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IS-Terror
"Eine Verschwörung des Westens gegen die arabische Welt"

Palästinenser in Gaza deuten den IS-Terror und die Eroberung des Flüchtlingslagers Jarmuk in Syrien durch den Islamischen Staat mithilfe von Konspirationstheorien.

Von Sebastian Engelbrecht |
    Morgens um vier weckt der Muezzin mit einem ohrenbetäubend lauten Gebet die Gäste im modernsten Hotel von Gaza-Stadt. Vom Hotelfenster blickt man auf die nagelneue Al Kheldi-Moschee direkt am Mittelmeer, einen Kuppelbau, umsäumt von Arkaden mit zwei hoch aufragenden Minaretten. Die Moschee und das Hotel gehören zu den Bauten, die im Krieg vom Sommer 2014 unbeschädigt geblieben sind.
    Ohne Bombentreffer blieb auch das "Roots" in Gaza-Stadt, eine weite Halle. Hier treffen sich die Reicheren zum Plausch bei Kaffee und Zigaretten. Das Leben in Gaza geht weiter, trotz der Kriege gegen Israel, trotz des Krieges in Syrien und Irak, trotz des Islamischen Staates, der in den Nachbarländern vorrückt: auf dem ägyptischen Sinai und in Syrien. Glaubt man Zeitungsberichten, gibt es sogar Unterstützer des "Islamischen Kaliphats" in Gaza. Die Truppen des Islamischen Staates eroberten Anfang April das palästinensische Flüchtlingslager Jarmuk bei Damaskus, schlachteten Männer der verschiedensten palästinensischen Fraktionen hin, auch mindestens einen Hamas-Vertreter. Sie entführten Frauen und Männer. Isra Migdad, eine 25-Jährige im blauen Kopftuch, denkt oft an das Leiden der Palästinenser in Jarmuk.
    "Wir teilen ihr Schicksal. Sie sind Flüchtlinge. Ich bin es selbst auch – ob nun in Palästina oder außerhalb. Wir haben hier in Gaza Angriffe erlebt. Ich habe hier drei Kriege erlebt. Das erleben sie auch: Angriffe auf ihre Wohnungen – und sie sind nicht in Sicherheit."
    Neben Isra sitzt ihre 24-jährige Cousine Isra Al Modallal im roten Hidschab. Sie hat in England studiert, war Hamas-Sprecherin in Gaza, wurde nach einem halben Jahr gefeuert. Heute ist sie Fernsehmoderatorin. Isra Al Modallal wettert gegen den Islamischen Staat.
    "Sie haben Muslime getötet, und sie töten Muslime und werden es weiter tun. Wir alle, nicht nur die westlichen Völker, müssen die amerikanische Politik fragen: Wie konnte der 'Islamische Staat' entstehen? Es ist uns allen völlig klar."
    Für Isra Al Modallal ist "völlig klar", dass der Islamische Staat von den USA gefördert wurde und heute vom "Westen" gesteuert wird.
    Diese Verschwörungstheorie begegnet in Gaza überall – mal ganz offen, mal in verschlüsselten Worten: auf der Straße, im Café – und in den Büros der Politiker. Ahmed Yousef, war früher stellvertretender Außenminister der Hamas-Regierung in Gaza, dann Berater des Ministerpräsidenten. Heute ist er Chef eines Hamas-nahen "Instituts für Konfliktlösung und Regierungshandeln" mit dem Namen "Haus der Weisheit".
    "Es gibt Interessen, dass Araber und Muslime sich weiterhin bekämpfen, um sich gegenseitig zu schwächen. Es gibt Kräfte, die wollen Iran durch das Geschehen in Syrien schwächen. Und die Iraner intervenieren, um das syrische Regime zu unterstützen, das sie nicht unterstützen sollten, denn es ist ein brutales Regime, und Assad ist ein Diktator. Aber Iran ist in diesen Konflikt involviert. Es gibt auf der anderen Seite einige Kräfte unter den Europäern, den Amerikanern und den Arabern, die versuchen, den Iran zu schwächen."
    Der "Islamische Staat" bringt aus der Sicht von Ahmed Yousef Chaos und Trennung in die muslimische Welt. Er spaltet und schwächt die Muslime. Der Krieg in Syrien und Irak sei ein Stellvertreterkrieg zwischen den Mächten Iran, Türkei, Saudi-Arabien und USA, meint Yousef. Die Verlierer seien die Palästinenser. Und Yousef gibt zu:
    "Natürlich – wenn die Palästinenser geschwächt werden, dann werden auch wir als Hamas geschwächt. Wir sind heute nicht in bester Verfassung."
    Seine Botschaft: Heute geschehe eine "große Verschwörung" gegen die arabische Welt.
    Sehr ähnlich klingt es auf dem Markt von Nusseirat, in einem Flüchtlingslager im zentralen Gaza-Streifen. Der 37-jährige Rami Jabbar verkauft in Nusseirat Damenmoden. Das Schicksal der Palästinenser in Syrien, im Lager Jarmuk, lässt Rami Jabbar nicht kalt.
    "Das sind unsere Brüder. Was da passiert, das ist eine Verschwörung gegen das palästinensische Volk."
    Eine der wenigen in Gaza, die nicht Verschwörungstheorien bemüht, um die Lage im Nahen Osten zu erklären, ist Habab-Djeieh, eine Kundin am Damenmoden-Stand. Sie berichtet, es habe schon Demonstrationen hier in Nusseirat gegeben für die Palästinenser im Lager Jarmuk.
    "Wir können etwas tun. Zumindest können wir demonstrieren gehen. Auch wenn es nur eine schweigende Demonstration ist – das ist auch gut."