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Isländischer Spirit gegen eingeschliffene Wege

Island war pleite. Und die Schuldenkrise ist noch nicht überwunden. Künstler und Intellektuelle beschäftigen sich mit den Lehren daraus - und hoffen, dass eine Verfassungsänderung durchkommt.

Von Jessica Sturmberg |
    Man kann nicht sagen, dass das kulturelle Leben in Island seit dem Bankencrash vor fast drei Jahren gelitten hätte. Die Kunstszene ist unkonventionell, unabhängig, lebendig. Enthusiasmus und Kreativität machen den "isländischen Spirit” aus, beschreibt Schriftsteller Sigurjón Sigurdsson, bekannt unter dem Künstlernamen Sjón.

    "Man hat das Gefühl, ein Recht darauf zu haben, ein Buch zu schreiben, eine CD herauszugeben oder einen Film zu produzieren. Jeder kann jetzt das kulturelle Leben bereichern. Und es geht dabei nicht so sehr um Qualität, sondern darum, dass einfach Kultur entsteht.”"

    So weit, so wunderbar, könnte man meinen. Wäre da nicht dieses Unbehagen, das Islands Intellektuelle in diesen Tagen empfinden.

    ""Es fehlt in dieser Gesellschaft eine Debattenkultur. Wir haben nur wenig Erfahrung damit, soziale Themen zu diskutieren. Die Presse war nie eine unabhängige, investigative Presse.”"

    In einer kleinen Gesellschaft, in der die Bindungen so eng sind, in der man sich kennt, fällt es schwerer, anderen auf die Füße zu treten.
    Und die Wirkung der Proteste des Krisenherbstes ist verpufft, befürchtet Kristín Steinsdóttir, Vorsitzende des Schriftstellerverbandes:

    ""Ich weiß, man kann keinen verurteilen, ehe man voll und ganz weiß, dass derjenige verurteilt werden kann oder soll. Man muss Geduld haben, aber es ist irgendwie doch – das neue Island, wo ist das?"

    Die Zeit arbeitet gegen diejenigen, die die Selbsterneuerung vorantreiben wollen. Etwa die Mitglieder des Verfassungsrates, 25 Bürger des Landes, darunter ein Pastor, eine Regisseurin, ein Landwirt, eine Ärztin, ein Wirtschaftsprofessor. Sie haben einen Entwurf für eine neue Verfassung ausgearbeitet, in der Verantwortung und Transparenz festgeschrieben werden. In der erstmals auch der Erhalt der Natur verankert ist.
    Das Parlament entscheidet, ob diese Verfassung inkraft tritt oder in der Schublade verschwindet. Umso wichtiger sei es daher jetzt, dass die Öffentlichkeit sich mit den Grundwerten auseinandersetzt, betont Salvör Nordal, Philosophie-Professorin und Sprecherin des Verfassungsrates:

    "Meine Vorstellung ist, dass wir eine ernsthafte Diskussion im Geiste Hannah Arendts führen. Und den öffentlichen Raum als einen wichtigen Raum für Diskussion und Dialog verstehen über die Themen, die wir als Gesellschaft aufgreifen müssen.”"

    Doch während der Verfassungsrat sich monatelang Gedanken über einen Neuanfang gemacht hat, arbeiteten die Verursacher der Krise längst an einer Umdeutung der Geschichte, meint der Journalist Jóhann Hauksson:

    ""Zum Beispiel wird die einst bedeutendste Zeitung Morgunblaðið inzwischen von einflussreichen Unternehmern in der Fischindustrie betrieben. Und ausgerechnet Davíð Oddsson, der 13 Jahre lang Ministerpräsident war und dann während des Bankencrashs Chef der Zentralbank, ist der Chefredakteur! In dieser Funktion kann er die Geschichte umschreiben.
    Es macht mich betroffen, wie schnell alles in Vergessenheit gerät, was geschehen ist, wer dafür verantwortlich ist.”"

    Jóhann Hauksson arbeitet deshalb an einem Buch "Valdaþræðir” – "Fäden der Macht”. Es zeigt, dass im Hintergrund längst wieder die alten Verteilungskämpfe geführt werden. Die isländische Gesellschaft steht am Scheideweg:

    ""Natürlich gibt es Hoffnung. Zum Beispiel der Erfolg der Besten Partei bei der Kommunalwahl in Reykjavík letztes Jahr."

    Schriftsteller Sjón ist begeistert darüber, dass Bürger, vornehmlich Künstler ihr Schicksal selbst in die Hand genommen, eine neue Partei gegründet haben. Mit dem Comedian Jón Gnarr an der Spitze als Bürgermeister von Reykjavík. Auch Sjón macht bei der "Besten Partei" mit, als Mitglied im Rat für Menschenrechte:

    ""Es ist sehr interessant zu sehen, wie gewöhnliche Bürger ohne jedweden politischen Background den zweitgrößten Rechtsträger des Landes, die Stadt Reykjavik führen können. Und sie stellen fest, dass Politik keine Nuklearwissenschaft ist, sondern etwas, das von Leuten gemacht werden kann, die einfach Erfahrung aus dem Leben mitbringen.”"

    Vor allem aber ist es dieser isländische Spirit, der sie antreibt. Dass in der Gesellschaft jeder etwas erreichen kann, wenn er sich das vornimmt. Die Frage könnte am Ende sein, wer wen verändert, die Künstler die Politik oder die Politik die Künstler.