Archiv

IS-Gewalt in Syrien
"Assad muss an Verhandlungstisch"

Die Terrormiliz Islamischer Staat geht brutal gegen Flüchtlinge in einem Lager in Syriens Hauptstadt Damaskus vor. Der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter will das Assad-Regime beim Kampf gegen den IS aber nicht unterstützen. Im Deutschlandfunk sagte er, jetzt müssten Hilfsorganisationen zugelassen werden. Kiesewetter forderte auch eine Reform des UNO-Sicherheitsrates.

Roderich Kiesewetter im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Porträt von Roderich Kiesewetter
    Roderich Kiesewetter (CDU), Obmann im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags. (dpa / picture-alliance / Karlheinz Schindler)
    Christoph Heinemann: Medien lieben kräftige Ausdrücke, manchmal auch Übertreibungen. Aber vermutlich hat Ban Ki-moon nicht übertrieben, als er von dem Todeslager sprach. Ein Begriff, der in Deutschland einen besonderen Klang hat. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen blickt in höchster Sorge auf das umkämpfte Flüchtlingslager Jarmuk in Syrien. 18.000 palästinensische Flüchtlinge im Süden von Damaskus seien der barbarischen Gewalt der Terrormiliz Islamischer Staat ausgeliefert. Unterdessen erklärte die palästinensische Befreiungsorganisation PLO, sie werde einen bewaffneten Kampf der Palästinenser für das Flüchtlingslager nicht unterstützen.
    Im Deutschlandfunk berichtete heute früh Martin Glasenapp, der Sprecher von Medico International, über die Lage in Jarmuk:
    "Gestern Nacht hat es drei Fassbombenangriffe gegeben. Ich habe heute, vorhin noch eine Nachricht bekommen aus Jarmuk: Es hat wieder Zerstörungen gegeben, es hat wieder Tote gegeben. Die Lage ist wirklich schrecklich. Es gibt immer wieder Nachrichten, dass es Tote gibt, es hat vorgestern Hinrichtungen auf offener Straße gegeben.
    Und wenn man über Jarmuk und die verschiedenen Parteien und Gruppen spricht, muss man vor allem auch über die Zivilgesellschaft sprechen, über die kleinen lokalen Initiativen. Einige unterstützen wir, die seit zwei Jahren versuchen, das Leben unter dieser Belagerung aufrechtzuerhalten, die Nahrungsmittel verteilen, die die Schulen betreiben, die die Wasserversorgung aufrechterhalten - seit 217 Tagen gibt es kein Wasser mehr in Jarmuk.
    Und diese Leute stehen jetzt quasi zwischen beiden Fronten: auf der einen Seite der IS, der sie angreift, der mit Todeslisten die Aktivisten sucht, auf der anderen Seite das Regime, das die Leute nicht raus lässt. Und das Regime sucht auch viele Aktivisten, weil sie sich dem Wehrdienst entzogen haben, weil sie oppositionell zum Regime stehen.
    Und so wichtig es ist, dass jetzt über Jarmuk gesprochen wird, so wichtig ist auch der Hinweis, dass die Katastrophe von Jarmuk vor zwei Jahren begonnen hat. Und die Verantwortung liegt ganz klar in den Händen des Regimes, das diese Blockade aufrechterhalten hat, diese Hungerblockade mit über 160 Toten. 160 Hungertote in Syrien, in einem Land, wo es einen Bürgerkrieg gibt, ist selbst eine besondere Nachricht. Und damit, muss man auch sagen, hängen auch viele palästinensische Gruppen mit drin in dieser Katastrophe, weil sie das Regime unterstützt haben, weil sie diese Blockade stützen."
    Martin Glasenapp von Medico International. Am Telefon ist Roderich Kiesewetter, CDU, der Obmann der Union im Außenpolitischen Ausschuss des Deutschen Bundestages. Guten Tag!
    Roderich Kiesewetter: Guten Tag, Herr Heinemann!
    Heinemann: Herr Kiesewetter, wir haben den Sprecher gerade gehört: Regierungstruppen gegen IS. Können Sie in der Schlacht um Jarmuk unterscheiden zwischen Guten und Bösen?
    "Assad hat selbst Terror angewendet"
    Kiesewetter: Es gibt dort kein Gut und Böse mehr, das einzig Gute sind die vielen privaten und selbstlosen Initiativen, die versuchen, das Leid der Flüchtlinge dort noch zu lindern. Und Leidtragende sind, auch wenn sich dort Gut und Böse auseinandersetzen würden, immer nur die Menschen vor Ort. Es gibt dort kein Gut mehr.
    Heinemann: Verdient das Assad-Regime Unterstützung im Kampf gegen die Terrorbande IS?
