strawinsky. Doch blieb er der ewig Zweite.

    Ottorino Respighi war schon berühmt, als Mussolini an die Macht kam. Er war kein Faschist, biederte sich nicht an. Nur: Seine Musik kam mit ihrer glänzenden Fassade, ihrer Italianità und ihrem Prunk dem Faschismus entgegen. Er wurde vereinnahmt. Ob er sich dem entziehen wollte?

    Am Ende des romantischen Musikmärchens "La bella dormente nel bosco", unseres Dornröschens, dreht Ottorino Respighi plötzlich dem Pomp, den die Faschisten so gern mochten, mit einem ironisch-trockenen Foxtrott-Finale und übertriebenen Schlusswendungen eine lange Nase.