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IS-Rückkehrer
Bundesregierung hat "das Thema vor sich hergeschoben"

Die Bundesregierung habe bislang kein Konzept, um IS-Kämpfer geordnet zurückzunehmen, sagte der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Fraktion im Bundestag, Stephan Thomae, im Dlf. Es räche sich nun, dass man das Thema vor sich hergeschoben und den Kopf in den Sand gesteckt habe.

Stephan Thomae im Gespräch mit Jörg Münchenberg        |
Vermutlich eine Gruppe von IS-Kämpfern im Nahen Osten
Ungefähr 1080 Deutsche sind im Laufe der letzten Jahre von Deutschland in den Krieg nach Syrien aufgebrochen, sagte FDP-Politiker Stephan Thomae im Dlf. (imago)
Jörg Münchenberg: Es betrifft viele europäische Staaten. Wie umgehen mit den eigenen Staatsbürgern, die für den sogenannten Islamischen Staat aktiv gekämpft haben, oder mit ihm zumindest sympathisiert haben und jetzt zurückkehren wollen oder ausgewiesen werden, zumal sich das Problem seit dem Einmarsch der Türkei in Nordsyrien noch drängender stellt.
Manche Kämpfer, aber auch Angehörige konnten im Chaos aus den Gefangenenlagern dort entfliehen. Die Türkei will jetzt zudem mehrere mutmaßliche IS-Anhänger nach Deutschland abschieben. Berlin sieht wiederum noch einigen Klärungsbedarf, aber die zentrale Frage, sie bleibt natürlich: Wie umgehen mit den eigenen Staatsbürgern nach dem Ende der IS-Herrschaft.
Am Telefon ist nun der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Stephan Thomae. Herr Thomae, einen schönen guten Morgen.
Stephan Thomae: Guten Morgen, Herr Münchenberg.
Münchenberg: Herr Thomae, ist das zunächst mal außenpolitisch nicht doch ein ziemlich ruppiger Umgang, den die Türkei da pflegt, indem mutmaßliche IS-Sympathisanten jetzt einfach auch nach Deutschland abgeschoben werden sollen?
Thomae: Es sind Deutsche und die internationale Praxis ist natürlich, dass ein Staat schon veranlasst ist, seine eigenen Staatsbürger zurückzunehmen, wenn sie in ausländischen Ländern Straftaten begangen haben. Das gleiche erwarten wir auch, dass Ausländer, die in Deutschland Straftaten verüben, verurteilt werden, in Strafhaft kommen, abgeschoben werden können in ihre Heimatländer. Eigentlich macht in diesem Fall die Türkei nichts anderes.
Stephan Thomae, Bundestagsabgeordneter der FDP, am 11.10.2018 im Bundestag
Stephan Thomae, Bundestagsabgeordneter der FDP (dpa ZB / Jens Büttner)
"Man darf nicht panisch reagieren"
Münchenberg: Aber die Bundesregierung sagt, es gäbe da noch einigen Klärungsbedarf, auch was die Nationalität der Betroffenen angeht, ihre Aktivitäten auch in Syrien zum Beispiel. Man hat ja nicht den Eindruck, dass da eine offene Kommunikation läuft.
Thomae: Das stimmt. Es ist wohl die Rede davon, dass in dieser Woche zehn Deutsche zurück nach Deutschland geführt werden sollen. Ein Mann kam wohl gestern schon nach Deutschland, neun weitere sollen am Donnerstag und Freitag folgen. Von zumindest zwei weiteren ist die Staatsangehörigkeit ungeklärt und das darf man erwarten, dass zunächst einmal geklärt wird, ob es sich wirklich um Deutsche handelt.
Wenn das aber der Fall ist, dann können wir uns kaum dagegen wehren, dass diese eigenen Staatsangehörigen wieder nach Deutschland zurückkommen. Dafür braucht man ein Konzept und darf nicht panisch reagieren.
Münchenberg: Es gibt bislang kein geordnetes Verfahren, um IS-Kämpfer oder auch Angehörige, Sympathisanten zurückzunehmen. Ausnahme, muss man sagen, sind Kinder. Da hat Deutschland im Sommer einige zurückgenommen. Rächt sich das jetzt, dass es kein solches Konzept gibt?
