James, 45 Jahre alt, lebte sechs Jahre lang ohne legalen Aufenthaltsstatus in Hamburg und hielt sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Seiner Mutter konnte er kleinere Geldsummen für ihren Lebensunterhalt nach Ghana schicken - was die Familie auch von ihm erwartete. 2006 jedoch wurde er in sein Land abgeschoben und hatte nur 30 Euro bei sich. Aus Scham über sein Scheitern und aus Angst vor Spott versteckte er sich zwei Jahre lang in Accra und traute sich nicht in seine Heimatstadt zurück.
"Menschen sehen Rückkehr als ein Problem, besonders aus illegalem Aufenthaltsstatus hinaus, weil sie sich Behörden offenbaren müssen, um ausreisen zu können. Aber eben vor allen Dingen oftmals in prekären Arbeitsbedingungen nicht die Möglichkeit hatten, Geld zu sparen. Und selbst sehr starke Erwartungen an ihre Migration gerichtet haben, aber auch wissen, dass im Kontext von Ghana starke Erwartungshaltungen an sie gerichtet werden und sie deshalb befürchten, als gescheitert zurückzukehren oder mit einem Gesichtsverlust wieder nach Ghana zurückzukommen."
Angst vor Spott im Heimatland
Annegret Stechow hat 20 Frauen und Männer interviewt, die nach einem illegalen Aufenthalt in Deutschland nach Ghana zurückgekehrt sind, teils gezwungenermaßen, teils freiwillig. In einer "Kultur der Migration" wie Ghana gelte das Weggehen als etwas Normales, berichtet die Ethnologin. Die meisten ihrer Gesprächspartner hätten von Anfang an auch über die Rückkehr nachgedacht – und wollten nur einige Jahre in Europa bleiben:
"Die meisten Leute haben in Gesprächen gesagt, sie rechnen mit ein paar Jahren, also dass das so die Idealvorstellung ist, drei, vier, fünf Jahre hart zu arbeiten, aber dann nach Ghana zurückzukehren und sich da dann ein gutes Leben aufzubauen."
Mit Stereotypen wie dem, dass Migranten und Migrantinnen dauerhaft in Deutschland bleiben wollen, versuchte die "XI. Jahrestagung Illegalität" aufzuräumen. Praktiker, Wissenschaftler und Politiker diskutierten – durchaus im doppelten Sinn - über "Irreguläre Migration im Recht".
Zwischen 150.000 und 415.000 Menschen ohne Aufenthaltsstatus leben derzeit in Deutschland, schätzen die Experten – und damit weit weniger als in den 90er-Jahren. Es handelt sich um eine heterogene, von Stadt zu Stadt unterschiedliche Gruppe. Darunter sind ältere Chinesen, die ihre Familie besuchen und bleiben, untergetauchte ehemalige Asylbewerber oder Kinder, die in der Illegalität geboren wurden ebenso wie Menschen aus Krisenregionen oder aus großen Ländern wie Indien und Brasilien.
"Die Wege in die Irregularität sind sehr vielfältig. Wir finden also einerseits und sicherlich auch in den letzten Jahren verstärkt Menschen, die aus der Duldung abtauchen, die aus bestehenden Asylverfahren abtauchen, einfach aus der Angst heraus abgeschoben zu werden, sei es in Drittstaaten oder sei es auch in weitere EU-Länder. Wir finden aber auch sicherlich noch viele Menschen, die aufgrund von Arbeitsmöglichkeiten nach Deutschland kommen und dann in den informellen Arbeitsmarkt einsteigen."
Die Soziologin Maren Wilmes von der Universität Osnabrück bezeichnet die Motive als ebenso vielfältig wie die Wege nach Deutschland: die Suche nach Schutz vor politischer Verfolgung, der Wunsch, ein anderes Land kennenzulernen oder den eigenen Lebensstandard und den der Familie zu verbessern. Sogenannte Overstayer reisen mit einem Touristenvisum ein, wollen studieren oder als Au-pair arbeiten und bleiben nach Ablauf der Papiere in Deutschland - ohne Duldung oder Aufenthaltsstatus, ausgeschlossen von Arbeit, Bildung und Gesundheit.
Ausgeschlossen von Arbeit, Bildung und Gesundheit
Während erste Studien Ende der 90er-Jahre die Lebensbedingungen der illegal Eingewanderten analysierten, richtet sich nun das Interesse darauf, wie solche Biografien entstehen, wer die Akteure sind – und welche Möglichkeiten es gibt, den Aufenthalt zu legalisieren. Deutschland versucht zwar seit einigen Jahren, die Rechte der Betroffenen zu verbessern. So sollen die Kinder irregulärer Migranten ohne Meldepflicht die Schule besuchen können, und auch eine Notfallbehandlung im Krankenhaus ist gesetzlich möglich. Doch außerhalb des Asylverfahrens werde nach wie vor nur wenigen Menschen das Aufenthaltsrecht gewährt – etwa in Einzelfällen durch die Härtefallkommission, kritisiert Maren Wilmes.
