Adam versuchte, sich an einen Zeitpunkt in seinem Leben zu erinnern, zu dem es keine Gewalt gegeben hatte, doch er entsann sich nicht mehr. Es war, als sei sie schon immer da gewesen. Vielleicht ist sie einfach ein Teil seines Lebens, dachte er. Ok, dachte er dann, aber muss es gleich so viel davon sein? Das war doch nicht fair. Er dachte an den Gott seines Vaters, an den er noch nie hatte glauben können, und ihm fiel jetzt auf, dass er stets an ihn geglaubt hatte. Gott und sein Vater trugen das gleiche Gesicht und sie schlugen ihn, wenn er etwas falsch machte. Sie mussten Zwillinge sein, der eine unsichtbar und allgegenwärtig, der andere immer da, wo man vorbeimusste. Er dachte an seine Brüder. Wie Halbgötter erschienen sie ihm, Kraftmenschen mit Verstand, erfolgreich und gesegnet mit einem ereignislosen Leben. Er dachte an seine Schwester, die ein Engel war, ganz ohne Zweifel. Und ich, was bin ich? Ein Teufel, ein Virus im Spiel, ein Fehler in Gottes Ordnung, der Tod selbst?
Zunächst fängt alles ganz realistisch und bewusst klischeehaft in Steven Uhlys Roman "Adams Fuge" an: Adam ist Deutsch-Türke, die Mutter Deutsche, der Vater Türke. Der Vater verprügelt regelmäßig seine Frau, bei einem ihrer Krankenhausaufenthalte macht sich die Mutter zunächst auf Nimmerwiedersehen aus dem Staub. Der türkische Vater nimmt seine beiden Söhne und die Tochter und geht mit ihnen zurück in die Türkei. Die Knaben sollen streng muslimisch erzogen werden, die Tochter wird zwangsverheiratet und stürzt sich aus Verzweiflung in den Tod. Adam, der in der Türkei Adem heißt, kommt zum Militär, gerät in einen bewaffneten Konflikt mit kurdischen Rebellen und erschießt einen ihrer Anführer. Das klingt schon wie ein ganzer Roman, ist aber nur die Exposition von zwölf Seiten. Und damit beginnt in weiter atemlosen Tempo eine abenteuerliche Spirale von Gewalt, die Adam im Auftrag des türkischen Militärs zurück nach Deutschland führt, wo er einen höchst obskuren Auftrag erfüllen muss. Adam stolpert von einer Falle in die nächste, er ist umstellt von Geheimdiensten, dem türkischen, dem israelischen, dem BND und zum Schluss auch der CIA. Natürlich sind ihm auch die Kurden auf der Spur bei seiner rastlosen Odyssee quer durch Deutschland und quer durch die Gefühlswelten des gehetzten Adam/Adem. Den Autor beschäftigt die Frage, wie entsteht Gewalt, warum geraten die Menschen aus dem Gleichgewicht und müssen töten. Die allgegenwärtige gesellschaftliche Gewalt hat ihren Spiegel in der individuellen Gewalt und so gerät Adam in einen Strudel von Verhängnissen:
"Er tötet fast immer, ohne dass er töten müsste: Er tötet den kurdischen Anführer rücklings, hätte er nicht tun müssen; er tötet Harald, den BND-Mann, nachdem er ihn bereits besiegt hat; er tötet Öner Güzel, den anderen türkischen Geheimdienstler, der ihm nachgeschickt war, um ihn wiederum unschädlich zu machen, nachdem er ihn bereits besiegt hat; und er tötet David Levi, den israelischen Agenten, nachdem dieser sich ergeben hat. Das heißt also, er tötet in einem Moment, indem er noch zu unbewusst ist, um zu wissen, dass er die Wahl hat zu töten oder nicht zu töten. In dem Moment tötet er. Es wird ja am Anfang sehr häufig von dieser Blankheit, die in seinem Kopf ist, gesprochen. Diese Blankheit wird immer in dem Moment aktiv als so eine Art Blackbox, aus der Gewalt herauskommt. Er überwindet das erst am Ende, nachdem er seine Kindheitsliebe wieder getroffen hat und also sich sein Leben geändert hat, da ergreift er nicht die Chance, die beiden Kurden zu töten, obwohl er es tun könnte, sondern verzichtet darauf. Die Ironie der Geschichte ist eigentlich, dass er zwar sich selbst ändern kann, aber den Lauf der Dinge kann er nicht ändern, weil die beiden Kurden kurze Zeit später erschossen werden, und zwar vor seinen Augen. Das heißt, es hat nach außen hin nichts gebracht, aber er hat zumindest etwas in sich verändert. Und ich glaube, mehr kann man nicht tun."
