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Isabel Coixet über "Der Buchladen der Florence Green"
"Naiv sein wird total unterschätzt"

Isabel Coixet hat schon einige Filme über mutige Frauen wie Florence Green gedreht. Sie muss selbst ständig kämpfen, um ihre Filmprojekte zu realisieren. Die Frage, wie schwierig es ist, als Frau Filme zu drehen, nervt sie allerdings. „Da kann ich einfach nur noch gähnen", sagte Coixet im Dlf.

Isabel Coixet im Corsogespräch mit Sigrid Fischer |
    Regisseurin Isabel Coixet hält ihre Dankesrede, nachdem sie den Preis für die beste Regie für den Film La Liberia (Der Buchladen; the bookshop) bei den Goya Awards bekommen hat.
    Regisseurin Isabel Coixet hält ihre Dankesrede bei den Goyas 2018. (picture alliance / ap / Paul White)
    Die junge Witwe Florence Green unternimmt im englischen Fischerdorf Hardborough Ende der 50-er Jahre eine kleine Kulturrevolution. Sie eröffnet einen Buchladen und stellt auch progressive, polarisierende Werke ins Schaufenster - wie Nabokovs "Lolita" oder Bradburys "Fahrenheit 451". Sie legt sich weniger mit den Dorfbewohnern als mit der gesellschaftlichen Elite an, die selbst bestimmen möchte, die andere Vorstellungen von Hochkultur hat. Die katalanisch-spanische Regisseurin Isabel Coixet hat den Roman "Der Buchladen" von Penelope Fitzgerald aus dem Jahr 1978 verfilmt, denn mutige Frauen sind bei ihr oft die Hauptfiguren - zum Beispiel in "Mein Leben ohne mich", "Das geheime Leben der Worte", "Elegy" - und sie selbst nimmt auch kein Blatt vor den Mund.
    Ein Hauch Hoffnung
    Sigrid Fischer: Penelope Fitzgerald hat das Buch vor 40 Jahren geschrieben, 1978, wie kamen Sie jetzt darauf?
    Isabel Coixet: Ich hatte das Buch vor vielleicht 12 Jahren gelesen, ich wusste nichts über Penelope Fitzgerald, ich hatte bei Salinger mal gelesen, dass sie seine englische Lieblingsautorin sei. Ich mochte ihr Buch sehr. Ich habe ja schon viele Filme mit weiblichen Hauptfiguren gedreht, und dann werde ich immer gefragt, ob das autobiografisch sei. Bisher habe ich immer "nein" gesagt. Aber wenn ich jemals einen autobiografischen Film gedreht habe, dann ist es dieser. Weil ich mich immer schon wie Florence Green gefühlt habe, mein ganzes Leben lang. Da gibt es eine starke Verbindung. Mir wäre das gleiche passiert in ihrer Situation in jener Zeit. Ich wusste aber gleich, dass der Film anders enden wird. Ich wollte einen Hauch Hoffnung haben, all die Anstrengung kann doch nicht umsonst sein.
    Fischer: Historische Filme sagen immer auch was über die Jetzt-Zeit. Es geht um Mut. Was schätzen Sie an Frauen wie Florence Green?
    Coixet: Ich glaube, mir gefällt ihre Unschuld, sie sieht all die Gefahren, die da um sie herum lauern, gar nicht voraus. Außerdem mag ich, dass sie bescheiden ist. Wenn Leute sagen: "Sie sind aber mutig!", dann ist sie sich dessen gar nicht bewusst. Auch das verbindet mich mit ihr. Und diese Melancholie in ihr. Mir gefällt auch, wie sie da so alleine lebt und ihr das völlig egal ist.
    "Wir müssen doch naiv sein, um Filme zu drehen"
    Fischer: Man könnte sie auch ein bißchen naiv nennen?
    Coixet: Ja, aber ich finde, naiv sein wird total unterschätzt. Wir müssen doch naiv sein, zum Beispiel um Filme zu drehen. Wer 12 Jahre kämpft, um einen Film zu realisieren, der muss doch naiv sein. Wenn man von vornherein wüsste, was da auf einen zukommt, würde man es sein lassen. Aber in meinem Film geht es auch nicht nur um Mut, sondern darum, was Kultur ist. Mit einem Stapel Bücher Kindern Bücherlesen und -lieben beibringen? Das ist für mich wahre Kultur. Bücher haben mir das Leben gerettet. Und Leute, die keine Freude beim Lesen empfinden, tun mir leid. Ich weiß gar nicht, wie das sein kann. Für mich sind Bücher Fenster und Wege in andere Leben, und diese anderen Leben bereichern das eigene und helfen einem, sich selbst zu verstehen – wer man ist im Verhältnis zu anderen, zur Politik, zur Liebe, zum Hass, all sowas.
    Fischer: Sie drehen nicht oft in Spanien, diesmal zum Beispiel in England. Wie ist Ihr Verhältnis zu Spanien im Moment, auch im Hinblick auf den Katalonienkonflikt?