"Wo man noch mal genauer hingucken muss, inwieweit sich irreguläre Migration nicht auch über einen sogenannten Spurenwechsel innerhalb von bestimmten Aufenthalts-Zwecken ermöglicht. Also wieso müssen wir einen Asylbewerber, der abgelehnt wird, abschieben und können nicht überlegen, inwieweit er auch für uns als Aufnahme-Gesellschaft ein Potenzial darstellt und den wir dann auch über die Möglichkeit der Arbeit auch regularisieren können. Und das ist im Moment im deutschen Ausländerrecht nicht möglich."
Während Deutschland sich mit der Legalisierung schwertut, zeigen sich EU-Partnerländer wie Spanien entschlossener zu handeln. Mehr als eine halbe Million Menschen wurden hier 2005 durch ein Sonderprogramm regularisiert und konnten in einen legalen Aufenthaltsstatus wechseln. Charlotte Fiala von der Berliner Humboldt-Universität begrüßt diese Initiative:
"Die Politik geht oftmals davon aus, dass illegalisierte Menschen freiwillig zurückgehen, wenn man ihnen die Bedingungen nur schlecht genug macht. Die Forschung zeigt aber, dass das schwierig ist, dass viele Menschen einfach ausharren und abwarten."
Migrantische Resozialisierung
Die promovierte Sozialwissenschaftlerin hat mehr als 100 Ecuadorianer und Ecuadorianerinnen interviewt, um ihre Erfahrungen mit dem Regularisierungsprogramm zu untersuchen. So mussten sie nachweisen, mindestens acht Monate lang in Spanien gelebt zu haben, außerdem ein Arbeitsangebot vorzeigen und im Laufe des ersten Jahres mindestens sechs Monate in die Sozialversicherung einzahlen. Allerdings waren sie dadurch stark an den Arbeitgeber und die Arbeit selbst – etwa im Bausektor oder in der häuslichen Pflege - gebunden.
Dennoch blickten die Migranten und Migrantinnen insgesamt positiv auf ihre Legalisierung zurück.
"Es gibt ja auch Wissenschaftler, die zu dem Schluss kommen, dass irreguläre Migration gewollt ist, weil sie die Arbeitsmarkt-Bedürfnisse füllt. Und in meiner Forschung zeige ich, wie die Migrations-Gesetzgebung mit dem Arbeitsmarkt verquickt ist. Und das scheint mir sehr interessant zu sein, dass quasi man durch Migrationsgesetze eine bestimmte Schicht von Arbeitnehmern erst schafft, die für eine besondere Arbeit besonders gut geeignet ist. Also zum Beispiel im häuslichen Sektor, wo es wenige Frauen gibt, die bereit sind, zu einem Lohn von 600 Euro sieben Tage die Woche zu arbeiten bei acht Stunden Freizeit am Sonntagnachmittag."
Die Wissenschaftlerin spricht von migrantischer Resozialisierung: Menschen, die auf illegalem Weg in ein anderes Land kommen, erlernen hier eine neue Position. Sie ordnen sich suboptimalen Arbeitsverhältnissen unter und verharren darin. Statt einen besser bezahlten Job anzunehmen, fühlten sich die ecuadorianischen Hausangestellten ihrem Arbeitgeber verpflichtet, weil er ihnen bei der Regularisierung geholfen hatte.
Hatten sie allerdings nach Jahren die spanische Staatsbürgerschaft bekommen, geschah etwas Unerwartetes: Einige der befragten Familien kehrten nach Ecuador zurück. Sie fühlten sich nun frei, zwischen den beiden Ländern in kürzeren oder längeren Zeitabschnitten wechseln zu können, erzählt Fiala.
Welche Rolle eine selbstbestimmte Rückkehr spielt, unterstreicht auch die Ethnologin Annegret Stechow. In ihren Interviews mit Ghanaern zeigte sich: Wie Migranten ihre Rückkehr im Nachhinein beurteilen, hängt davon ab, ob sie selber darüber entscheiden konnten.
"Und dass in den Fällen, in denen sie ihre Rückkehr selbst organisiert haben und selbst darüber entschieden haben, wann es jetzt der richtige Zeitpunkt ist zur Rückkehr, weil sie zum Beispiel mit Familienmitgliedern das abgesprochen haben oder eben da auch die moralische Unterstützung erfahren haben, dass Familienmitglieder gesagt haben: Ja, komm zurück. Wir werden dich unterstützen."