Man könnte zusammenfassen, Leichen pflastern seinen Weg und oft fühlt sich der Leser auch hin- und hergerissen zwischen Thriller, Western aber auch Slapstick-Situationen. Die Ermordeten kehren wieder, stellen sich wie Schemen oder Geister an die Seite ihres Täters, der Täter wiederum weiß oft nicht mehr, wer er ist, ist er vielleicht sogar eines seiner Opfer, er vertauscht Pässe und schlüpft in eine andere Identität, um sich vor weiteren Verfolgungen zu schützen. Steven Uhly spielt virtuos mit dem Motiv des Doppelgängers, ein Thema, das er auch in seiner Dissertation über "Multipersonalität als Poetik" in der romanischen Literatur abgehandelt hat. Er hat sich mit den Pseudonymen von Fernando Pessoa beschäftigt, aber hat noch einen anderen literarischen Gewährsmann. War Uhlys Debütroman "Mein Leben in Aspik" ein kurioser Schelmenroman, so betont er für seinen neuen Roman:
"Das Buch ist, auch wenn es viel Tragikomisches gibt, es hat doch einen wesentlich ernsteren, ja fast traurigen Unterton, der es deutlich absetzt vom Schelmenroman. Ich glaube, da hat wieder so ein zusätzlicher Genre-Mix stattgefunden, der Genre-Mix, den ich auch bei Shakespeare so toll finde. Shakespeare, der sich ja überhaupt nicht um irgendwelche Poetiken schert, sondern der das Ernste und das Komische zusammenführen kann, die hohen und die tragischen Figuren und plötzlich wird in Kontakt mit anderen Figuren plötzlich alles komisch und dann bleibt doch alles tragisch. Das finde ich bei Shakespeare so großartig. Das glaube ich, ist auch das, worum es letztlich geht, dass man nicht sagt, ich schreibe so, sondern dass man sagt, ‚ok, ich mache auf und die Geschichte soll mir den Ton diktieren'. Wenn ich alle glatt bügle und sage, ich beschreibe alles gleich, dann bin ich künstlerisch hinter meinen Möglichkeiten geblieben. Das bewundere ich auch an Filmemachern wie Almodóvar und Woody Allen, die jeder Zeit vom Tragischen ins Komische und zurückwechseln können, weil sie einfach eine Sprache entwickelt haben, die das alles integrieren kann. Das finde ich reizvoll für einen Erzählkünstler."
Mit kraftvoller Rasanz lässt Steven Uhly seinen Protagonisten durch eine dunkle Welt von Geheimdiensten und überall lauernder Gefahr stolpern. Dabei kommen auch sexuelle Triebtaten nicht zu kurz, die der getriebene Täter selbst noch an seinen Leichen vollzieht. Die Welt ist ein Moloch, dargestellt mit einem, knallharten Realismus, der dann immer wieder mit Ironie gebrochen wird, sodass der Leser selbst ins Schlingern kommt, denn der Deutsch-Türke Adam/Adem verliert immer wieder die Orientierung, weiß nicht mehr, wer er ist und warum er dies oder jenes tut. Gerade so, wie auch Uhly über sein Schreiben einmal angemerkt hat:
"Deshalb sind meine Romane wie U-Boote, die sich ihren Weg suchen, oder wie Labyrinthe, in denen der Ich-Erzähler stets Gefahr läuft, dass er sich darin verliert – auch der Autor."