    Coixet: Ich habe mich sehr lautstark zu den Vorgängen in Katalonien geäußert, ich wurde dafür bestraft. Leute standen vor meinem Haus und haben mich "Faschistin" genannt, weil ich gesagt hatte, dass ich die Unabhängigkeit nicht für eine gute Idee halte. Und als Bürgerin sollte ich doch sagen, was ich denke. Damit kann ich vielleicht jemanden überzeugen oder auch nicht, aber es ist wichtig für mich, meine Meinung zu sagen. Und nicht eine stille Komplizin dessen zu sein, was passiert. Ich habe mich auch sehr lautstark gegen die spanische Regierung ausgesprochen. Aber Leute wie ich sind nicht erwünscht.
    Fischer: Aber offenbar haben doch viele Spanier diese differenzierte Haltung, oder?
    Coixet: Ja, aber sie halten den Mund. So ist es ja auch in meinem Film, die Leute schweigen. Aber man muss reden. Vor allem, wenn man gefragt wird. Und als Filmemacherin, die mit 8 Jahren ihre erste Kamera hatte, hab ich sowieso nie in Kategorien gedacht wie: Das ist MEIN Land, MEINE Sprache und so. Zu Hause sprechen wir spanisch mit meiner Mutter, katalanisch mit meinem Vater, französisch mit meinem Großvater. Ich habe auch versucht, japanisch zu lernen, als ich da gedreht habe, das hat nicht geklappt, aber: Für mich ist die Welt groß.
    In Schlafanzug und Pantoffeln zur Goya-Verleihung
    Fischer: Isabel Coixet, als meinungsstarke Regisseurin werden Sie vermutlich oft nach den #MeToo und Time’s-up-Debatten gefragt. Was sagen Sie dann?
    Coixet: Zur Goyaverleihung in Spanien habe ich in einem Artikel geschrieben: "Lasst uns aus Protest doch in Schlafanzug und Pantoffeln hingehen!" Weil: Entschuldigung, in einem schwarzen Kleid, das 10.000 Dollar gekostet hat dahin zu gehen, was ist das denn für ein Protest? Über sowas muss ich lachen. Wirklicher Protest ist, wenn die Frauen im Iran ihre Schleier abnehmen und sie in den Baum hängen und dafür ins Gefängnis gehen. Das ist mutig. Was wir hier machen - okay, die Proteste stoßen Diskussionen an, das ist gut - aber wir riskieren doch nichts. Und wenn ich nach den Schwierigkeiten gefragt werde, als Frau Filme zu drehen, dann sage ich: "Die nervigste Schwierigkeit ist es, darüber zu reden, eine Frau zu sein". Was das angeht, wäre ich gerne ein Mann, damit ich nicht mein ganzes Leben lang solche Fragen beantworten muss. Tut mir leid, aber ich drehe schon so lange Filme, da kann ich einfach nur noch gähnen. Ich brauch mal 'ne Pause.
    Ich weiß noch, mein erster Dreh, Werbung für Seife oder so. Dann kam der Big Boss der auftraggebenden Firma und schrie: "Wer ist hier der Regisseur?" Ich sagte ganz zaghaft: "Ich, ich bin das." Der Typ hat mich angeguckt, als wäre ich eine Fliege auf dem Fußboden. Er hat nicht ein Wort mit mir gesprochen. An dem Tag wusste ich: es wird schwer werden. Aber dann habe ich die Zähne zusammen gebissen und gesagt: "Ja, ich bin die Regisseurin! Fuck you!"
    Fischer: Wie ist es mit dem Seriendrehen bei Ihnen? Scheint ja jetzt gerade das große Ding zu sein.
    Lieber Pizza- statt Serienbinging
    Coixet: Ja, aber ich werde nicht schnell süchtig beim Seriengucken. Ich kann mal zwei Folgen am Stück sehen, aber ich mag dieses Bingewatching nicht. Wenn schon Übermaß, dann lieber Pizza-, Käse- oder Weinbinging.
    Fischer: Und selbst eine Serie drehen?
    Coixet: Ich habe eine in Vorbereitung, in eineinhalb Jahren werde ich sie vielleicht drehen, aber sie ist sehr serienuntypisch, sie ist... sehr einzigartig. Ich werde sie wohl drehen, und wenn nicht, ist es kein Weltuntergang. Mir wurde auch angeboten, ein paar Folgen einer US-Serie zu drehen, aber wenn alles schon bereit steht - das Drehbuch, die Darsteller, wer ist man dann noch als Regisseur? Das macht doch keinen Spaß. Wenn ich nicht selbst auch noch mitkreieren kann, mach ich das nicht. Meine Tochter meinte natürlich: "True Blood! Mach' das, dann kann ich mal die Vampire treffen!" Ich hab zwei Folgen geguckt und bin eingeschlafen. Und das, um nur "Cut" und "Action" zu sagen? Nicht mal das sagt man ja selbst, sondern der Assistent vom Assistenten des Assistenten. Das ist nichts für mich.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.