Monika Dittrich: "Islam und Emanzipation" heißt unsere Serie bei "Tag für Tag", die wir in loser Folge fortsetzen. Heute spreche ich über dieses Thema mit Birte Vogel. Sie ist Journalistin und aktiv in der Flüchtlingshilfe. Vor zwei Jahren gründete sie ein Informationsportal im Netz, das heißt "wie-kann-ich-helfen.info", dort stellt sie Initiativen der Flüchtlingshilfe in Deutschland vor, für Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren wollen.
Nun hat Birte Vogel ein Informationsblatt formuliert, speziell für Frauen, die nach Deutschland geflüchtet sind. Es ist in vielen Sprachen im Netz erhältlich, auch in Arabisch. Der Flyer heißt "Geh Deinen Weg" und informiert über Frauenrechte in Deutschland. Birte Vogel zitiert aus dem Grundgesetz und stellt klar: Eine Frau hat in Deutschland dieselben Rechte wie ein Mann. Sie darf nicht zur Ehe gezwungen werden und auch nicht zum Geschlechtsverkehr, sie muss sich nicht verhüllen, wenn sie das nicht will und die Jungfräulichkeit geht ohnehin nur die Frau selbst etwas an.
Nun hat Birte Vogel ein Informationsblatt formuliert, speziell für Frauen, die nach Deutschland geflüchtet sind. Es ist in vielen Sprachen im Netz erhältlich, auch in Arabisch. Der Flyer heißt "Geh Deinen Weg" und informiert über Frauenrechte in Deutschland. Birte Vogel zitiert aus dem Grundgesetz und stellt klar: Eine Frau hat in Deutschland dieselben Rechte wie ein Mann. Sie darf nicht zur Ehe gezwungen werden und auch nicht zum Geschlechtsverkehr, sie muss sich nicht verhüllen, wenn sie das nicht will und die Jungfräulichkeit geht ohnehin nur die Frau selbst etwas an.
"Man muss ihnen erst einmal von ihren Rechten erzählen"
Frau Vogel, warum ist es wichtig, dass geflüchtete Frauen diese Informationen schwarz auf weiß bekommen? Aus deutscher Perspektive sind das eigentlich Selbstverständlichkeiten.
Birte Vogel: Selbstverständlichkeiten sind es theoretisch. Aber ich habe jetzt erfahren, dass selbst viele einheimische Frauen sich damit gar nicht so richtig auskennen und dass so eine Information auch für sie wichtig wäre. Aber die geflüchteten Frauen kommen aus Kulturen, aus Gesellschaftsstrukturen, aus Traditionen mit anderer Religion, mit anderen Regeln, in denen häufig die Frau eine nachrangige Stellung hat, in der sie wenig bis gar keine Rechte hat. Nun kommen sie hier in ein völlig fremdes Land, in dem nicht nur die Sprache ganz fremd ist, sondern eben auch die Gesellschaftsstruktur, das Umgehen miteinander. Die gesamten Regeln sind hier meistens sehr, sehr anders. In den Integrationskursen bekommen die Frauen zwar nebenbei erklärt, worum es geht bei der Gleichberechtigung, aber ich finde das zu wenig. Ich finde, wir sollten auf gar keinen Fall die Fehler wiederholen, die mit den Frauen der Gastarbeiter gemacht wurden – nämlich sie völlig zu übersehen und ihnen überhaupt keine Chancen zu bieten, genauso ein selbstbestimmtes Leben führen zu können wie die Männer. Meines Erachtens geschieht das momentan.
Die Frauen kommen überhaupt nicht vor. Medial kommen sie nicht vor. Die Vorwürfe der Vergewaltigungen in den Massenunterkünften, die sind sehr schnell wieder aus den Medien verschwunden. Darüber redet kein Mensch mehr. Die Politik hat dann kurzer Hand beschlossen, dass sie auch keine gesonderten Sicherheitsmaßnahmen für die Frauen in Massenunterkünften zur Verfügung stellen müssen oder zur Pflicht machen müssen, so dass die Frauen weiterhin benachteiligt werden. Es gibt ganz, ganz wenig, das diesen Frauen hilft, sich persönlich und beruflich irgendwann auf eigene Beine stellen zu können. Ich finde, dass sie dafür zu allererst wissen müssen, welche Rechte sie hier überhaupt in Deutschland haben, beziehungsweise welche Rechte sie als Frau haben – nämlich genau dieselben wie die Männer. Und das muss man ihnen erst einmal erzählen.
"Muslimin ist nicht gleich Muslimin"
Dittrich: Es kommen vor allem Flüchtlinge aus muslimischen Ländern nach Deutschland. Welche Rolle spielt die Religion für die Rechte von Frauen?
