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Islam
Reizwort Reform

Die Berliner Dar-As-Salam-Moschee hat Experten und Gäste zusammengebracht, um über Unterschiede zwischen liberalem und konservativem Islam zu diskutieren. Eingeladen war auch der Freiburger Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi. Das sorgte bereits im Vorfeld der Veranstaltung für viel Wirbel.

Von Kemal Hür |
    Der Islamwissenschafter Abdel-Hakim Ourghi (r) zusammen mit Imam Mohamed Taha-Sabri (l) bei seinem Thesenanschlag für eine Reform des Islam
    Der Islamwissenschafter Abdel-Hakim Ourghi (r.) zusammen mit Imam Mohamed Taha-Sabri (l.) bei seinem Thesenanschlag für eine Reform des Islam im Oktober 2017 (imago / Olaf Wagner)
    Nach der Koranrezitation in der Moschee nehmen zwei Frauen und zwei Männer sowie der Moderator auf einem Podium Platz. Das Thema der folgenden Diskussion ist schon bereits an der Kleidung der Diskutanten erkennbar. Eine der Frauen hat ihren Kopf und ihre Schultern mit einem Tuch verhüllt, die andere trägt die Haare offen. Der Freiburger Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi, der sich für einen europäischen Islam starkmacht, hat sich für einen weißen Kaftan und eine Kippa entschieden – letztere aus Solidarität mit den Juden, sagt er. Niemand in der Moschee lässt sich dadurch provozieren. Die Kontroverse steht schon im Titel der Diskussion: Liberaler versus konservativer Islam, ist das Thema. Der Gastgeber, Imam Mohamed Taha-Sabri, nimmt Ourghi in seinem Impulsvortrag etwas Wind aus den Segeln.
    "Die Frage, ob der Islam eine Erneuerung benötigt, kann ich gewiss mit Ja beantworten. Und dies bestätigt der Prophet Mohammed. In einem Hadith verkündete er, am Ende eines jeden Jahrhunderts schickt Allah - Gott einen, der eure Religion erneuert. Spätestens daran sollten wir erkennen, dass Erneuerung ein göttliches Gebot ist."
    Eingang der Neuköllner Begegnungsstätte (NBS) in Berlin.
    Die Podiumsdiskussion fand in der Neuköllner Begegnungsstätte (NBS) in Berlin statt (imago / Olaf Wagner)
    Dieses Gebot aus den Überlieferungen des Lebens von Mohammed zeige, dass der Islam Reformen zulasse. Aber die Muslime sollten sich nicht in Liberale oder Konservative spalten lassen, warnt der Imam. Ourghi verweist seinerseits darauf, dass die Reform des Islams im Koran an verschiedenen Stellen fundiert sei. Deswegen seien Muslime aufgerufen, an der Weiterentwicklung ihrer Religion weiterzuarbeiten und nicht alles schön zu reden. Die dominanten konservativen Islamverbände hätten kein Interesse daran, an dieser Entwicklung mitzuwirken. Sie würden vielmehr versuchen, die Muslime zu bevormunden, so Ourghi.
    "Selbstverständlich brauchen Muslime Gelehrte, die sie in ihre Religion einführen. Aber wir haben die Vernunft im Koran, "el eaql". Wir sehen über 40 Verse im Koran, die die Menschen dazu ermutigen, nachzudenken. Dieses Nachdenken und Reflektieren ist für mich eine Basis für eine Reform des Islam. Ich sage es noch einmal: Keiner lehnt den Islam plakativ ab. Es geht nur um einen Versuch, ihn gemäß der jetzigen Situation zu interpretieren. Dazu brauche ich keinen Vermittler."
    "Liberal" lässt sich gut verkaufen
    Die Begriffe "konservativ" und "liberal" seien einfach zu definieren, sagt Ourghi. Konservativ sei es, den Koran wörtlich zu verstehen, so wie er im siebten Jahrhundert entstanden sei und danach zu leben. Liberal hingegen bedeute, das Wort Gottes im historischen Entstehungskontext zu betrachten und auf die Gegenwart zu übertragen.