    Kiesewetter: Das Assad-Regime hat die Terrorbande IS gewähren lassen und hat selbst Terror, und wendet ihn immer noch an, Terror angewendet gegen die eigene Bevölkerung. Assad hat lange Zeit IS mit instrumentalisiert, und Assad hat sämtliche Möglichkeiten, wo er hätte das Leid der Flüchtlinge lindern können, ausgeschlagen. Im Gegenteil, er hat dieses Flüchtlingslager isoliert. Er ist selbst verantwortlich für den Hunger, und ich glaube, ihm kommt auch der Kampf des IS in der Region immer noch sehr entgegen, weil es seine Bevölkerung weiterhin spaltet und ihn weiterhin an der Macht hält.
    Heinemann: Aber inzwischen scheint das Regime doch gegen IS vorzugehen. Noch mal die Frage: Sollte man es dabei unterstützen?
    Kiesewetter: Auf gar keinen Fall. Es geht hier nicht darum, eine sehr schwierige militärische Vorgehensweise noch durch zusätzliche militärische Vorgehensweisen zu unterstützen. Es geht hier darum, dass Assad an den Verhandlungstisch muss. Und es kann auf keinen Fall so weitergehen wie bisher. Wir mussten ja auch als Deutsche feststellen, dass es überhaupt keine Bereitschaft gab, sich ernsthaft auf Verhandlungen einzulassen. Ich erinnere an die Verhandlungen in Montreux. Frieden wird es erst geben, wenn das Assad-Regime erkennt, dass auf militärischem Wege keine Lösung zu erreichen ist. Und mit Assad sind zurzeit keine Verhandlungen möglich. Die Frage ist natürlich, wie wir weiter vorgehen. Und hier merken wir, wie die Vereinten Nationen gelähmt sind. Hier kommt es auf Russland an. Russland darf sich nicht weiter mit einem Veto an der Sache beteiligen, sondern es muss das, was auch Ban Ki-moon gefordert hat als UNO-Generalsekretär, ermöglicht werden. Es müssen Hilfskonvois zugelassen werden, die sakrosankt, die geschützt sind, sei es vom Roten Halbmond oder vom Roten Kreuz. Aber alles, was wir bisher erleben, sind Lippenbekenntnisse, und wir als Europäische Union sind auch nur in der Lage, eine Koalition im Umfeld zu stabilisieren. Aber niemand ist bereit, weiterhin dort Konfliktpartei zu werden. Und das ist auch gut so.
    Kiesewetter fordert Reform des UNO-Sicherheitsrats
    Heinemann: Herr Kiesewetter, Sie haben Russland angesprochen. Muss die internationale Gemeinschaft mit Baschar al-Assad, offiziell ja immer noch Präsident Syriens, zusammenarbeiten, um zumindest den Krieg beenden zu können?
    Kiesewetter: Es wird ja mit ihm zusammengearbeitet. Der Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen, de Mistura, spricht ständig mit Assad. In den Verhandlungen mit den Vereinten Nationen in Genf ist ständig auch eine Delegation von Assad mit am Tisch. Also, man kann nicht sagen, dass Assad hier nicht beteiligt sei. Und wir sehen, dass er nicht konstruktiv mitwirkt. Es ist ja eher umgekehrt der Fall. Er opfert große Teile seiner Bevölkerung. Die Frage ist, wie wir in der Vergangenheit mit ihm umgegangen sind. Aber das hilft uns jetzt bei der Lösung nicht. Jedenfalls ist Assad Teil des Problems, und die internationalen Verhandlungen, die mit ihm laufen, zeigen ja, dass er bisher nicht einlenkt. Deswegen muss Russland mit an den Verhandlungstisch. Über Russland haben wir noch einen Zugang zu Assad. Und de Mistura ist genauso hilfreich wie im Moment auch der Sonderbeauftragte Ramsi, der frühere ägyptische Botschafter in Deutschland, der gleichfalls dort mit unterstützt. Jetzt kommt es aber wirklich darauf an, dass beispielsweise von der Europäischen Union mit den Staaten Frankreich und Großbritannien eine Initiative in New York gestartet wird, dass dieses Vetorecht bei humanitären Aktionen nicht mehr gelten darf. Dass die Trennung von Konfliktparteien auch mit Mehrheitsvoten möglich sein muss. Also hier ist zwingend eine Reform der Vereinten Nationen erforderlich. Ferner geht es auch darum, dass wir die Palästinenser aus dem Konflikt heraushalten, und insofern sind die Töne, die wir aus Ramallah hören, einigermaßen sinnvoll.
    Heinemann: Ist das ein Nein der PLO oder ein Nein-aber, aus dem ein Ja werden könnte?