Vogel: Das ist sehr unterschiedlich, denn Muslimin ist nicht gleich Muslimin. Das kommt sehr darauf an, in welchem Land sie gelebt hat, in welcher Bildungsschicht oder Gesellschaftsschicht sie gelebt hat. Es gibt ja sehr viele gebildete Musliminnen, die auch zu uns kommen, die teilweise auch gar nicht verstehen, wieso so ein Flyer nötig ist. Auf der anderen Seite gibt es aber eben auch Frauen, zum Beispiel aus afghanischen Dörfern, die nie zur Schule gegangen sind oder vielleicht ein, zwei Jahre und dann nicht mehr. Insofern kann ich das gar nicht so genau sagen, was die Religion für eine Rolle spielt. Ich sehe es eher grundsätzlich auf Frauen bezogen und weniger auf die Religion an sich. Denn auch aus anderen Ländern – aus christlich geprägten Ländern – kommen Menschen zu uns und haben keine Ahnung von Gleichberechtigung.
Dittrich: Welche Rückmeldungen bekommen Sie denn zu Ihrem Flyer?
Vogel: Überwiegend richtig gute Rückmeldungen. Die meisten Leuten haben mir geschrieben oder mich angerufen und gesagt: Toll, dass es so einen Flyer endlich gibt, wir haben nirgendwo solche Informationen finden können. Häufig sind diese Informationen ja eher auch Gewalt- und Gewaltpräventionsthemen ausgerichtet, was natürlich wahnsinnig wichtig ist. Aber das alleine unterstützt ja keinen Weg zu selbstbestimmten Leben, wie er einer gleichberechtigten Frau in Deutschland zusteht. Deshalb war das Feedback fast immer positiv.
Dittrich: Unsere Serie, in der wir heute miteinander sprechen, heißt "Islam und Emanzipation". Passt das aus Ihrer Erfahrung zusammen?
Vogel: Natürlich. Das ist wie bei jeder Religion. Jede Religion muss ja sich auch der Zeit anpassen. Es gibt natürlich immer wieder Gruppierungen, über die wir ja auch viel in den Medien hören, die ein sehr rückständiges und sehr wortgetreues Bild der Religion haben und leben wollen. Was ja immer bedeutet, dass die Frauen unterdrückt werden. Im Grunde ist aber jede Religion anpassungsfähig und modernisierungsfähig. Im Islam gibt es genauso moderne und an die Moderne angepasste Frauen und Männer wie in jeder anderen Religion auch.
"In der Debatte geht es immer nur um die Männer"
Dittrich: Sie wenden sich mit diesem Flyer ausdrücklich an die Frauen. Müssten ihn nicht aber auch die Männer lesen – oder vielleicht insbesondere die Imame?
Vogel: Mir geht es darum, die Frauen zu stärken. Es geht ja in der gesamten Debatte und in allen, geht es immer um die Männer. Es geht immer darum, was können die Männer tun, wo sollten sie was nicht tun, wo dürfen sie was nicht tun. Es geht immer nur um die Männer und es geht nie um die Frauen. Und ich möchte ganz gezielt die Frauen unterstützen, informieren und dadurch stärken. Das steht natürlich jedem Imam und jedem männlichen Muslim frei, diesen Flyer zu lesen. Aber mir ist es wichtig, dass die Frauen ihn zu lesen bekommen.
Dittrich: Und darin steht zum Beispiel folgender Satz: "In Deutschland steht das Grundgesetz über den Religionen. Jede Frau hat deshalb das Recht, sich frei gegen einzelne oder alle Vorschriften ihrer Religion zu entscheiden." Haben Sie die Erfahrung gemacht, dass das bei den Flüchtlingen nicht bekannt ist?
Vogel: Teilweise ja. Teilweise kennen sie es nur, weil sie ihr Leben lang in einer Gesellschaftsstruktur – beispielsweise in ihrem Dorf oder in einem bestimmten Land – gelebt haben, wo sie kaum oder gar keine Rechte hatten, wo es ganz selbstverständlich war, dass die Mädchen nach der Volksschule spätestens aufhörten, während die Jungen bis zum Abitur und bis zur Universität weitermachen konnten. Und das aus religiösen Gründen oder vielleicht vorgeschoben religiösen Gründen. Solche Frauen gibt es. Und es gibt vielleicht auch Frauen, die hierher kommen und die der Ansicht sind, dass das normal ist und die vielleicht dann auch, wenn sie nicht anders informiert werden, glauben, dass es hier auch normal ist, dass sie kein Recht auf Bildung haben, kein Recht auf einen eigenen Beruf, auf eigenes Gehalt, auf eigene Geldverwaltung und so weiter. Das aber alles bedeutet, dass sie eventuell eben auch gegen einzelne religiöse Vorschriften, die sie vorher in ihrer Gesellschaft kannten, verstoßen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.