    Die anderen Diskussionsteilnehmer werfen Ourghi eine Pauschalisierung vor. Die Islamwissenschaftlerin Riem Spielhaus sagte, der Begriff "liberal" ließe sich in Deutschland aktuell gut verkaufen. Ali Ghandour, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Islamische Theologie Münster, gibt zu bedenken, dass es den einen Islam nicht gebe. Und bei der Frage des Reformierens sei unklar, wer die Legitimation dazu haben solle.
    "Wer ist der Träger von der Reformation? Wir wollen nicht, dass ein Staat von oben diktiert, was der Islam ist. Die zweite Option ist, dass die Gelehrten das machen. Aber Gelehrte können den Menschen nicht aufzwingen, irgendeine Meinung zu vertreten. In dem Moment, wo man von oben sagt: 'Das muss so und so verändert werden', entstehen Machtverhältnisse. Und das kann sehr schnell missbraucht werden. Bei Herrn Ourghi gibt es bestimmte Vorstellungen wie Humanismus, Moderne; und das sind sehr komplexe Begriffe. Auch die europäische Geschichte kennt nicht den Humanismus. Es gibt mehrere Humanismen."
    Die Politologin Pinar Cetin engagierte sich jahrelang in einer DITIB-Moschee in Berlin-Neukölln ehrenamtlich bei der Jugendarbeit. Kürzlich gründete sie die Deutsche Islamakademie. Cetin brach die theoretische Diskussion herunter auf die aktuellen Debatten um Kopftuch und die Frage, ob der Islam zu Deutschland gehöre. Einen "deutschen Islam", wie ihn sich die Politiker wünschten, werde es nie geben, so Cetin. Aber sehr wohl würden die Nachkommen der Muslime in der dritten und vierten Generation, die aus verschiedenen muslimischen Kulturen stammen, ein anderes Islamverständnis entwickeln.
    "Es wird ein Diskurs, es wird eine Entwicklung. Und irgendwann wird diese Entwicklung zu einer Tradition. Und damit werden in fünfzig Jahren vielleicht andere Jugendliche brechen und sagen, 'was die damals vor fünfzig Jahren diskutiert haben, ist sehr traditionell. Damit können wir gar nichts anfangen.' Es wird in eine neue Richtung gehen. Wir möchten irgendwann auch nicht mehr über das Thema Kopftuch und Essensvorschriften diskutieren. Nein, wir möchten auch über Wale und Umweltschutz, über ganz andere Themen diskutieren, die in unserer Gesellschaft wichtig sind."
    "Der Islam ist schon an sich perfekt"
    Vorerst warf die Podiumsdiskussion Fragen auf, die die etwa zweihundert Zuhörer zum Nachdenken und angeregt haben dürften.
    "Es ist ein sehr großes Spektrum an Begriffen und Interpretationen, aber nichtsdestotrotz denke ich, dass die Begriffe immer noch nicht ganz klar zu definieren sind, und das auch nie sein werden."
    "Warum sollte der Islam reformiert werden? Das ist für mich persönlich sogar ein Angriff. Das ist eine Respektlosigkeit gegenüber allen Muslimen, weil der Islam ist schon an sich perfekt."
    Die liberal-muslimische Publizistin Sineb El Masrar sieht die Veranstaltung als einen Auftakt für eine innerislamische Debatte: "Ich denke, das ist genau die Debatte, die langfristig im muslimischen Diskurs dringend notwendig ist. Meistens sind solche Veranstaltungen, die sich um den Dialog drehen, interreligiöse Veranstaltungen. Und wir hatten es jetzt damit mit einer Veranstaltung zu tun, die in erster Linie rein muslimisch ist."
    Und die außerdem gezeigt habe, dass Stimmen aus dem liberalen Spektrum mittlerweile auch in konservativen Kreisen ernstgenommen würden.