Steven Uhly lässt sich von seinem Stoff treiben und verführen, das Ende ist nicht vorweggeplant, es ergibt sich aus dem Sog des Erzählens. Die Absurdität der Wirklichkeit entpuppt sich als eine Einsicht, dass die Literatur immer noch von der Absurdität der Wirklichkeit eingeholt werden kann. Auch das Spiel mit altbekannten Klischees über Menschen, die aus zwei Kulturen stammen, nimmt der Autor ernst und pervertiert sie zugleich. Seinen Stoff hat der Autor kunstvoll mehrdeutig und vielschichtig angelegt, als Verwirrspiel, aber auch als Verweis auf eine brutale Realität, die undurchsichtig bleibt oder ganz unmittelbar daherkommt. So ist auch der Titel des Romans – "Adams Fuge" – angelegt:
"Die Fuge, das ist ja ein lateinischer Begriff von ‚fuga' die Flucht, aber es ist auch die musikalische Fuge, das heißt, ein Thema wird immer wieder variiert nach bestimmten mathematischen Gesetzen. Und so passieren eigentlich die Morde von Adam/Adem auch. Es gibt eine Gesetzmäßigkeit, obwohl die Umstände eines jeden Tötungsaktes immer andere sind…..Dann aber ist die Fuge auch eine Hommage an Paul Celans ‚Todesfuge', die auch auftaucht als Paßwort, eine Zeile als ‚Betreff' einer e-mail, eine Zeile aus der ‚Todesfuge' Und natürlich Margarete, Sulamith, die beiden Frauen, die dort immer wieder erwähnt werden. Es ist deshalb eine Hommage an die ‚Todesfuge', weil ich der festen Überzeugung bin, dass die ‚Todesfuge' der Urtext der Bundesrepublik Deutschland ist. Das ist der Text, der die Verfassung dieses Landes beschreibt. So lange dieses Land in dieser Art und Weise existiert mit diesem Gedächtnis, mit dieser Sprache, ist die ‚Todesfuge' das Zeugnis, der Urknall, aus dem dieses Land hervorgegangen ist, und der Urknall ist natürlich der Holocaust."
Steven Uhly fordert den Leser auf komplexe Art heraus. Er bringt zum Lachen, er schockiert, und er stimmt nachdenklich. Als sein Buch im August 2011 in der ARD-Tagesschau als literarischer Anti-Sarrazin bejubelt wurde, musste der Autor gestehen, dass er beim Schreiben Sarrazins Buch noch gar nicht gelesen hatte. Aber er sieht einen fundamentalen Unterschied zur distanzierten Wahrnehmung der Realität bei Sarrazin, die voller logischer Brüche sei:
"In meinem Buch geschieht genau das Gegenteil. In meinem Buch wird Wahrnehmung bewusst permanent unterlaufen. Und zwar einmal, weil es diese Identitätswechsel gibt, wo der Protagonist sich praktisch immer wieder mit neuen Wahrnehmungskoordinaten auseinandersetzen muss, und auf der anderen Seite durch die Tatsache, dass er nicht einmal sicher ist, in welchem Zustand er wahrnimmt. Er weiß also gar nicht, lebe ich noch, träume ich, bin ich tot oder was ist das hier, was ich hier erlebe, denn es scheint ja alles so seltsam unrealistisch zu sein, aber die Dinge, die ihm widerfahren, die Gefühle, die er hat, die empfindet er als real. Insofern kann man schon sagen, dass das ein Gegenbuch ist. Aber es ist nicht ein Gegenbuch im Sinne von ‚nein, das stimmt nicht, was sie sagen', sondern es fängt genau da an, wo man überhaupt anfängt in die Welt zu schauen, nämlich bei der Wahrnehmung."
Steven Uhly: Adams Fuge
Secession Verlag 2010, 228 Seiten, 21,95 Euro
Zunächst fängt alles ganz realistisch und bewusst klischeehaft in Steven Uhlys Roman "Adams Fuge" an: Adam ist Deutsch-Türke, die Mutter Deutsche, der Vater Türke. Der Vater verprügelt regelmäßig seine Frau, bei einem ihrer Krankenhausaufenthalte macht sich die Mutter zunächst auf Nimmerwiedersehen aus dem Staub. Der türkische Vater nimmt seine beiden Söhne und die Tochter und geht mit ihnen zurück in die Türkei. Die Knaben sollen streng muslimisch erzogen werden, die Tochter wird zwangsverheiratet und stürzt sich aus Verzweiflung in den Tod. Adam, der in der Türkei Adem heißt, kommt zum Militär, gerät in einen bewaffneten Konflikt mit kurdischen Rebellen und erschießt einen ihrer Anführer. Das klingt schon wie ein ganzer Roman, ist aber nur die Exposition von zwölf Seiten. Und damit beginnt in weiter atemlosen Tempo eine abenteuerliche Spirale von Gewalt, die Adam im Auftrag des türkischen Militärs zurück nach Deutschland