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IS-Zerstörungen Irak
"Die Bulldozer sind nichts Neues"

Die Zerstörungen im Irak und in Syrien und die Plünderungen der Kulturgüter seien nicht neu, sagte Markus Hilgert, Direktor des Vorderasiatischen Museums in Berlin, im Deutschlandfunk. Neu sei, dass dies das erste Mal vor den Augen der Welt passiere - und medial inszeniert werde.

Markus Hilgert im Gespräch mit Stefan Koldehoff |
    Ein antiker Tempel mit zwei Seitenflügeln und einer Treppe ohne Dach steht in der Wüste.
    Tempel in der antiken Stadt Hatra im Irak. Möglicherweise existieren auch diese Ruinen nicht mehr. (imago / Xinhua)
    Stefan Koldehoff: Wieder einmal sind es offenbar die Bilder, die wir in der durch und durch visualisierten Welt brauchen, um das Ausmaß einer Katastrophe zu begreifen. Und zwar gibt es seit Wochen und Monaten Berichte nicht nur über das Morden der Terrorgruppe Islamischer Staat, sondern auch über deren Kulturzerstörungen. Aber erst seit auch darüber hoch professionell Videos ins Internet gestellt werden, finden auch diese Berichte auf die Titelseiten. Und eine Protestnote folgt auf die nächste. Heute gibt es neue Berichte über die Zerstörung der Ruinenstadt Hatra. Gleichzeitig berichten Nachrichtenagenturen, dass die Verwüstungen in Mossul doch geringer sein könnten als befürchtet.
    - Helfen Sie uns, habe ich Professor Markus Hilgert, den Direktor des Vorderasiatischen Museums in Berlin mit besten Kontakten in die Region, gebeten. Helfen Sie uns: Was passiert da gerade und wie schlimm ist es?
    Markus Hilgert: Vielleicht beginnen wir mit der zweiten Frage. Ich glaube, dass es sehr, sehr schlimm ist, was dort passiert, denn unabhängig davon, ob jetzt vielleicht 200, 300 oder 500 Objekte zerstört worden sind, ist klar, dass hier unersetzbares Kulturgut zerstört wird und zerstört worden ist. Und das, was wir gerade sehen, auch die Unsicherheit, die wir erleben bei der Bewertung dieser Nachrichten, zeigt ja, dass wir es hier mit einer Region zu tun haben, aus der nur ganz schwer gesicherte Nachrichten kommen. Und das heißt ja auch, dass das kulturelle Erbe in diesen Regionen nicht so geschützt ist, wie wir es eigentlich schützen möchten.
    Koldehoff: Wir hören seit Langem schon von schrecklichen Dingen, die dort passieren. Ich meine nicht nur das Morden von vielen, vielen Menschen; ich meine auch die Raubgrabungen, ich meine das Zerstören von Grabungsfeldern. Was ist die neue Qualität dessen, was wir da jetzt ganz professionell im Internet bei Youtube und an anderen Plattformen sogar visuell vor Augen geführt bekommen? Welche neue Qualität hat das?
    Hilgert: Ich glaube, es ist genau das, was Sie beschreiben, was eine neue Qualität darstellt, dass wir zum ersten Mal vor den Augen der Welt gewissermaßen das mitverfolgen können, was dort passiert. Und dass das auch medial inszeniert wird. Denn es ist ja schon richtig, wie Sie sagen, dass Plünderungen von archäologischen Stätten, Plünderungen von Museen im Irak leider schon seit 20, 25 Jahren zu verzeichnen sind. Und auch in Syrien haben wir ja in den letzten drei bis vier Jahren immer wieder solche Plünderungen beobachten müssen - denken Sie an Apamea oder denken Sie an Dura Europos. Und all diese Geschehnisse sind ja nicht unbedingt das Werk von islamistischen Terroristen, sondern sind ja vielfach das Werk von Personen, die hoffen, Kulturgüter auch in den Markt zu bringen.
    Koldehoff: Nun wird aber ja nicht mehr "nur noch" gestohlen; es wird ja ganz bewusst zerstört. Da sind Vorschlaghammer zu sehen, da sind Presslufthammer zu sehen, da sind Bulldozer zu sehen. Das heißt, es geht da nicht mehr in erster Linie ums Geld, um den merkantilen Aspekt dieser Kulturgüter; es geht um die nackte Zerstörung.
    Hilgert: Propagandistisch benutzt
    Hilgert: Das ist in der Tat eine neue Qualität, weil das Ganze propagandistisch benutzt und ausgeschlachtet wird. Aber auch die Bulldozer sind nichts Neues. Wenn Sie sich beispielsweise Fotos von Ruinenstätten im Süden des Irak anschauen, dann sehen Sie, dass die auch mit schwerem Gerät durchwühlt worden sind, dass die aussehen wie Mondlandschaften. Und insofern glaube ich einfach nicht, dass es hier wirklich um eine andere Qualität geht, sondern zum ersten Mal wird die Weltöffentlichkeit auf etwas aufmerksam, was in all seiner Bedrohlichkeit und all seiner Schrecklichkeit sich tatsächlich schon seit Langem abspielt. Und gerade deswegen sind wir so sehr gefordert, im Moment zu handeln.
    Koldehoff: Ich traue mich fast gar nicht, die nächste Frage zu stellen. Sehen Sie irgendeine Möglichkeit, oder sieht man in Bagdad bei Ihren Gesprächspartnern dort irgendeine Chance, dem Einhalt zu gebieten?
    Hilgert: Nun, es ist ja schon so, dass das Ganze inzwischen auch noch eine größere politische Debatte darüber entfacht hat, ob militärische Aktionen eine Lösung sein könnten. Insofern gibt es natürlich Überlegungen in diese Richtung. Ich glaube, dass tatsächlich langfristig gesehen nur dann das Kulturerbe angemessen geschützt werden kann, wenn sich die politische Situation insgesamt im Nahen Osten beruhigt, befriedet, wenn es also möglich ist, die Auseinandersetzungen, die da herrschen und die ja auch schon seit Langem dort herrschen, in den Griff zu bekommen. Das heißt, es muss hier um politische, um Gesprächslösungen gehen, die dann sozusagen die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass man sich auch wieder stärker um das Kulturerbe kümmern kann. Und dann sind natürlich all diejenigen Länder und Institutionen gefordert, die über entsprechende Kompetenzen verfügen, also die UNESCO, ICOM, aber auch die Museen wie beispielsweise das Vorderasiatische Museum, die wissen, was man zu tun hat, wenn es um Kulturgüter im Vorderen Orient geht.
    Koldehoff: Und wann werden wir, Herr Professor Hilgert, begreifen, was uns da in diesen Tagen alles an kulturellen Werten verloren geht?
    Hilgert: Ich hoffe, dass wir das in diesen Tagen begreifen. Ich nutze im Moment tatsächlich auch die Chance der Medienaufmerksamkeit, auch wenn es ein trauriger Anlass ist, dafür zu werben, dass wir wachsam sind, dass wir wahrnehmen, was da passiert. Und vor allen Dingen was droht, wenn die Situation sich nicht bald ändert, denn auch Länder wie der Irak, Länder wie Syrien können dem, was sie da gerade durchmachen, nur für eine bestimmte Zeit widerstehen. Irgendwann ist dann tatsächlich auch der Punkt erreicht, wo so viel kulturelles Erbe verloren ist, dass es unwiederbringlich auch für die Menschheit und für die nächsten Generationen verloren ist.
    Koldehoff: Markus Hilgert war das, der Direktor des Vorderasiatischen Museums in Berlin.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.