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IS-Rekrutierung
Das georgische Pankisi-Tal wehrt sich

Das Pankisi-Tal, eine abgelegene Bergregion an der georgisch-russischen Grenze, galt lange als Rückzugs- und Rekrutierungsbasis für islamistische Kämpfer. Etwa 50 junge Männer sind schätzungsweise von hier aus nach Syrien gegangen. Doch die Bewohner des Tals sind nicht länger gewillt, die Radikalisierung ihrer Jugendlichen hinzunehmen.

Von Alexander Hertel und Thomas Otto |
    Bani - eine Band aus Georgien - bei einem Auftritt im Pankisi-Tal, einer Bergregion an der georgisch-russischen Grenze.
    Bani - eine Band aus der georgischen Hauptstadt Tiflis - bei einem Auftritt im Pankisi-Tal. (Deutschlandradio / Alexander Hertel)
    Er wisse alles, was im Pankisi-Tal passiert, sagt Solca Kartarashvili. Der 87-Jährige ist Vorsitzender des Ältestenrates im Pankisi-Tal. Kartarashvili hat miterlebt, wie sich das Tal verändert hat. Wie plötzlich eine neue Moschee gebaut wurde, in der ein ultraorthodoxer, wahabitischer Islam gepredigt wird. Angeblich finanziert mit Geld aus Saudi-Arabien. Er gehört zur Ethnie der Kisten – einer der wenigen muslimischen Gruppen im sonst christlichen Georgien. Vor 300 Jahren schon sind seine Vorfahren aus Tschetschenien ins Pankisi-Tal eingewandert.
    Brief an den Präsidenten von Georgien
    Kartarashvili blickt ernst unter seiner Schiebermütze hervor. Gestenreich erklärt er, wie einige Männer aus dem Tal angefangen hätten, Jugendliche für den Kampf in Syrien anzuwerben – instruiert und finanziert von Abu Omar al-Schischani, einem bekannten IS-Kommandeur, der aus ihrem Pankisi-Tal stammt. Dessen Handlanger seien gut bezahlt worden, hätten sich neue Autos gekauft und Häuser gebaut.
    "Wir haben einen Brief geschrieben an das Parlament in Tiflis, an den Präsidenten und an den Premierminister, nachdem immer mehr Mütter zu uns gekommen sind und gesagt haben: Unsere Söhne sind nach Syrien verschwunden. Das war 2013/2014. Dann hat der Staat reagiert und einige Männer ins Gefängnis geworfen, die die Jugendlichen dazu überredet haben. Seitdem hat das aufgehört. Es gibt aber immer noch junge Männer von hier, die zum Beispiel in der Türkei sind und nach Syrien gehen können."
    12 Jahre Haft für Syrien-Rückkehrer
    Kartarashvili schätzt, dass sich bis jetzt etwa 50 junge Männer aus Pankisi dem IS angeschlossen hätten. 23 von ihnen seien dort ums Leben gekommen.
    Eine Aussicht darauf, dass die in Syrien Verbliebenen zurückkehren könnten, gebe es nicht. Eigens für diesen Personenkreis habe die Regierung sogar ein Gesetz erlassen. Der vorerst letzte Rückkehrer sitze gerade eine zwölfjährige Haft-Strafe ab.
    Auch der 17-jährige Tarkhan gehört zu denen, die von den radikalen Dschihadisten potenziell angesprochen würden. Er lernt gerade in einer Nachmittagswerkstatt, wie man aus Metall Tore und Zäune baut. Zusammen mit anderen jungen Männern aus dem Dorf Omalo arbeitet er gerade an einer Tür.
    Eine Perspektive vor Ort lässt IS weniger attraktiv erscheinen
    "Zuerst holen wir das Material und entwerfen die Tür. Dann schneiden wir alles zu und schweißen die Teile zusammen. Zum Schluss liefern wir sie beim Kunden aus."
    Noch bis März läuft das Projekt, finanziert mit Geld aus den Niederlanden. Organisiert wird das Ganze vom Entwicklungsfonds der Region Kachetien, einer lokalen NGO, die den Jugendlichen eine Perspektive geben wollen. Mit handwerklichen Fähigkeiten und Berufsaussichten, so die Hoffnung der Geldgeber, wäre der IS weniger attraktiv für sie.
    "Jetzt lerne ich das und dann schauen wir mal. Ich weiß noch nicht, ob das mal mein Beruf werden wird."
    Alternative zur Moschee
    Im Nachbardorf betreibt Gulnaz Gunashashvili eine Nachmittagsschule. Dafür stellt sie sogar ihr eigenes Wohnhaus zur Verfügung. Zusammen mit drei jungen Frauen hilft sie bei den Hausaufgaben, spielt und bastelt mit den Kindern. Ohne ihr Zentrum wären die Kinder nach der Schule entweder auf der Straße oder sie würden in die Moschee gehen, sagt Gunashashvili:
    "Die jungen Leute haben hier keine Zukunft. Und dann sehen sie die Strenggläubigen, die Geld, große Autos und gute Häuser haben. Denen folgen sie dann in diese Moscheen, wo ihnen beigebracht wird, dass das wahre Leben erst nach dem Tod beginnt. Deshalb ist so ein Zentrum so wichtig, wo die Kinder Bücher lesen und positiv beeinflusst werden."
    Am Abend schlängeln sich dutzende Autos und Kleinbusse über die holprigen Wege zum hintersten Zipfel des Pankisi-Tals. Dort, wo die Teerstraße schon lange aufgehört hat und sich die schneebedeckten Gipfel des Kaukasus erheben. An der letzten befahrbaren Lichtung haben lokale Helfer der NGO eine Bühne aufgebaut. 150 meist junge Leute aus dem ganzen Tal sind gekommen. Sie wollen "Bani" hören, eine Band aus der Hauptstadt, die in ganz Georgien bekannt ist.
    Auf dem Parkplatz vor der Lichtung steht ein schwarzer BMW mit getönten Scheiben. Vorne sitzen zwei Männer mit langen Bärten, dahinter eine junge Frau mit Kopftuch. Argwöhnisch beobachten sie das bunte Treiben. Während des letzten Liedes erhellt ein kleines Feuerwerk die Lichtung mit den laut jubelnden Talbewohnern. Die junge Frau im BMW lässt dann doch das Seitenfenster herunter, reckt den Kopf hinaus und lauscht der Musik. Sie lächelt.