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Irritationen im deutsch-tschechischen Verhältnis beseitigt?

Heinlein: Die deutsch-tschechische Erklärung, vor fünf Jahren war sie feierlich unterzeichnet worden. Sie sollte einen Schluss-Strich ziehen unter die schwierige Vergangenheit. Beide Länder wollten den Blick nach vorne richten auf die gemeinsame Zukunft innerhalb Europas. Doch die Gegenwart ist nach wie vor schwierig. Für Turbolenzen zwischen Prag und Berlin sorgte zuletzt Ministerpräsident Zeman. Er bezeichnete die Sudetendeutschen pauschal als Verräter und fünfte Kolonne Hitlers. Die Bundesregierung war empört. Der für März geplante Besuch des Bundeskanzlers stand auf der Kippe. Gestern nun eine Kurzvisite von Außenminister Fischer in Prag. Er sollte Öl auf die Wogen gießen. Ob ihm das gelang, darüber wollen wir jetzt reden mit der Grünen-Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer. Guten Morgen!

    Vollmer: Guten Morgen Herr Heinlein.

    Heinlein: Frau Vollmer, gestern dunkle Wolken vor dem Fischer-Besuch, dann Händeschütteln und freundliche Worte an der Moldau. Die Irritationen scheinen ausgeräumt. So hieß es nach den Gesprächen. Herrscht nun nach Ihrer Ansicht wieder eitel Sonnenschein zwischen Berlin und Prag?

    Vollmer: Man muss erst mal feststellen: Das Verhältnis zwischen den Deutschen insgesamt und den Tschechen ist nicht belastet, ist nicht irritiert, ist sogar ein besonders herzliches und besonderes interessiertes innerhalb der europäischen Nachbarschaft. Das muss man immer hochhalten, weil ja sonst immer so getan wird, als ob wir mit denen von einer Katastrophe in die andere taumeln. Es gibt Irritationen, gab es in Bezug auf Äußerungen übrigens aus beiden Ländern, aber natürlich verursacht durch das Interview von Herrn Zeman, was er allerdings in Österreich gehalten hat und was seinerseits wieder eine Reaktion auf Heider-Äußerungen war und auf eine antitschechische Campagne in Österreich. Bei solchen Dingen muss man immer aufpassen, dass die europäische Perspektive klar bleibt, und ich glaube das ist jetzt passiert.

    Heinlein: Kann man denn nach diesen umstrittenen Zeman-Äußerungen, die Sie angesprochen haben, nun einfach zur Tagesordnung übergehen oder braucht es eine förmliche Entschuldigung aus Prag? Der Bund der Vertriebenen hat sie ja gefordert.

    Vollmer: Man kann zur Tagesordnung übergehen und man sollte auch zur Tagesordnung übergehen. Verbale Ausrutscher und Eitelkeiten insbesondere in Wahlkampfzeiten gibt es immer wieder. Wenn sie klargestellt worden sind, dann ist es die Aufgabe des eigenen Landes und des eigenen Parlaments sowie der eigenen Mitpolitiker, das richtig zu stellen. Ich glaube, dass das in aller Heftigkeit in Tschechien auch passiert ist. Ich glaube nicht, dass die sudetendeutsche Landsmannschaft - und die ist es ja; man muss auch die nicht immer mit den Sudetendeutschen gleichsetzen - ein Mandat hat, ausländische Staatsmänner permanent zu maßregeln.

    Heinlein: Welche Verantwortung haben denn die Sudetendeutschen, die Vertriebenenverbände für diese Belastungen der deutsch-tschechischen Beziehungen?

    Vollmer: Man muss ja erst mal sagen, dass es - ich sagte es schon - auch in Tschechien und bei uns eine Wahlkampfzeit gibt. In der Wahlkampfzeit zielt man auf Stammwähler. Ich mache mir besonders Sorgen, wenn da populistische Töne aufkommen. Es gibt linken Populismus und es gibt auch rechten Populismus. Herr Zeman liebt offensichtlich den ersten. Die Landsmannschaft und Herr Stoiber lieben die zweite Art von Populismus. Das ist aber immer ein sehr grobes und auch ein sehr unhistorisches Denken und es ist ein hitziges Denken und es zielt auf eine ganz schnelle Zustimmung, aber natürlich in Bezug auf Erzeugen von Ressentiments oder Ängsten gegenüber den Nachbarn. Genau das ist das, was wir nun überhaupt nicht gebrauchen können, wenn es darum geht, Europa zusammenzubauen. Das müssen alle Leute wissen: Populisten sind immer gegen eine europäische Perspektive. Deswegen zündeln sie an solchen Widersprüchen und bringen sie auf die Titelseite der Zeitungen und bauschen sie so auf, als sei danach ein Zusammenleben nicht mehr möglich. Aber das ist doch gegen jede Vernunft und auch gegen jeden gesunden Menschenverstand.

