IS-Terroristen hissten ihre Flagge auf mehreren Gebäuden der Stadt, die unmittelbar an der Grenze zur Türkei liegt. In der Nacht waren IS-Kämpfer laut der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London erstmals in die Stadt eingedrungen. Die Organisation verfügt über ein Netz von Informanten in Syrien. Den Angaben zufolge nahmen Anhänger des IS drei Stadtviertel ein. Die Beobachtungsstelle spricht von "guerilla-artigen" Kampfszenen. Mittlerweile seien mehr als 400 Menschen bei den Kämpfen um die nordsyrische Stadt ums Leben gekommen.
Die UNO zeigte sich besorgt über die Lage in Kobane. Zwar seien fast alle der 10.000 Bewohner in die Türkei geflohen, aber es könnten sich noch einige Hundert dort aufhalten. Das Leben jedes Menschen, der in die Hand der Miliz falle, sei in Gefahr, hieß es aus dem UNO-Menschenrechtskommissariat.
Fall von Kobane wäre symbolischer Sieg für IS
Ein Übersetzer der syrischen Kurdenpartei PYD sagte der Nachrichtenagentur Reuters: "Wir können den Gefechtslärm in den Straßen hören". Von kurdischer Seite hatte es dagegen zunächst geheißen, man habe den Vormarsch der Miliz an der Ortsgrenze stoppen können. Anders als die Terroristen sind die etwa 5.000 Kämpfer der Kurden schlecht bewaffnet.
Sollte Kobane in die Hände der Terrororganisation fallen, würde der IS ein großes, geschlossenes Gebiet in der Region kontrollieren, darunter Hunderte Kilometer Grenze zur Türkei. Dies wäre aus Sicht von ARD-Korrespondent Jürgen Stryjak auch ein symbolischer Sieg für die Miliz und würde etwa die Versorgung der Kämpfer mit Waffen erleichtern.
Appell an Weltgemeinschaft
Der syrische Kurdenpolitiker Salih Muslim warf der Internationalen Gemeinschaft Versagen vor. Die Welt schweige angesichts des drohenden Massakers, kritisierte der Ko-Präsident der PYD nach Angaben der kurdischen Agentur Firat. Die Luftangriffe unter Führung der USA auf IS-Extremisten in der Umgebung von Kobane reichten nicht aus.
Die IS-Dschihadisten haben bereits mehr als 300 Dörfer nahe Kobane eingenommen. Über 180.000 Menschen flohen in die Türkei.
Ankara versprach Kobane Hilfe. Das Parlament hatte vor Kurzem mit großer Mehrheit eine Resolution verabschiedet, die der Regierung Militäreinsätze in Syrien und im Irak erlaubt. Den Einsatz von Bodentruppen schloss Regierungschef Ahmet Davutoglu dennoch aus. Wenn man in Kobane eingreife, müsse man in ganz Syrien intervenieren, sagte er. Türkische Panzer und Soldaten blieben heute an der Grenze stationiert, schritten aber nicht ein.
Ankara hat allerdings die USA am Dienstag zu verstärkten Luftangriffen auf die IS-Miliz in Syrien aufgefordert, um die Einnahme von Kobane durch die Islamisten zu verhindern. Die Bombardierungen müssten aktiver und effizienter werden, erklärte der stellvertretende türkische Ministerpräsident Akdogan.
Neue internationale Proteste
Wegen der brisanten Lage in Kobane kam es auch heute wieder international zu Demonstrationen. In Istanbul setzte die Polizei Wasserwerfer und Tränengas bei Protesten ein. In Brüssel besetzten etwa 50 bis 60 Kurden das Europaparlament für eine Dreiviertelstunde. 200 bis 300 Menschen demonstrierten außerhalb des Gebäudes, um auf die Lage der Menschen in Kobane aufmerksam zu machen.
In Deutschland hatte es gestern Abend ähnliche Proteste gegeben. Nach Angaben der Polizei gingen in Berlin am Abend rund 600 Kurden auf die Straße. In Bonn stürmten rund 60 Personen das Gebäude der "Deutschen Welle" und übergaben eine Resolution. Auch vor Gebäuden des WDR in Köln versammelten sich Dutzende Menschen. In Den Haag in den Niederlanden besetzten Hunderte Kurden vorübergehend das Parlament.
(hba/ach/stfr/pr)