Thomae: Ja, man hat das Thema vor sich hergeschoben. Natürlich: Die Intuition sagt, solche Leute sollen bleiben wo sie sind, die wollen wir bei uns gar nicht mehr haben. Aber der Verstand sagt, besser ein deutscher Straftäter oder Terrorist in deutschen Gefängnissen als irgendwo im Nahen Osten vielleicht auf der Flucht, unkontrolliert, und er sucht seinen Weg zurück nach Deutschland und bahnt ihn sich wieder zu uns.
Wir haben ja im Fall Ibrahim Miri gesehen, dass es möglich ist, unbemerkt unter dem Radar der Behörden bis nach Bremen zu kommen. Von daher braucht man ein Konzept und es ist, wie Sie sagen: Es rächt sich ein bisschen jetzt, dass die Bundesregierung kein Konzept entwickelt hat und das Thema vor sich hergeschoben und den Kopf in den Sand gesteckt hat.
Zwei Bundespolizisten in Leuchtwesten kontrollieren auf dem Umschlagbahnhof der Deutschen Bahn an der deutsch-schweizerischen Grenze einen Güterzug mit Lkw-Auflieger. 
Innere Sicherheit - Die Rückkehr des Clan-Chefs
Ein kürzlich in den Libanon abgeschobenes kriminelles Mitglied des Miri-Clans kehrte unbehelligt von dort nach Bremen zurück. Trotz eines siebenjährigen Einreiseverbots.
An Frankreich orientieren
Münchenberg: Wobei man natürlich fairerweise sagen muss, Herr Thomae, alle betroffenen Länder in Europa tun sich extrem schwer damit. Manche Länder wie Dänemark zum Beispiel haben ja kurzerhand die Staatsbürgerschaft entzogen. Auch in Deutschland ist das ja möglich bei einer doppelten Staatsbürgerschaft. Man kann schon sagen, eigentlich alle Länder in Europa versuchen, das Problem mehr oder weniger auszusitzen.
Thomae: Aber andere Länder wie etwa Frankreich haben teilweise auch ihre Staatsbürger zurückgenommen, einfach um sie unter Kontrolle zu bringen. Das ist, auch wenn das zunächst mal antiintuitiv klingt, auch ein Thema der Sicherheit.
Es dient der Sicherheit mehr, wenn ich weiß, wo sind denn diese Leute, als wenn sie unbemerkt wieder zurückkehren könnten. Insofern sollte man sich nicht an der schlechten Praxis etwa Dänemarks orientieren, sondern an der im Grunde richtigen Praxis Frankreichs.
Kinder und Frauen werden in das  syrische  Flüchtlingscamp Al-Hol gebracht.
Kinder deutscher IS-Kämpfer - Angehörige fühlen sich im Stich gelassen
Bis zu 11.000 Kinder befinden sich laut Schätzungen in Lagern in Nordsyrien und im Nordirak, darunter auch Kinder deutscher Staatsbürger. Die Bundesregierung zögert, diese zurückzuholen.
Münchenberg: Auf der anderen Seite: Ehemalige Kämpfer des IS stellen ja schon noch eine potenzielle Gefahr für die Öffentlichkeit dar, und die Sorge ist ja nicht ganz unberechtigt, dass die nicht kontrolliert werden können, wenn zum Beispiel die Verdachtsmomente für eine Verhaftung nicht ausreichen.
Thomae: Ja. Die Intuition sagt ja auch, besser sollen die draußen bleiben. Aber auch dann, wenn die Tathinweise nicht ausreichen für eine Verurteilung, ist es besser, man weiß wo sie sind und kann sie hier beobachten, als dass sie unbemerkt wieder zu uns zurückkehren. Das ist gegen die Intuition, aber der Verstand sagt, das ist die richtige Vorgehensweise.
"Eine Dunkelziffer bleibt"
Münchenberg: Das heißt aber, die FDP plädiert dafür, dass alle diese betroffenen Menschen, Kinder, Mütter, auch IS-Kämpfer, dass die von Deutschland zurückgenommen werden müssen?