    Kiesewetter: Die Gefahr ist ja, dass die Flüchtlinge dort, die 16.000, sind ja noch etwas weniger als zehn Prozent der Palästinenser, die dort einst gelebt haben, dass diese instrumentalisiert werden. Und wir müssen jetzt ganz arg aufpassen, dass das Rote Kreuz und der Rote Halbmond hier Zugänge bekommen. Und hier müssen wir auch einen entsprechenden Druck machen. Dieser Druck kann erfolgen, indem man in den Verhandlungskanälen, die gerade in der Schweiz laufen, dem syrischen Präsidenten deutlich macht, dass er nur gewinnen kann, wenn er einlenkt, wenn er also die Blockade beendet und wenn er die Flüchtlinge nicht als Terroristen bezeichnet, sondern diese Flüchtlinge leiden ja einmal unter der Blockade, seit Jahren, und sie leiden jetzt unter dem Druck, den IS dort macht. Und hier müssen wir gemeinsam gegen den IS vorgehen. Aber Assad darf das nicht zur Rechtfertigung dienen, plötzlich rehabilitiert zu sein. Er hat ja seine Bevölkerung auf dem Gewissen.
    "Wir werden Zuschauer eines Massakers"
    Heinemann: Also Assad ist nicht nur Teil des Problems, sondern auch Teil der Lösung.
    Kiesewetter: Er muss Teil der Lösung sein. Deswegen nimmt die UN ihn ja mit an den Verhandlungstisch, aber wir müssen Bedingungen stellen. Und hier sind die Vereinten Nationen zu stärken. Aber es muss von der EU aus, also von der Europäischen Union aus ein Reformvorschlag gemacht werden, dass die UNO nicht ständig selbst gelähmt ist. Sonst bleiben wir bei Appellen, und wir werden Zuschauer eines Massakers.
    Heinemann: Realpolitik heißt also die Auswahl zwischen Pest und Cholera: Assad oder IS.
    Kiesewetter: Wir müssen uns selber impfen. Wir haben es gestern gemerkt, dass der IS ja auch versucht, unsere Meinungsfreiheit, TV5 von Frankreich, mit Hackerangriffen, mit Cyberangriffen zu beschneiden. Wir müssen ganz arg aufpassen und müssen uns gegen Pest und Cholera impfen. Des Weiteren, und das ist auch ein ganz wichtiger Appell, muss die Arabische Liga in die Pflicht. Wie kann es sein, dass das saudische Königreich 150.000 Soldaten mobilisiert im Kampf gegen die Huthi-Milizen und auch noch verbündete Nachbarstaaten mit einbindet, aber nicht willens ist, auch nur in Ansätzen in Syrien zu intervenieren mit einer Lösung der Arabischen Liga. Das ist etwas, was sich die arabischen Staaten gefallen lassen.
    Heinemann: Eine militärische Lösung der Arabischen Liga?
    Kiesewetter: Die Arabische Liga könnte Flüchtlingslager unterstützen und mit Militär diese Flüchtlingslager schützen. Ein militärisches Eingreifen, so wie im Jemen, halte ich für falsch in Syrien, aber es ist doch augenöffnend, dass Saudi-Arabien in der Lage ist, binnen kürzester Zeit 150.000 Soldaten mit Bündnispartnern zu mobilisieren, und nicht willens ist, in Syrien für eine Lösung zu sorgen, sondern vielmehr ihre Probleme - Thema al-Nusra und andere Bereiche - dorthin exportiert.
    "Unser Appell muss sich auf Saudi-Arabien richten und auf den Iran"
    Heinemann: Nur, wenn in Syrien niemand militärisch eingreift, dann bleibt eigentlich nur das Zuschauen und Warten, wer gewinnt.
    Kiesewetter: Der Kernpunkt für uns ist, dass die Europäische Union dort nicht eingreifen sollte und auch nicht die NATO, aber eine Koalition von Willigen, so wie wir das ja gerade auch im Irak machen, oder jetzt das schwedische Parlament und vor Kurzem das kanadische Parlament entschieden haben, dass sie gezielte Luftschläge in Syrien durchführen. Das ist immer möglich. Aber unser Appell darf nicht sein, dass wir Europäer uns dort militärisch engagieren, sondern unser Appell muss sich, auch mit Blick auf wirtschaftliche Zusammenarbeit, auf Saudi-Arabien richten und auf den Iran. Dass der Iran die Unterstützung der schiitischen Milizen unterlässt und dass Saudi-Arabien für den Roten Halbmond sich engagiert und nicht ausweicht auf Jemen, sondern mit der Kraft, die Saudi-Arabien ja bewiesen hat in den letzten Wochen, mit dieser diplomatischen Kraft sich in Syrien engagiert. Ich halte das für sehr wichtig, denn hier könnte der Rote Halbmond mit Saudi-Arabien im Hintergrund sehr stark wirksam werden.
    Heinemann: Roderich Kiesewetter, CDU, der Obmann der Union im Außenpolitischen Ausschuss des Deutschen Bundestages. Herr Kiesewetter, Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
    Kiesewetter: Auf Wiederhören, Herr Heinemann!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.