Mustafa Doymus geht in die Gefängnisbibliothek in der JVA Düsseldorf, sein Kollege zeigt in eine Ecke.
"Hier haben wir religiöse Bücher, Koran, etcetera"
Der 40-jährige, studierte Islamwissenschaftler, trägt eine Brille, dunkle, lockige Haare, einen Spitzbart am Kinn. Seit gut drei Jahren arbeitet Doymus für die Justiz in Nordrhein-Westfalen, ist zuständig für das Projekt "Prävention von Radikalisierung in nordrhein-westfälischen Justizvollzugsanstalten". Diese – bundesweit einmalige – Einrichtung, soll frühzeitig erkennen, wenn Gefangene sich radikalisieren. Und die Bibliothek ist für Doymus und sein vierköpfiges Team dabei durchaus wichtig:
"Wir schauen uns die Bücherei an und gucken halt, ob bestimmte Literatur dort liegt, die vielleicht problematisch sein könnte oder bei der Beschaffung von neuen Büchern werden wir immer gefragt und in der Regel entsprechend um eine Einschätzung gebeten."
Wissen und Werte vermitteln
Aktuell sind rund 3.500 der 16.500 Gefängnisinsassen in Nordrhein-Westfalen Muslime, in Düsseldorf sind es 209 von 800 Häftlingen. Eine Gruppe, mit denen die JVA-Bediensteten häufig fremdeln. Daher gibt es Doymus und sein Team - er nickt. Seinen Job beschreibt er häufig in einem Satz:
"Wissensvermittlung um Werte zu vermitteln. Das heißt: Wir vermitteln den Bediensteten Wissen im Umgang mit den muslimischen Gefangenen. Ja, das ist adäquat! Das ist okay. Das gehört zur Religion. Das ist abweichend, da fängt es an, problematisch zu werden. Solange wir das hinbekommen, können wir auch erfolgreich an dieser Arbeit weiter fortsetzen."
Frühzeitig erkennen, wann eine Radikalisierung droht. Laut Doymus gibt es dafür identifizierbare Anzeichen. Wenn Häftlinge anfangen, sich zurückzuziehen, nicht mehr ansprechbar seien, die Autorität der JVA-Bediensteten in Frage stellen oder sich ein Gefangener plötzlich nicht mehr in sein Bett legen will, sondern sich zum Schlafen auf den Boden legt, um sich mit diesem Komfortverzicht auf die Bedingungen im "Heiligen Krieg" vorzubereiten.
JVA-Mitarbeiter sollen Warnsignale erkennen
"Sich zum Beispiel von den anderen muslimischen Gefangenen distanziert, Rückzugstendenzen, Abschottungstendenzen, sich sehr stark mit islamistischer Literatur beschäftigt oder halt auch Briefe schreibt, die vielleicht halt in diese Richtung gehen, die können wir dann halt für die Bediensteten codieren und die Bediensteten können dann halt die entsprechenden Maßnahmen ergreifen."
Weiteres Beispiel: Der Häftlinge möchten keinen Fernseher mehr haben, weil dadurch der Teufel zu ihm spreche. Letztendlich müssen die Bediensteten wachsam sein, so Doymus:
"Nach Arbeitsschluss können die Gefangenen sich beim Umschluss treffen. Umschluss bedeutet halt, die schließen sich zu dritt in der Regel in einer Zelle ein, in diesem Bereich besteht zum Beispiel die Möglichkeit einer Radikalisierung oder einer Ideologisierung."
Seminare zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit
Die JVA-Angestellten sind daher von Doymus und seinem Team so sensibilisiert worden, Veränderungen zu merken – und diese zu melden. Denn: In der JVA Remscheid stationiert, betreuen die Islamwissenschaftler alle 36 NRW-Gefängnisse, sind auf die Informationen aus den einzelnen Häusern angewiesen. Wenn es dringend ist per Telefon, ansonsten per Email. Darüber hinaus gibt es noch weitere Maßnahmen, so Doymus:
"Die Anstalt meldet sich bei uns, wir gehen in die Anstalt, schauen uns zum Beispiel, welche Maßnahmen, Bedarfe dort notwendig sind, wenn es zum Beispiel darum geht Demokratie-Bildungsseminare zu führen, wir führen auch Gefangenen-Seminare, wo es halt auch um Rechtsstaatlichkeit geht, wo es um Demokratie-Bildung geht."
Bisher soll es in NRW-Gefängnissen – nach offiziellen Angaben – zwar keine Radikalisierung gegeben haben, doch die Behörden sind sensibilisiert, wollen vorbereitet sein – auch, wenn verstärkt Heimkehrer aus den Kriegsgebieten des IS zurückkehren, hier inhaftiert werden. Gerade im September stehen wieder eine Reihe von Prozessen im Hochsicherheitstrakt des Oberlandesgerichts Düsseldorf an. Das weiß auch NRW-Justizminister Peter Biesenbach von der CDU:
"Ja, im Augenblick haben wir eher eine Phase der Ruhe, aber die kann morgen zu Ende sein. Und darum ist die Aufgabe weiterhin wichtig und wir gehen mit aller Kraft auch daran, dafür zu sorgen, dass sich in unseren Gefängnissen niemand radikalisiert."
Denn, so der Minister, die Gefahr sei im Gefängnis besonders groß:
Gefangene sind immer in einer Krisensituation
"Menschen, die bei uns im Gefängnis sind, unterliegen immer einer Krise. Denn: Sie sind losgelöst von allen sozialen Kontakten, sie müssen sich auf ein komplett neues Leben einstellen und hier versuchen wir, in diesen Krisensituationen Hilfe anzubieten. Durch Kommunikation mit unseren Mitarbeitern, durch begleitende Unterstützung mit Menschen, die eben psychologisch helfen, die religiös ein stückweit zur Seite stehen."
Diese seriöse Seelsorge sei ein wichtiger Baustein, um den Spielraum für Islamisten zu verkleinern. Dabei helfen auch Imame, bei deren Auswahl wiederrum Doymus und sein Team helfen. In NRW darf zudem kein Imam zur Seelsorge in Haftanstalten, der nicht bereit ist, sich vom Verfassungsschutz durchleuchten zu lassen. Zudem wurden – nach Angaben des Justizministeriums – inzwischen schon über 3000 Bedienstete aus allen Berufsgruppen zum Thema Radikalisierung im Vollzug durch Doymus und sein Team geschult. Letztendlich, so Doymus, sei ihre Aufgabe einfach – und gehe in zwei Richtungen:
"Wir sind sozusagen die Weltenvermittler, sage ich immer gerne. Also, unsere Aufgabe ist, natürlich die Bediensteten zu stärken, Handlungsstrategien zu entwickeln, aber gleichzeitig auch, dass der Gefangene entsprechend auch die Möglichkeit bekommt, sich zu bewähren, zu resozialisieren und entsprechende Angebot zu schaffen. Zum Beispiel Gruppenmaßnahmen, um abgeholt zu werden oder religiöse Betreuung. Das sind Wertschätzungsperspektiven, die hier umgesetzt werden und ich glaube, das kommt ganz gut an."