"Gehen wir weiter bitte? Alle einmal weitergehen."
Betül Ulusoy steht auf, blickt in die Runde und deutet mit schiebenden Handbewegungen an, was sie schon gesagt hat: die Teilnehmer sollen weiterrücken. 14 junge Leute – die meisten weiblich – sitzen sich an diesem Abend an einer langen Tafel in einem Restaurant in Berlin Mitte gegenüber. Es ist ein abgetrennter Raum und der Lärmpegel ist gewaltig. Betül Ulusoy ist Muslimin, ihre Freundin Karla Schönicke gläubige Christin. Gemeinsam haben sie "Meet a Muslim" organisiert Hinter dem Titel steckt eine schlichte Idee, erklärt Karla:
"Uns ist beiden aufgefallen, dass man, obwohl man in derselben Stadt lebt, irgendwie nichts teilt. Man redet nicht und kommt nicht so zusammen. Und das finde ich super schade, weil ich glaube, man kann ganz viel lernen und so eine bereichernde Welt haben. Man muss nur irgendwie in den Dialog kommen. Und genau deshalb haben wir gesagt, ja, Meet a Muslim, hier ist die Möglichkeit, hier kannst Du muslimischen Leuten Fragen stellen, du kannst sie auch Fragen zurück stellen lassen. Einfach, um eine Vermischung hinzukriegen, um mehr Verständnis zu haben."
Es ist das dritte Mal, dass Karla und Betül "Meet a Muslim" veranstalten. Bei einer Art Speed Dating sitzen Muslime und Nicht-Muslime einander gegenüber. Jedes Paar hat acht Minuten Zeit, um sich kennenzulernen, um die Fragen zu stellen, die man sich sonst nicht zu fragen traut. Danach wird weitergerückt, so lange, bis alle mit allen gesprochen haben. Das Ziel: verschiedene Perspektiven kennenlernen, neue Freunde finden und Vorurteile abbauen.
Fragen stellen, die man sonst nicht zu fragen traut
Auf die Idee gekommen sind Karla und Betül, weil beide von ähnlichen Initiativen in Australien und Norwegen gehört hatten. Vor allem das norwegische Beispiel zeigte, was möglich ist. Bei der "Tea Time-Kampagne" des norwegischen Zentrums gegen Rassismus luden Muslime ihre nicht-muslimischen Nachbarn auf einen Tee ein. Eine Studie zeigte anschließend, dass sich negative Stereotype gegenüber Muslimen um bis zu 40 Prozent reduziert haben.
Bei Meet a Muslim in Berlin funktioniert das wohl momentan noch nicht - die meisten Teilnehmer kennen schon Muslime und hegen keine Vorurteile. Aber auf Belehrungen kommt es Karla auch gar nicht so an:
"Wir werden jetzt hier keine Hardliner haben, die wir innerhalb von ein, zwei Stunden irgendwie umbiegen, das nicht. Aber man kann immer noch ein bisschen mehr Diversität in seinem Freundeskreis gebrauchen."
"Ich fühle mich als Christin in Berlin ein bisschen einsam"
Eine Muslimin, einen Muslim im Bekanntenkreis zu haben, das kann nur ein Drittel der Deutschen von sich behaupten. Die Nachrichtenagentur dpa veröffentlichte 2016 eine Umfrage dazu. Dabei gibt es in Deutschland mittlerweile verschiedene Möglichkeiten, den Islam kennenzulernen, beim Tag der offenen Moscheen etwa. Gerade Begegnungen sind wichtig, findet Deniz, der das Treffen mitorganisiert hat.
Er sagt: "Ich glaube, es ist leichter, einen Menschen kennenzulernen als eine Religion. Ich selbst beschäftige mich schon seit vielen Jahren mit dem Islam und auch mit anderen Religionen. Und bin aber der Auffassung, ich kann mich noch 30 weitere Jahre damit beschäftigen, ich werde nicht alles verstehen. Aber ich kann Menschen verstehen."
Die Teilnehmer jedenfalls haben sichtlich Spaß. Die Köpfe zueinander geneigt unterhalten sie sich angeregt, Kopftücher vermischen sich mit offenem Haar. Manche sind tatsächlich hier, um über Religion zu reden. Anke zum Beispiel:
"Ich wollte auch eigentlich noch mal mehr Musliminnen kennenlernen, um über den Glauben zu reden. Weil ich fühle mich als Christin oft ein wenig einsam. Ich komme aus Berlin und es gibt hier sehr wenig Christen. Und ich hatte immer das Gefühl, dass ich da mit Musliminnen mehr gemeinsam habe als mit Atheisten."
Die meisten Gespräche drehen sich aber um ganz andere Dinge als den Glauben, sondern ums Kennenlernen, um die Arbeit, das Studium, Hobbys und Interessen. Die Organisatorinnen Betül und Karla waren davon überrascht. Sie dachten vor dem ersten Treffen, dass es mehr um Kopftuch, Schweinefleisch und Alkohol gehen wird - dem Klischee entsprechend. Das Label "Meet a Muslim" haben sie sich ganz bewusst ausgesucht – obwohl ihnen deshalb oft vorgeworfen wird, Muslime selbst in eine Schublade zu stecken.
Betül Ulusoy: "Trotzdem haben wir uns dafür entschieden, dass wir das ganz klar so labeln, einfach als Anreiz. Weil der Mensch, der Otto-Normalverbraucher auf der Straße, der will eben den Muslim kennenlernen und hat im Kopf ja schon das Gefühl, dass die Muslime anders sind."
Bei Meet a Muslim zeigt sich aber vor allem eins: Die Muslime gibt es nicht. Jeder und jede hat hier eine eigene Sicht auf die Welt und auf den Glauben. Die Religion ist bei weitem nicht nicht die einzige Identität, auch wenn Muslime oft darauf reduziert werden.
Selli: "Genau deshalb sollte man auch sich kennenlernen. Weil nur so kann ich zeigen, okay, ich bin nicht nur Muslima, ich studiere Medizien, ich gehe in meiner Freizeit rudern, ich kümmere mich mehr oder weniger um meine Familie, ich bin Berlinerin und liebe Berlin."
Islam und Deutschland - ein kompliziertes Thema
Selli studiert Medizin und fällt auf an diesem Abend. Sie trägt ein blaues Kopftuch mit weißem Muster, die Augen sind schwarz umrandet und sie lacht viel. Und sie hat kein Problem mit Fotos oder damit, ihren Namen in den Medien zu wissen. Anderen ist mulmig bei dem Gedanken, öffentlich erkennbar zu sein. Vorsichtshalber haben die Organisatoren auch den genauen Ort des Treffens nicht öffentlich gemacht. Islam und Deutschland — das ist eben noch immer ein kompliziertes Thema.
Acht Minuten mit jedem Gesprächspartner sind am Ende viel zu kurz. Fast alle bleiben nach dem offiziellen Teil noch da und unterhalten sich zu zweit oder in kleinen Gruppen weiter, tauschen Handynummern, Email-Adressen oder Facebook-Namen aus. Alle zwei Monate soll Meet a Muslim nun stattfinden. Die Organisatoren sind mit dem Abend ziemlich zufrieden. Auf eines hoffen sie allerdings:
Deniz: "Ich würde mir aber auch wünschen, dass hier mehr kritische Leute kommen, die auch wirklich sich trauen mal, sich auf ne Debatte und ein Gespräch einzulassen."