    Heinlein: Vielleicht noch etwas genauer, Frau Vollmer. Wie würden Sie denn die zwei Millionen Mitglieder der Vertriebenenverbände politisch einordnen? Sind sie diese rückwärts gewandten Revisionisten, als die sie immer dargestellt werden?

    Vollmer: Überhaupt nicht. Die meisten sind in einer - und das ist mir in den Jahren immer klarer geworden - übrigens bewundernswerten politischen Leistung integriert, in die Bundesrepublik Deutschland. Sie verstehen sich gar nicht mehr und definieren sich gar nicht mehr so, sondern sie verstehen sich als Deutsche und als Europäer, vielleicht auch noch als Bayern, und sie wollen auch nicht immer nur auf einen Teil ihrer Geschichte reduziert werden. Ich habe ja schon lange den Wunsch, dass man sich endlich dem widmet, was so wichtig ist an dieser Geschichte, nämlich die eigene Kultur hoch zu halten, die eigene Geschichte, die besonders prägende Bedeutung in der Mitte Europas, die man mal gehabt hat, und nicht immer nur den einen schwärzesten Punkt, für den es sicher - und darüber ist ja nun auch viel diskutiert worden, gerade in den letzten Jahren - in der unmittelbaren Nachkriegszeit nicht genügend Mitgefühl und Mitleid gegeben hat. Aber dieses nun immer wach zu halten und als den Zentralpunkt der eigenen Organisation zu nehmen, das heißt, dass man Erlebnisunrecht politisieren will, das kann Europa auf Dauer nicht ertragen. Die Geschichte der Vertreibungen war das große Kardinalverbrechen übrigens von vielen Völkern im letzten Jahrhundert, aber in dem neuen Jahrhundert und in dem neuen Jahrtausend muss das zu Ende sein. Das wissen doch auch alle und dafür müssen die Menschen aber bereit sein, auch ihre Seelen in die neuen Perspektiven hineinzugeben.

    Heinlein: Dennoch Frau Vollmer, durch diese verbalen Ausrutscher, wie Sie sie genannt haben, von Herrn Zeman kochen die Themen der Vergangenheit immer wieder hoch. Wieso belastet die Vergangenheit immer noch das deutsch-tschechische Verhältnis, vergleicht man es etwa mit den deutsch-polnischen Beziehungen, wo ja dieses Thema mittlerweile überhaupt keine Rolle mehr spielt?

    Vollmer: Da täuschen Sie sich aber. Auch in Polen ist man irritiert, dass es diese Form von Unversöhnlichkeit gibt. Die Polen haben selber eine lange Debatte geführt, auch über das was passiert ist. Vergessen Sie nicht, dass die Polen auch vertrieben worden sind. Das ist eine solche verwickelte Form von verschiedenen Gründen und Schicksalen und Traurigkeiten in den Völkern gewesen. Wollen wir uns das ewig gegenseitig vorhalten oder sollen wir die Energie, die man nun wahrhaftig braucht, um Europa zusammenzubauen, dort einsetzen? Gerade auch die osteuropäischen und mitteleuropäischen Länder zu integrieren ist eine gigantische Generationenaufgabe. Ich finde, dass wir für solche - und ich finde sie im Kern hysterische Debatten - interessengeleiteten Debatten nicht mehr so viel Zeit nehmen sollten, zumal wenn Entschuldigungen passiert sind und auch konkret niemand, der in Deutschland lebt, beleidigt worden ist.

    Heinlein: Das Thema Flucht und Vertreibung, Frau Vollmer, ist ja in den letzten Wochen vor allem durch die aktuelle Novelle von Günter Grass wieder stärker diskutiert worden. Könnte diese aktuelle Debatte eine Gelegenheit sein, sich endlich vorurteilsfrei und unbelastet mit den Themen der Vergangenheit auseinanderzusetzen?

