Mascha Drost: Was Jahrausende überdauert hat, das zerstört der Fanatismus in wenigen Stunden. Jahrtausende alte Statuen, Gebäude, Stätten, Steine, denen man in den letzten Jahrzehnten vorsichtig nur mit dem Pinsel nahegekommen ist, wurden in den letzten Monaten unter Planierraupen zermalmt, mit Spitzhacken zerstört, von Kämpfern des IS. Nimrud etwa, eine Stadt, gegründet im 13. Jahrhundert vor Christus, assyrische Hauptstadt, ist nun dem Erdboden gleich.
Die UNESCO spricht von Kriegsverbrechen und nun werden erste Rufe nach Kulturblauhelmen laut. Der italienische Kulturminister Dario Francescini fordert eine "internationale schnelle Eingreiftruppe, um Denkmäler und archäologische Stätten in Konfliktgebieten zu schützen".
- Vor der Sendung hatte ich Gelegenheit mit Margarete van Ess zu sprechen. Sie ist Archäologin mit dem Spezialgebiet Vorderasien und wissenschaftliche Leiterin der Orient-Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts. Hätten Zerstörungen, wie wir Sie jetzt in Mossul, in Nimrud und auch in Al-Hadra erlebt haben, mit solchen Kulturblauhelmen verhindert werden können?
Margarete van Ess: Nein, ganz gewiss nicht. Das liegt im Moment daran, dass niemand, auch keine Militärs zum Beispiel der irakischen Regierung oder von außen, tatsächlich in das Gebiet hineinkommen, wo die Zerstörungen stattfinden.
Drost: Woran liegt das?
van Ess: Das liegt an der sehr starken militärischen Absicherung des sogenannten Islamischen Staates und natürlich auch im Moment daran, dass die irakische Armee zwar aufrüstet und sich vorbereitet auf Angriffe, aber noch nicht richtig in der Lage ist, einen wirklich großen Krieg gegen den sogenannten Islamischen Staat zu führen. Und auch die internationale Staatengemeinschaft natürlich aus den allerunterschiedlichsten Gründen nicht richtig eingreifen kann.
Drost: Es ist also eine blauäugige Idee, mithilfe von Soldaten diese Weltkulturerbestätten schützen zu wollen?
van Ess: Nein, blauäugig ist sie ganz gewiss nicht. Ich würde die Idee durchaus unterstützen, wenn man den Fokus darauf legt, dass man jetzt nicht daran denkt, mit Soldaten direkt vor Ort sein zu wollen, sondern wenn man daran denkt, in militärische Aktionen hinein den Gedanken des Kulturgüterschutzes noch stärker zu verankern.
Drost: Jetzt lassen Sie uns vielleicht auch mal ein bisschen Gedankenspielerei betreiben. Nehmen wir einmal an, die UNO würde tatsächlich Kultursoldaten in diese Gegend schicken, es wäre möglich. Von wie vielen schützenswerten Stätten müsste man überhaupt ausgehen? Wie viele Soldaten wären da ganz praktisch vonnöten?
van Ess: Es sind im Vorderen Orient derartig viele Kulturgutstätten zu schützen, von ganz herausragenden bis zu archäologisch wertvollen, aber etwas unspektakulären, dass das eigentlich nicht umzusetzen ist. Ich glaube, es kann auch nur darum gehen, dass man noch stärker das Bewusstsein im Militär schärft, dass bei militärischen Aktivitäten eben Kulturgüter zerstört werden können - sei es, dass man, ohne informiert zu sein, mit Panzern über irgendetwas drüberrollt. Oder sei es, dass das Verschanzen in Kulturgutstätten, das ja ohnehin schon geächtet ist, versucht wird, in irgendeiner Form zu vermeiden.
Drost: Ganz genau. Kulturerbestätten und Soldaten, das ist ja nicht die beste Kombination. Sehr viele Stätten im Irak wurden ja nicht nur vom IS, sondern vorher auch von Amerikanern beispielsweise vernichtet.
van Ess: Man kann sicherlich nicht sagen, dass die Amerikaner Kulturgutstätten vernichtet hätten. Das sind fast alles immer Kollateralschäden gewesen, die aber genau darauf zurückgehen, dass Militärs nicht ausreichend informiert waren. Und es gibt deswegen seit 2003 sowohl bei den Amerikanern als auch bei den diversen anderen Staaten, die an diesen Coalition Forces beteiligt waren, diverse Kulturguteinheiten, die genau das vermeiden sollen. Und die arbeiten auch und die haben auch in der Nachfolge von 2003 durchaus gearbeitet. Also das gab es schon. Und ich denke mal, die Maßnahme, auf die der italienische Minister nun hinaus will, ist eher das Verankern dieser Ideen in den Vereinten Nationen.
Drost: Haben Sie eigentlich noch Kontakt zu Kollegen vor Ort, Archäologen, mit denen Sie gearbeitet haben? Wie wird denn jetzt versucht, Grabungsstätten oder historische Denkmäler zu schützen?
van Ess: Nun, in den Gebieten des sogenannten IS im Irak gibt es im Moment keine Möglichkeiten. Es gibt kaum auch für die irakische Antikenverwaltung quasi keine Möglichkeiten, einzugreifen. In Syrien ist das noch ein bisschen anders. Dort funktioniert die Kommunikation der syrischen Antikenverwaltung in die unterschiedlichsten Gebiete hinein noch vergleichsweise gut. Dort schützen lokale Personen die Stätten, soweit sie können. Es wird immer so sein, dass nur die lokal vor Ort Lebenden diesen Schutz werden umsetzen können. Und deswegen ist einer unserer wichtigsten Ansätze, auch immer mit den lokalen Personen zusammen Kulturgutschutz gemeinsam zu diskutieren, was denn eigentlich geschützt werden soll und warum.
Drost: Wie erfolgreich oder wie Erfolg versprechend sind solche Zusammenarbeiten mit einheimischen Kräften?
van Ess: Nun, in den Gebieten, wo man sie umsetzen kann, sind sie vergleichsweise erfolgreich. Ich denke schon, dass es dafür gute Beispiele gibt, sowohl in Syrien als auch im Libanon als auch zum Beispiel im Südirak. Das schützt aber leider nicht davor, wenn derartige fanatische Einheiten wie jetzt diejenigen vom sogenannten IS die Region völlig anders sehen wollen und deren Kultur zur Geisel nehmen sozusagen, um ihre Lebensvorstellungen durchzusetzen. Das ist ja auch gegen die Vorstellungen des Großteils der Lokalbevölkerung.
Drost: ... , sagt die Archäologin Margarete van Ess.
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