Archiv

IS-Propagandavideos
Zwischen Horrorfilm und Hollywood

Kaum eine Woche vergeht, ohne dass ein neues Video von Terroristen für Schlagzeilen sorgt. Vor allem der sogenannte Islamische Staat verbreitet ständig neue Filme, deren Grausamkeit regelmäßig die vorhergehenden übertrifft. Die Propagandastrategie islamistischer Terroristen setzt nicht zuletzt auf westliche Medien.

Von Marc Engelhardt |
    Das Foto stammt von der Gruppe Albaraka News, die den Dschihadisten nahe steht. Es zeigt mutmaßliche Kämpfer des IS, die nahe der Grenze zwischen Syrien und dem Irak Stellung beziehen.
    Ein Foto mit mutmaßlichen Kämpfern des IS (picture alliance / dpa - Albaraka News)
    Geiseln werden vor laufender Kamera geköpft. Halbe Kinder erschießen wehrlose Männer oder sprengen sich mit einem Auto in die Luft. Die Propagandavideos des sogenannten Islamischen Staats lassen keine Details aus - und sind gerade deshalb so erfolgreich, glaubt Asiem El Difraoui. Der in Offenbach geborene Politologe hat über den "Dschihad der Bilder" promoviert.
    "Erstaunlich ist ja der Wandel der dschihadistischen oder gerade der IS-Propaganda in den letzten Jahren. Man hat ja das Gefühl, man ist in der Videospielästhetik oder im schlimmsten, trashigsten amerikanischen Horrorfilm. Aber da richtet sich diese Propaganda an ein Zielpublikum, junge Leute, die sind aufgewachsen mit dem schlimmsten, was der Westen so produziert hat. Völlig wertlose unmoralische Filme, Videospiele von einer solchen Ultragewalt."
    Bedienung bei der globalen Jugendkultur
    Die Bildersprache der Terroristen bedient sich in der globalen Jugendkultur, sagt El Difraoui: von der Fantasyserie Game of Thrones, wo in Hochglanzästhetik Männer grausam ermordet, Frauen vergewaltigt und Kinder misshandelt werden - bis hin zu brutalsten Horrorfilmen und Egoshootern.
    "Der IS dreht das dann um, diese virtuelle Welt des Horrors und des Trashs, um Leute anzuziehen. Diese Menschen gehen dann zum IS, können vermutlich auch Cyberwelt nicht von realer Welt unterscheiden. Und machen dann selber, mit den einzigen Vorbildern, die sie so erlebt haben, eben brutalsten Filmen, echte Horrorfilme, wo wirklich Menschen sterben."
    Theo Padnos kennt diesen echten Horror aus eigener Erfahrung. Zwei Jahre lang war der US-Journalist Geisel der syrischen Al-Nusra-Front, die zum Terrornetzwerk Al-Qaida gehört. Die Welt der Propagandavideos, sagt er, hat mit dem echten Krieg etwa in Syrien nichts zu tun.
    "Die Dschihadisten, die uns im Westen beschäftigen, spielen vor Ort genau eine Rolle: Sie sollen Aufmerksamkeit in den Medien schaffen. Dschihadi-John etwa, der vor laufender Kamera Geiseln geköpft hat, ist eine Figur, die der Islamische Staat nur aus einem Grund erfunden hat: Weil seine Anführer wissen, dass Johns Botschaften bei uns ankommen. Und das tun sie."
    Hollywood-Klischees als weiteres Element
    Neben Gewalt ziehen auch bewusst eingesetzte Hollywood-Klischees westliche Jugendliche in den Bann der Dschihadisten, glaubt Padnos.
    "Da sitzen junge Männer zusammen in der Wildnis, die gemeinsam einen obskuren Eid schwören und ewige Männerfreundschaft schließen. Das kennen wir aus Wildwest- oder Fantasy-Filmen. Helden, die gemeinsam eine geheime Kraft meistern und in die Welt tragen - das ist doch wie in Star Wars."
    Anders als der Krieg der Sterne aber hat der Krieg der Bilder Auswirkungen auf die Realität, warnt Asiem el Difraoui. In der asymmetrischen Kriegsführung islamistischer Terroristen gegen deutlich größere Armeen entscheide die erfolgreiche Mediatisierung selbst kleinerer Anschläge über Sieg oder Niederlage. Der Krieg des IS ist für ihn ein Medienkrieg, in dem sich westliche Medien missbrauchen lassen.
    "Dieser Bilddschihad des Web 2.0 wird von den europäischen Medien - damit meine ich nicht nur die deutschen - sofort aufgenommen, die spektakulärsten Bilder gezeigt. Nicht der totale Horror, aber kurz davor. Und nimmt einen Platz in den Medien ein, der einfach viel zu groß ist. Wenn der Horror zunächst mal nicht mehr so klappt und keiner mehr so richtig darüber berichtet, dann wird eben das Weltkulturerbe in Mossul zerstört. Und somit kommt man auch wieder in die Weltöffentlichkeit."
    Westliche Medien übernehmen Bilder
    Das Lügengebäude des IS wird in Berichten über solche Vorfälle selten entlarvt, kritisiert El Difraoui. Stattdessen würden Mythen wie das Märtyrertum der angeblichen Gotteskrieger unkritisch übernommen, in Text und Bild.
    "Um diese spektakulären Bilder sind viele Lügen gebildet, ein Heilsversprechen, das man immer wieder widerlegen muss. Man muss auch immer wieder erklären, dass diese Symbolik, die da gezeigt wird, gar nicht diesen Gruppen gehört, sondern sie probieren einfach, die Symbolik und die Konzepte des Islams zu annektieren."
    El Difraoui fordert, islamistischen Propagandavideos nicht mehr so viel Sendezeit zu widmen. Nur so könne der Bilddschihad entzaubert und besiegt werden.