    Vollmer: Das kann es natürlich sein, aber die Tonlage gefällt mir allmählich nicht mehr, weil es ist nicht so, dass dieses Land sich mit der Vergangenheit nicht beschäftigt hat. Das ist ja gerade, dass wir es so gründlich gemacht haben, auch mit ganzen Generationenaufgaben gemacht haben, einer der Gründe, warum wir uns in der Welt auch wieder ein Vertrauen erworben haben, was man nur staunend und dankbar zur Kenntnis nehmen kann. Ich glaube, dass das auch umkippen kann, wenn man sagen würde, jetzt haben wir das gemacht und jetzt verordnen wir aber unseren schwarzen Lehrkurs allen anderen Nachbarländern und erst dann, wenn sie das gemacht haben, sind wir bereit, sie gnädig im Kreis der edlen Europäer aufzunehmen. Manchmal hat es von dieser letztendlich oberlehrerhaften Tonlage. Ich finde das steht uns nicht an, aber ich finde auch, wir verlieren damit Zeit. Das was es an menschlichen Schicksalen zu besprechen gibt, das braucht immer einen intimen Rahmen. Das braucht auch einen persönlichen Rahmen, das braucht einen dialogischen Rahmen. Als ständiges Vorzitieren zu bestimmten rituellen Formulierungen glaube ich wird es auf die Dauer immer unfruchtbarer. Diese Müdigkeit spüre ich auch persönlich. Das heißt aber nicht, dass ich mir nicht wirklich die Offenheit bewahren will, auf jedes individuelle Schicksal auch hören zu können. Aber wenn das immer gebündelt wird und wenn am Ende nicht nur symbolische Forderungen stehen, sondern möglicherweise jedenfalls im Hintergrund mit materiellen Forderungen gedroht wird, die kein Nachbarland erfüllen kann, dann werde ich vorsichtig. Dann sage ich, hier handelt es sich nicht um ehrliche Vergangenheitsaufarbeitung, sondern um politisches Interesse, vielleicht sogar auch nur um Wahlkampfinteresse.

    Heinlein: Damit meinen Sie jetzt den Ministerpräsidenten Zeman mit seinen markigen Aussagen in Sachen Sudetendeutsche?

    Vollmer: Ich meine den Ministerpräsidenten Zeman. Ich meine aber auch den Ministerpräsidenten von Bayern, Herrn Stoiber, der ja der Schutzherr der sudetendeutschen Landsmannschaft ist. Ich finde auch er muss mal mit denen, denen er ja besonders nahe steht, sprechen und sagen, euch ist so viel gutes widerfahren in Bayern, aber ihr habt nicht das Recht, weder die bayerische noch die gesamtdeutsche Bevölkerung immer wieder nur in einer ganz bestimmten Weise anzusprechen. Ordnet auch ihr euch ein und vor allen Dingen verändert auch ihr euch. Ihr lebt in einer sehr glücklichen Republik und in einem Kontinent mit einer sehr wichtigen Perspektive, und leistet vor allen Dingen dazu eueren Beitrag.

    Heinlein: Zum Schluss die Frage. Sie haben gerade Edmund Stoiber angesprochen, aber es gibt ja auch Vorwürfe aus Prag, dass man sagt, gerade die Bundesregierung habe in den vergangenen Monaten, in den vergangenen Jahren das zarte Pflänzchen der deutsch-tschechischen Beziehungen nicht ausreichend gepflegt. Was sagen Sie zu diesem Vorwurf?

    Vollmer: Das kann ich eigentlich nicht finden. Ich bin ja im Koordinierungsrat und auch im Zukunftsfonds, im Verwaltungsrat, wo wir Hunderte, fast Tausende von Projekten betreut haben. Wenn Sie in den Geist und Buchstaben dieser Projekte hineinhören, dann sind das alles Projekte, die mit guter Zusammenarbeit und mit guter gemeinsamer Perspektive und Zukunft zu tun haben. Da ist ganz viel entstanden. Von daher sage ich, es wird inzwischen eine Art von ganz merkwürdiger Gespensterdebatte. Die Leute leben gut und interessiert, manchmal mit Streit und oft mit großem Verständnis miteinander und bauen etwas auf und sind kreativ. Immer wieder wird uns aus einer bestimmten Ecke gesagt, es ist alles ganz furchtbar zwischen uns und bald klappt alles zusammen an dieser doch so friedlichen Grenze in Europa. Ich finde darauf soll man auch nicht immer hören.

    Heinlein: Zum Fischer-Besuch in Prag und den deutsch-tschechischen Beziehungen die Grünen-Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer heute Morgen hier im Deutschlandfunk. - Frau Vollmer, ganz herzlichen Dank für dieses Gespräch und auf Wiederhören!

    Link: Interview als RealAudio