Michael Köhler: Ein Internet-Video der Extremisten zeigt die Vernichtung antiker Bildwerke im Museum der Stadt Mossul und an der Grabungsstätte Ninive im Nordirak. Selbst wenn es sich teilweise um Repliken handelt, sind die Verluste beträchtlich, die Zerstörungen gewaltig. Assyrische Torwächterfiguren aus dem achten vorchristlichen Jahrhundert sind darunter und auch Nabil El Araby, der Generalsekretär der Arabischen Liga, verurteilt dieses Vorgehen - er ist nicht alleine damit. Ich habe Professor Markus Hilgert, den Direktor des Vorderasiatischen Museums in Berlin, gefragt: Wir erleben die Zerstörung der Spuren der altorientalischen Geschichte. Was geht da verloren?
Markus Hilgert: Na ja, ich glaube, dass man aus unserer Perspektive sehr differenziert auch an dieses Video herangehen muss. Es wird sicher auch noch längere Analysen geben, die das im Genaueren dann beurteilen können. Ich glaube, dass man zwei Dinge sagen kann: Zum einen ist natürlich vordergründig hier ein Ikonoklasmus zu beobachten. Der Sprecher spricht ja davon, dass es hier um die Zerstörung von Bildern geht, die aus Sicht des Islam Götzenbilder sind. Wenn man ein wenig weitergeht und sich den größeren Kontext betrachtet, dann muss man sagen, es geht hier sicher auch um einen Angriff auf das vorislamische Kulturerbe des Irak beziehungsweise auf das vorislamische Kulturerbe der gesamten Region. Und damit verbunden ist sicher auch ein Angriff auf unsere Art und Weise oder die herkömmliche Art und Weise, mit Kulturerbe umzugehen, Kulturerbe in Museen auszustellen und dieses antike Kulturerbe zu schützen. Ich glaube also, der Diskurs, um den es hier geht, ist ein sehr viel weiter gefasster, denn es geht tatsächlich auch um eine ganz bestimmte konventionelle, nennen Sie es westliche Herangehensweise an antike Kulturgüter.
Köhler: Aus dem Alten Testament kennen wir die Geschichte von Jona und dem Wal. Jona verbringt drei Tage im Bauch des Fisches, wird in Ninive ausgespien, verkündet die Strafandrohung Gottes, setzt eine Bußbewegung ein, das Volk verliert seine Bosheit. Spielen solche Geschichten aus dem Alten Testament da eine Rolle, dass man das gewissermaßen ungeschehen machen will?
Hilgert: Das kann ich nicht beurteilen, ob jetzt genau diese Geschichte eine Rolle gespielt hat. Aber man kann es von einer anderen Seite her verstehen. Die Geschichte Ninives im Alten Testament wäre vermutlich so nicht ins Alte Testament gekommen, wenn Ninive in der Antike nicht diese enorme kulturelle Bedeutung gehabt hätte, die sie insbesondere im ersten Jahrtausend vor Christus gehabt hat. Ninive ist ja eines der kulturellen Zentren des alten Orients im ersten Jahrtausend, ist der Fundort der berühmten Bibliothek des Königs Assurbanipal und insofern strahlt Ninive als Stadt natürlich weit über sich selbst hinaus aus in die gesamte antike Welt und insofern haben wir es hier mit einer Zerstörung zu tun, die wirklich auch ins Herz der Kulturgeschichte der Menschheit trifft.
Hilgert: Deutschland tut viel gegen illegalen Antikenhandel
Sicher ist, dass dieses Ziel mit Bedacht gewählt worden ist. Es handelt sich nicht um irgendeine Ruinenstätte, sondern es handelt sich eben um eine ganz bedeutende Stätte fürs Zentrum des alten Orients. Und man merkt ja auch an den politischen und vor allen Dingen an den Reaktionen in den Medien, wie groß das Echo ist, wie groß die Bestürzung ist. Insofern muss man auch konstatieren, dass der perfide Plan aufgegangen ist.
Köhler: Tut Deutschland genug im Bereich des illegalen Antikenhandels, ihn zu verhindern oder zu beeinträchtigen?
Hilgert: Ja. Ich würde sagen, gerade aktuell in diesen Tagen tut Deutschland sehr viel, tut Deutschland alles, was es kann. Sie wissen ja, dass die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien, Monika Grütters, vor einiger Zeit angekündigt hat, dass sie im Rahmen der Novellierung des deutschen Kulturgut-Schutzgesetzes auch eine Zertifizierung, eine Zertifizierungspflicht für antike Kulturgüter, die nach Deutschland eingeführt werden sollen, einführen will. Was wir darüber hinaus tun können - und das tun wir gerade im Moment auch - ist Forschung im Bereich des Dunkelfeldes, illegaler Handel mit Kulturgut. Das Vorderasiatische Museum hat seit zwei Wochen, bewilligt durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung, ein großes Forschungsprojekt, ein interdisziplinäres Projekt, das versucht, diesem Dunkelfeld auf die Schliche zu kommen. Und wir sind ja gerade im Moment auch dabei, Bewusstsein zu bilden, indem wir zum Beispiel mit den Medien sprechen, indem wir mit Politikern sprechen, um darauf aufmerksam zu machen, dass hier in einer gesamten Region ein massives Problem besteht und dass Deutschland als bedeutender Markt und Transitstaat eben hier auch ganz besonders in der Verantwortung ist, den Markt auszutrocknen, beziehungsweise den Handel nach Möglichkeit zu erschweren.
"Die schwersten Tage, die ich beruflich erlebt habe"
Köhler: Wie kann man diese Kunstwerke vor Zerstörung schützen? Ich vage mal einen gewagten Gedanken: Indem man sie vielleicht vor der Zerstörung bewahrt und entführt?
Hilgert: Nein, auf gar keinen Fall. Nein! Das ist ja genau die Sichtweise, pardon, auch westlicher Länder, die ja nicht angemessen ist. Es kann ja nicht darum gehen, dass wir diese Kulturgüter dem Irak wegnehmen, oder in einem anderen Land wahrnehmen, mit der absurden Behauptung, ihr könnt nicht selbst auf diese Kulturgüter achten. Ich glaube, was unsere Aufgabe ist, ist gemeinsam mit dem Irak, gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen in den Museen Maßnahmen zu ergreifen, die irakische Institutionen in die Lage versetzen, sich selbst um ihre Kulturgüter, um ihr kulturelles Erbe angemessen zu sorgen. Voraussetzung dafür ist natürlich eine verbesserte Sicherheitslage im vorderen Orient, und in dem Zusammenhang ist es sicher völlig richtig, wenn die UNESCO fordert, dass sich der UN-Sicherheitsrat mit dem aktuellen Problem in Mossul auseinandersetzt beziehungsweise mit der Sicherheitssituation im Vorderen Orient.
Köhler: Dem Archäologen in Ihnen muss das doch in der Seele weh tun, was da passiert, oder?
Hilgert: Emotional gesehen sind das mit die schwierigsten Tage, die ich beruflich erlebt habe. In der Tat, ja.
Köhler: Das sagt Markus Hilgert, Direktor des Vorderasiatischen Museums in Berlin, zu den Zerstörungen im alten Orient im Nordirak.
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