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Islam und Emanzipation - Teil 4
"Deutsche Politik ist mitverantwortlich dafür, dass sich am Geschlechterverhältnis nichts ändert"

Der islamische Theologe Erdal Toprakyaran plädiert für Gleichberechtigung und eine kritische Koranlektüre. Aber: Wenn Deutschland mit Saudi-Arabien beste Geschäfte mache, unterstütze es indirekt auch die Unterdrückung der Frauen und mache liberalen Muslimen den Kampf um Emanzipation schwer.

Erdal Toprakyaran im Gespräch mit Christiane Florin |
    Erdal Toprakyaran
    Erdal Toprakyaran lehrt Islamische Geschichte und Gegenwartskultur an der Universität Tübingen. (Erdal Toprakyaran)
    Christiane Florin: Sie sind als Kind türkischer Gastarbeiter in Deutschland aufgewachsen. Welches Rollenbild haben Ihnen Ihre Eltern vermittelt?
    Toprakyaran: Ein relativ traditionelles. Der Papa ist natürlich der Chef im Haus. Aber ich habe das bei meinen deutschen Freunden, auch bei meinen griechischen und italienischen Freunden, in Ludwigshafen, wo ich groß geworden bin, genauso erlebt. Auch bei meinen deutschen Freunden war immer der Papa der Chef.
    Florin: Und die Mutter?
    Toprakyaran: Sie ist eben Hausfrau. Der Mann arbeitet und hat dann natürlich schon den Anspruch: "Ich verdiene das Geld, dann wird gemacht, was ich sage." Aber nicht in dem Sinne, dass er gewalttätig werden oder laut werden durfte. Das nicht, aber dass gewisse Entscheidungen dann eher durch ihn getroffen wurden. Es ging in diesem Sinne sehr traditionell zu. Wobei das auch ein gutes Beispiel dafür ist, wie man es selbst nicht machen möchte, eher auf Gleichberechtigung und Partnerschaft zu achten als dieses eher traditionelle Rollenbild zu übernehmen.
    Florin: In Sure 4, Vers 34 heißt es: "Und wenn ihr fürchtet, dass Frauen sich auflehnen, dann ermahnt sie, meidet sie und schlagt sie!" Wie gehen Sie mit solchen Koranstellen um?
    Toprakyaran: Wie bei vielen Koranstellen muss man sagen: Das sind Texte aus dem 7. Jahrhundert, und die muss man dort auch stehen lassen. Das war anscheinend damals und – das ist kein Geheimnis- das war die längste Zeit eine patriarchalische Gesellschaft. Man muss historisch kontextualisierend, hermeneutisch, kritisch mit solchen Koranpassagen umgehen. Sie sagen viel über die damalige Zeit aus, aber man darf das nicht eins zu eins in die heutige Zeit übertragen. Es braucht auf jeden Fall sehr viel Fingerspitzengefühl, wenn man mit alten Texten umgeht.
    Weniger Pluralität durch Patriachat
    Florin: Sind alle Religionen patriarchalisch oder hat der Islam ein besonderes Problem?
    Toprakyaran: Ich würde sagen, dass die Menschheit an sich größtenteils sehr patriarchalisch war. Ich kenne keine vergleichende Studie, ob arabische, persische, türkische Männer besonders patriarchalisch sind, aber sie waren sehr patriarchalisch. Das ändert sich hier und da ein wenig, aber bei weitem noch nicht so, wie Muslime wie ich sich das wünschen würden.
    Florin: Sie sagen, es ändert sich. Andererseits gibt es eine wichtiger werdende Bewegung, die eine solche Koranstelle, wie ich sie vorhin zitiert habe, beim Wort nimmt und sagt: "Das Verhältnis der Geschlechter ist so, der Prophet hat das so gewollt." Also die salafistische Lesart. Warum sind diese Korandeuter so erfolgreich?
    Toprakyaran: Das macht es natürlich einfacher für manche jungen, aber auch älteren Menschen, die auf der Suche sind nach klaren Strukturen, nach klarer Rollenverteilung. Sie sagen: "Die (Salafisten) sagen wenigstens ihre Meinung." Wohingegen sich die Akademiker sehr differenziert ausdrücken und sagen: "Es kommt darauf an, auf die Zeit, auf die Region, der Satz ist mehrdeutig." Sie (die Salafisten) sind sehr erfolgreich, weil sie einfache Lösungen und Antworten anbieten. Es sind aber leider nicht nur die Salafisten. Wenn wir die neusten Nachrichten aus Pakistan, Indonesien und Malaysia zum Beispiel hören, sehen wir, dass es Trends gibt, die wieder zurück zu einer Art Patriarchat, zurück zu mehr Strenge, zurück zu weniger Pluralität wollen und sehr laut werden. Das gibt uns natürlich auch zu denken, zumal manche Staaten wie Saudi-Arabien und andere Golfstaaten sehr viel Geld haben und sehr viel Propaganda machen. Und die, die jetzt für ein progressiveres, pluralistisches, offeneres islamisches Weltbild eintreten, dass die sich doch schwertun, weil sie zum Teil keine Unterstützer haben und keine Förderung genießen, weil keiner der islamischen Staaten einen progressiveren Kurs finanziell unterstützen würde.
    "Religion darf nicht instrumentalisiert werden"
    Florin: Welche Unterstützung haben Sie in Deutschland?
    Toprakyaran: Was jetzt an den Zentren für Islamische Theologie passiert, ist schon mal ganz gut. Da gibt es immer mehr junge Leute, Doktoranden, Post-Doktoranden, die sich in die Debatte einschalten, mitdiskutieren. Unglücklich ist natürlich, wenn Deutschland nach wie vor mit Saudi-Arabien beste Beziehungen pflegt und sich nicht so recht eindeutig zu dem Weltbild, das von dort propagiert wird, äußern möchte.
    Florin: Das heißt, die deutsche Politik sorgt mit dafür, dass sich am Geschlechterverhältnis in islamischen Staaten nichts ändert.
    Toprakyaran: Leider ja. Das wird natürlich dann auch so erklärt, dass man sagt: "Wir wollen uns in religiöse Fragen nicht einmischen, das sind Traditionen." Es ist sicherlich nachvollziehbar, aber andererseits finde ich, gerade das Thema Religion, das so leicht missbraucht werden kann, muss hohe Priorität in der Politik besitzen, dass man schaut und alles versucht, damit Religion nicht instrumentalisiert und missbraucht werden kann. Und da passiert mir doch zu wenig.
    Florin: Wenn Sie andere männliche Theologen treffen, reden Sie dann auch über das Frauenbild im Islam? Oder ist das eher ein Thema für Theologinnen und Islamwissenschaftlerinnen?
    Toprakyaran: Unter männlichen Kollegen reden wir auch viel über dieses Thema, wobei ich denke, dass es wichtiger ist, dass die Initiative von den Frauen kommt und sie kommt ja auch. Denn ansonsten sieht es immer so aus, als ob die Emanzipation der Frau dann doch wieder von den muslimischen Männern vorangetrieben wird. Ich glaube, es ist sehr viel effektiver, wenn wir unsere Kolleginnen unterstützen, und sie dann doch aktiver werden und im Vordergrund stehen. Und auch, dass wir unseren Studentinnen Mut machen und sie ermuntern noch lauter und noch entschiedener aufzutreten.
    Erdal Toprakyaran lehrt Islamische Geschichte und Gegenwartskultur an der Universität Tübingen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu Eigen.