Thomae: Das gleiche erwarten wir ja auch von anderen Ländern und wie sollen wir von anderen Ländern künftig erwarten, dass sie ihre Staatsbürger zurücknehmen, wenn wir es nicht auch tun. Insofern ist das die richtige Vorgehensweise, auch völkerrechtlich völlig üblich, und wir brauchen ein Konzept, wie wir mit solchen Leuten umgehen.
Wenn wir wissen, es handelt sich sogar um bereits verurteilte Straftäter, dann kann ja die im Ausland ausgesprochene Strafe bei uns auch weiter vollstreckt werden, und dann ist es sinnvoll, frühzeitig mit etwa der Türkei Kontakt aufzunehmen, zu eruieren, wer ist denn das eigentlich und in welche deutschen Gefängnisse in welchem Bundesland können sie zur Verbüßung ihrer Freiheitsstrafe untergebracht werden.
Münchenberg: Aber gerade das Beispiel Türkei zeigt ja jetzt, weil man anscheinend nicht genügend Informationen hat, wie schwer es ist, mit solchen Leuten umzugehen.
Thomae: Wir unterhalten ja diplomatische Beziehungen mit der Türkei und hatten auch bislang übrigens ziemlich gute Kontakte zu den Kurden in Nordsyrien. So ist das nicht, dass es nicht die Möglichkeit gab, schon frühzeitig herauszufinden, welche Deutschen sind denn da eigentlich. Ungefähr 1080 Deutsche sind im Laufe der letzten Jahre von Deutschland in den Krieg nach Syrien aufgebrochen.
Da gibt es eine Dunkelziffer, aber man hat eine ziemlich klare Vorstellung, wer ist das denn. Einige sind dort getötet worden, aber man sollte wirklich engen Kontakt mit den türkischen Behörden und auch noch immer mit den Kurden-Behörden in Nordsyrien halten und herausfinden, um welche Personen handelt es sich, wer kommt denn da möglicherweise in den nächsten Monaten oder auch Jahren zu uns.
"Den Kopf in den Sand zu stecken, ist falsch"
Münchenberg: Aber kann man das trotzdem noch mal konkret in Zahlen fassen, um wie viele Personen es tatsächlich geht? Es geht ja nicht nur um aktive Kämpfer, sondern es geht auch um die Frauen zum Beispiel, die ja durchaus auch Sympathie für den IS gehabt haben.
Thomae: Im Norden Syriens handelt es sich um etwa 100 Kinder, um eine überschaubare etwas höhere zweistellige Zahl von deutschen Männern und Frauen, die sich nach unserer Kenntnis dort noch in Lagern befinden, vor allem von Frauen und Kindern in Lagern, im Falle von Männern in regelrechten Haftanstalten. Man hat eine ziemlich klare Vorstellung von der Zahl.
Natürlich: Eine Dunkelziffer bleibt. Ob diese Zahl ganz vollständig ist, ist nicht ganz sicher. Aber diese Zahlen sind überschaubar. Man kann sich um diese Personen kümmern. Den Türken sind bei der Militäroffensive am dem 9. Oktober etwa 287 Menschen in die Hände gefallen. Ein Teil davon wird deutscher Staatsangehörigkeit sein. Da kann man durchaus genau nachfragen, kann kooperieren und mit den türkischen Behörden engen Kontakt halten.
Münchenberg: Herr Thomae, es gibt in Deutschland, Schätzungen zufolge, oder das weiß man relativ genau, 700 solcher Gefährder, potenzielle Menschen, die für den IS gekämpft haben und die man aber jetzt nicht inhaftieren kann. Wenn jetzt noch mehr kommen, können die Sicherheitsbehörden denn die alle wirksam überwachen?
Thomae: Ich will nicht den Eindruck erwecken, als sei das alles kein Problem und man werde der Sache schon problemlos Herr. So ist das natürlich auch wieder nicht. Aber den Kopf in den Sand zu stecken, wegzuschauen und zu hoffen, das wird schon alles gut gehen, das ist jedenfalls die falsche Vorgehensweise.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.