führt, wo er einen höchst obskuren Auftrag erfüllen muss. Adam stolpert von einer Falle in die nächste, er ist umstellt von Geheimdiensten, dem türkischen, dem israelischen, dem BND und zum Schluss auch der CIA. Natürlich sind ihm auch die Kurden auf der Spur bei seiner rastlosen Odyssee quer durch Deutschland und quer durch die Gefühlswelten des gehetzten Adam/Adem. Den Autor beschäftigt die Frage, wie entsteht Gewalt, warum geraten die Menschen aus dem Gleichgewicht und müssen töten. Die allgegenwärtige gesellschaftliche Gewalt hat ihren Spiegel in der individuellen Gewalt und so gerät Adam in einen Strudel von Verhängnissen:
"Er tötet fast immer, ohne dass er töten müsste: Er tötet den kurdischen Anführer rücklings, hätte er nicht tun müssen; er tötet Harald, den BND-Mann, nachdem er ihn bereits besiegt hat; er tötet Öner Güzel, den anderen türkischen Geheimdienstler, der ihm nachgeschickt war, um ihn wiederum unschädlich zu machen, nachdem er ihn bereits besiegt hat; und er tötet David Levi, den israelischen Agenten, nachdem dieser sich ergeben hat. Das heißt also, er tötet in einem Moment, indem er noch zu unbewusst ist, um zu wissen, dass er die Wahl hat zu töten oder nicht zu töten. In dem Moment tötet er. Es wird ja am Anfang sehr häufig von dieser Blankheit, die in seinem Kopf ist, gesprochen. Diese Blankheit wird immer in dem Moment aktiv als so eine Art Blackbox, aus der Gewalt herauskommt. Er überwindet das erst am Ende, nachdem er seine Kindheitsliebe wieder getroffen hat und also sich sein Leben geändert hat, da ergreift er nicht die Chance, die beiden Kurden zu töten, obwohl er es tun könnte, sondern verzichtet darauf. Die Ironie der Geschichte ist eigentlich, dass er zwar sich selbst ändern kann, aber den Lauf der Dinge kann er nicht ändern, weil die beiden Kurden kurze Zeit später erschossen werden, und zwar vor seinen Augen. Das heißt, es hat nach außen hin nichts gebracht, aber er hat zumindest etwas in sich verändert. Und ich glaube, mehr kann man nicht tun."
Man könnte zusammenfassen, Leichen pflastern seinen Weg und oft fühlt sich der Leser auch hin- und hergerissen zwischen Thriller, Western aber auch Slapstick-Situationen. Die Ermordeten kehren wieder, stellen sich wie Schemen oder Geister an die Seite ihres Täters, der Täter wiederum weiß oft nicht mehr, wer er ist, ist er vielleicht sogar eines seiner Opfer, er vertauscht Pässe und schlüpft in eine andere Identität, um sich vor weiteren Verfolgungen zu schützen. Steven Uhly spielt virtuos mit dem Motiv des Doppelgängers, ein Thema, das er auch in seiner Dissertation über "Multipersonalität als Poetik" in der romanischen Literatur abgehandelt hat. Er hat sich mit den Pseudonymen von Fernando Pessoa beschäftigt, aber hat noch einen anderen literarischen Gewährsmann. War Uhlys Debütroman "Mein Leben in Aspik" ein kurioser Schelmenroman, so betont er für seinen neuen Roman:
"Das Buch ist, auch wenn es viel Tragikomisches gibt, es hat doch einen wesentlich ernsteren, ja fast traurigen Unterton, der es deutlich absetzt vom Schelmenroman. Ich glaube, da hat wieder so ein zusätzlicher Genre-Mix stattgefunden, der Genre-Mix, den ich auch bei Shakespeare so toll finde. Shakespeare, der sich ja überhaupt nicht um irgendwelche Poetiken schert, sondern der das Ernste und das Komische zusammenführen kann, die hohen und die tragischen Figuren und plötzlich wird in Kontakt mit anderen Figuren plötzlich alles komisch und dann bleibt doch alles tragisch. Das finde ich bei Shakespeare so großartig. Das glaube ich, ist auch das, worum es letztlich geht, dass man nicht sagt, ich schreibe so, sondern dass man sagt, ‚ok, ich mache auf und die Geschichte soll mir den Ton diktieren'. Wenn ich alle glatt bügle und sage, ich beschreibe alles gleich, dann bin ich künstlerisch hinter meinen Möglichkeiten geblieben. Das bewundere ich auch an Filmemachern wie Almodóvar und Woody Allen, die jeder Zeit vom Tragischen ins Komische und zurückwechseln können, weil sie einfach eine Sprache entwickelt haben, die das alles integrieren kann. Das finde ich reizvoll für einen Erzählkünstler."
