Früh um zwei pochen sie an seine Tür. Zwei Staatsbeamte. Anstiftung zum Fürstenmord. Das werfen sie dem Hausherrn vor und deshalb nehmen sie ihn fest, in dieser Februarnacht 1805. Vier Monate wird Isaac von Sinclair in Haft verbringen. Unschuldig. Dann kommt er frei.
Der Hochverratsprozess gegen Sinclair ist einer der Gründe, warum der Regierungschef eines Duodezfürstentums, der Landgrafschaft Hessen-Homburg am Fuße des Taunus, in die Geschichte eingeht. Der andere ist Sinclairs Nähe zu einem der berühmtesten - und tragischsten - deutschen Dichter, dem später dem Wahn verfallenen Friedrich Hölderlin.
Freundschaft mit Hölderlin
Ihre Freundschaft beginnt 1794 während des Studiums in Jena. Man bewegt sich im Dunstkreis des deutschen Idealismus, philosophiert über das Ich und sein Verhältnis zur Welt, streitet mal mit, mal gegen Fichte, Hegel, Schelling. Für kurze Zeit leben Sinclair und Hölderlin unter einem Dach. Auch das trifft das Zeitempfinden: Schwärmerische Männerfreundschaften sind en vogue, nicht selten homoerotisch aufgeladen.
Viel verbindet Sinclair und Hölderlin. Beide stammen aus streng-pietistischem Elternhaus, zu dessen Erziehungsgrundsätzen der Zwang zur ständigen Gewissenserforschung und eine rigide Leibfeindlichkeit gehören. Beide verlieren früh schon den Vater. Und beide vermögen es lebenslang nicht, sich aus der Umklammerung durch eine besitzergreifende Mutter zu lösen.
Sinclairs Leben ist geprägt von Widersprüchen und Verwandlungen, darin ein Spiegel seiner an Umbrüchen reichen Epoche. Geboren 1775, begeistert er sich anfangs, wie so viele junge Männer seiner Studentengeneration, für die Ideale der Französischen Revolution. Er versteht sich als Weltbürger, sein Gott ist die Demokratie.
"Unsere Sache ist ja nicht Sache einer Zeit, nicht eines Volks, nicht einer Partei (...). Sie ist Sache der Menschheit, Gottes, auf ewige unveränderliche Naturgesetze gegründet. Er hat die Menschen zur Glückseligkeit erschaffen, zu dieser ist Vervollkommnung und zu dieser Freiheit, bürgerliche Freiheit nöthig."
1815 in Wien, als Diplomat auf dem Kongress, hat sich Sinclair vom Liberalen zum Konservativen gewandelt und träumt nicht mehr von gleichen Rechten für alle, sondern von einem Wiedererstarken des alten Adels.
Seine eigenen schriftstellerischen Arbeiten, Theaterstücke, Lyrik, ein mehr als 1000-seitiges philosophisches Werk, hat Sinclair grandios überschätzt. Die Bedeutung Hölderlins hat er richtig erkannt. Als Freund ließ er ihn fallen, mit Ausbruch der Krankheit. Als Dichter im Turm aber förderte er ihn, verschaffte ihm Aufträge, besorgte die Drucklegung, rühmte ihn.
Hochverratsprozess
Sinclairs Brotberuf war der des ersten Regierungsbeamten des hessen-homburgischen Landgrafen Friedrich V. Und warum der Hochverratsprozess? Es ging um Geld und Liebe. Hessen-Homburg war zwar reichsunmittelbar, aber es war angewiesen auf jährliche Zahlungen Hessen-Darmstadts, eine alte Regelung: Geld statt Land. Nur, dass dieses Geld selten floss und die homburgische Landeskasse fast immer leer war. Da trat ein gerade 20-jähriger Herr von Blankenstein an Sinclair heran, mit der Idee einer gewinnbringenden Staatslotterie. Sinclair war hingerissen, von der Idee und von dem charmanten Jüngling. Als Sinclair dem Betrüger auf die Schliche kam, drehte Blankenstein den Spieß um. Er bezichtigte Sinclair des Plans zu einem Fürstenmord.
Am Ende wurde Sinclair rehabilitiert. 1815 vertrat er seinen Landesherrn auf dem Wiener Kongress. Wie so viele andere kleine, 1806 mediatisierte Fürstentümer erhoffte sich Hessen-Homburg die Wiederherstellung seiner Souveränität. Was dem Ländchen - als einzigem - auch gelang. Da war Isaac von Sinclair aber bereits tot. Er starb am 29. April 1815, an einem Schlaganfall, nur 39-jährig, in einem Wiener Bordell. Auf seinem Schreibtisch fand man einen Zettel mit Lebensmaximen. Eine davon lautet:
"Bei allem was ich thue an meine Mutter denken, und ob ich ihr gefiele."