Mit kraftvoller Rasanz lässt Steven Uhly seinen Protagonisten durch eine dunkle Welt von Geheimdiensten und überall lauernder Gefahr stolpern. Dabei kommen auch sexuelle Triebtaten nicht zu kurz, die der getriebene Täter selbst noch an seinen Leichen vollzieht. Die Welt ist ein Moloch, dargestellt mit einem, knallharten Realismus, der dann immer wieder mit Ironie gebrochen wird, sodass der Leser selbst ins Schlingern kommt, denn der Deutsch-Türke Adam/Adem verliert immer wieder die Orientierung, weiß nicht mehr, wer er ist und warum er dies oder jenes tut. Gerade so, wie auch Uhly über sein Schreiben einmal angemerkt hat:
"Deshalb sind meine Romane wie U-Boote, die sich ihren Weg suchen, oder wie Labyrinthe, in denen der Ich-Erzähler stets Gefahr läuft, dass er sich darin verliert – auch der Autor."
Steven Uhly lässt sich von seinem Stoff treiben und verführen, das Ende ist nicht vorweggeplant, es ergibt sich aus dem Sog des Erzählens. Die Absurdität der Wirklichkeit entpuppt sich als eine Einsicht, dass die Literatur immer noch von der Absurdität der Wirklichkeit eingeholt werden kann. Auch das Spiel mit altbekannten Klischees über Menschen, die aus zwei Kulturen stammen, nimmt der Autor ernst und pervertiert sie zugleich. Seinen Stoff hat der Autor kunstvoll mehrdeutig und vielschichtig angelegt, als Verwirrspiel, aber auch als Verweis auf eine brutale Realität, die undurchsichtig bleibt oder ganz unmittelbar daherkommt. So ist auch der Titel des Romans – "Adams Fuge" – angelegt:
"Die Fuge, das ist ja ein lateinischer Begriff von ‚fuga' die Flucht, aber es ist auch die musikalische Fuge, das heißt, ein Thema wird immer wieder variiert nach bestimmten mathematischen Gesetzen. Und so passieren eigentlich die Morde von Adam/Adem auch. Es gibt eine Gesetzmäßigkeit, obwohl die Umstände eines jeden Tötungsaktes immer andere sind…..Dann aber ist die Fuge auch eine Hommage an Paul Celans ‚Todesfuge', die auch auftaucht als Paßwort, eine Zeile als ‚Betreff' einer e-mail, eine Zeile aus der ‚Todesfuge' Und natürlich Margarete, Sulamith, die beiden Frauen, die dort immer wieder erwähnt werden. Es ist deshalb eine Hommage an die ‚Todesfuge', weil ich der festen Überzeugung bin, dass die ‚Todesfuge' der Urtext der Bundesrepublik Deutschland ist. Das ist der Text, der die Verfassung dieses Landes beschreibt. So lange dieses Land in dieser Art und Weise existiert mit diesem Gedächtnis, mit dieser Sprache, ist die ‚Todesfuge' das Zeugnis, der Urknall, aus dem dieses Land hervorgegangen ist, und der Urknall ist natürlich der Holocaust."
Steven Uhly fordert den Leser auf komplexe Art heraus. Er bringt zum Lachen, er schockiert, und er stimmt nachdenklich. Als sein Buch im August 2011 in der ARD-Tagesschau als literarischer Anti-Sarrazin bejubelt wurde, musste der Autor gestehen, dass er beim Schreiben Sarrazins Buch noch gar nicht gelesen hatte. Aber er sieht einen fundamentalen Unterschied zur distanzierten Wahrnehmung der Realität bei Sarrazin, die voller logischer Brüche sei:
"In meinem Buch geschieht genau das Gegenteil. In meinem Buch wird Wahrnehmung bewusst permanent unterlaufen. Und zwar einmal, weil es diese Identitätswechsel gibt, wo der Protagonist sich praktisch immer wieder mit neuen Wahrnehmungskoordinaten auseinandersetzen muss, und auf der anderen Seite durch die Tatsache, dass er nicht einmal sicher ist, in welchem Zustand er wahrnimmt. Er weiß also gar nicht, lebe ich noch, träume ich, bin ich tot oder was ist das hier, was ich hier erlebe, denn es scheint ja alles so seltsam unrealistisch zu sein, aber die Dinge, die ihm widerfahren, die Gefühle, die er hat, die empfindet er als real. Insofern kann man schon sagen, dass das ein Gegenbuch ist. Aber es ist nicht ein Gegenbuch im Sinne von ‚nein, das stimmt nicht, was sie sagen', sondern es fängt genau da an, wo man überhaupt anfängt in die Welt zu schauen, nämlich bei der Wahrnehmung."
Steven Uhly: Adams Fuge
Secession Verlag 2010, 228 Seiten, 21,95 Euro