Gerald Beyrodt: Die Produktentwicklerin und Kinderbuchautorin Nadia Doukali hat vor einigen Jahren eine Art Adventskalender für den Ramadan auf den Markt gebracht: einen "Iftarlender", so die Wortschöpfung. Er enthält 30 Datteln mit Schokoladenüberzug. Als Kinderbuchautorin hat sie zum Beispiel über "Muhammed, Prophet des Friedens" geschrieben. Sie entwirft und verkauft T-Shirts, auf denen "Nafri" steht – die Abkürzung für nordafrikanischer Intensivtäter. Frau Doukali, sie bringen neben Iftarlendern auch halale und koschere Schokolade auf den Markt. Wie viel Gemeinsamkeit steckt im Essen?
Nadia Doukali: Ganz viel. Essen ist das Essentiellste überhaupt, was uns alle auf dieser Welt verbindet. Essen und Trinken. Atmen kommt noch dazu. Ich wünschte, Denken wäre auch dabei, aber das kann man nicht zu sich nehmen. Das ist sehr viel, was wir gemeinsam haben.
Beyrodt: Es gibt lange Tagungen zum "interreligiösen Dialog", gerne in evangelischen oder katholischen Akademien. Meistens ist das sehr ernst und sehr theoretisch. Aber geht es Ihnen mit diesem Iftarlender und der Halal-Schokolade um etwas Ähnliches, um Dialog?
Doukali: Ja, unbedingt. Sonst würde ich das nicht machen. Ich bin Produktentwicklerin, habe immer neue Ideen. Aber eigentlich zieht sich das durch, dass ich einfach ein Verständnis, ein Miteinander aufbauen möchte. Die Schokolade war ein ganz großes Herzensanliegen von mir, das ich schon immer machen wollte. Das hat ein bisschen gedauert, weil die Richtlinien für halal und koscher nicht so einfach sind. Ich wollte aber auch noch ein bisschen weiter gehen. Insofern ist das absolut wichtig gewesen, dass ich Menschen, die zwei Religionen angehören, zusammenbringe und das auch nach außen trage und sage: Wir können viel reden, wir können viel bomben, wir können viel gemeinsam machen, aber wir können auch einfach gemeinsam Schokolade essen.
"Ich meine es vollkommen ernst"
Beyrodt: Es ist auch kein Zufall, dass es gerade Schokolade ist und nicht irgendetwas Vernünftiges, Vollkornbrot zum Beispiel. Es ist etwas, was alle gern essen und auch ein schlechtes Gewissen dabei haben.
Doukali: Echt? Haben Sie ein schlechtes Gewissen dabei? Ich nie. Schokolade ist etwas Großartiges. Ich kenne niemanden, der nicht gern Schokolade ist, in welcher Form auch immer. Dem Herrn sei Dank, dass wir die Kakao-Bohne entdeckt haben.
Beyrodt: Wir hatten es vorhin mit den Tagungen und den langen Reden und dem Ernsten und dem Theoretischen. Sie spielen mit Adventskalendern und Begriffen wie "Nafri". Kann man mit dem Spielerischen mehr erreichen als mit langen Reden?
Doukali: Ich weiß nicht, ob es spielerisch ist. Ich meine es vollkommen ernst. Ich habe mir viele Gedanken gemacht. Ich wollte mit dem Ramadan-Kalender zum Beispiel ein Zeichen setzen und sagen: "Ey, Leute, wir leben hier schon seit Jahren zusammen und das ist eines der größten Feste, das wir haben, vergleichbar mit Weihnachten. Warum gibt es da nichts im Handel?" Ich wollte auch die Spiritualität reinbringen und erklären, warum uns Muslimen der Ramadan so wichtig ist. Das hat super funktioniert. Mit der Iftarlade ist das ähnlich. Ich wollte einfach aufzeigen, dass halal und koscher nicht unbedingt schächten ist. Viele denken: "Oh, Gott, da werden Tiere gequält." Ganz im Gegenteil: Für meine Schokolade wird kein einziges Tier gequält. Gerade deshalb ist das auch halal.
Traditionsvergessene Christen
Beyrodt: Wie christlich ist die Idee des Adventskalenders denn noch?
Doukali: Leider nicht mehr so sehr. Ich finde es traurig, weil die christliche Tradition eine ganze besondere ist. Wenn man ein bisschen googelt, weiß man, dass ich in einem katholischen Kindergarten groß geworden bin, auch im Kirchenchor gesungen habe und meine Eltern überhaupt keine Berührungsängste hatten, mich dorthin zu schicken. Ich kenne viele Muslime, die auch im katholischen oder evangelischen Kindergarten ihre Kinder unterbringen und dort total glücklich sind. Ich komme aus einer Zeit, in der man das zelebriert hat: den Adventkalender selbst basteln, die Tage zählen bis zum Heiligen Abend und wissen, was der Heilige Abend eigentlich ist. Und fragen: Kommt jetzt das Christkind, der Weihnachtsmann, die Coca-Cola-Box? Das wünschte ich mir wirklich zurück, nicht nur für die christlichen Gemeinden, auch für uns Andersgläubige ist das total interessant und eine Tradition, die man aufrechterhalten sollte, weil es eine sehr schöne Tradition ist.
Beyrodt: Das hört sich für mich gar nicht so sehr nach Pop-Kultur an, sondern fast ein bisschen konservativ.
Doukali: Ich weiß gar nicht, warum die Leute so eine Angst vor dem Wort konservativ haben. Ich bin, auch wenn ich nicht so aussehe, schon konservativ. Konservativ zu sein hat etwas Lebendiges. Die Muslime sind manchmal christlicher als mancher Christ.
"Es ist gerechtfertigt, dass es diese Barbie gibt"
Beyrodt: Vor einigen Tagen hat die Firma Mattel eine Barbie mit Hidschab auf den Markt gebracht. Ist das eine Idee, die Sie auch gern gehabt hätten, oder finden Sie das schrecklich?
Doukali: Es gab schon immer eine Barbie mit Hidschab, nicht von der Firma Mattel, sondern Musliminnen haben sie kreiert. Als Produktentwicklerin weiß ich, warum Mattel das macht. Die sind ja nicht doof. Sie produzieren Spielzeug. Und man produziert Spielzeug, das für Kinder interessant ist. Somit ist das ein Zeichen: Es gibt Kinder, die mit so einer Puppe spielen wollen und sie ihr eigen wissen wollen. Somit ist das gerechtfertigt, dass es diese Barbie gibt. Ich finde es gerade als Zeichen des Feminismus super, dass ein junges Mädchen selbst entscheiden kann, mit was sie spielt und was nicht.
Beyrodt: Die Kopftuch-Barbie ist der amerikanischen Säbelfechterin Ibtihaj Muhammad nachempfunden. Sie gehört zur Kollektion "Sheroes", also weibliche Heldinnen. Kopftuch und weibliches Selbstbewusstsein - ist das für Musliminnen Alltag?
Doukali: Absolut. Ich bin ein ganz großer Fan aller Sportlerinnen jeglicher Facon und ganz besonders von Sportlerinnen, die Musliminnen sind und die mit Hidschab Sport machen. Das ist ein absolutes Vorbild für junge Mädchen, Sport zu machen, aus dem Haus zu gehen und sich zu messen. Das ist ein Empowerment, das seinesgleichen sucht. Säbelfechterinnen, auch Boxerinnen und Frauenfußballmannschaften finde ich beeindruckend. Wenn ich sehe, dass eine Fußballmannschaft voller Frauen mit Kopftuch auf die Wiese geht und lostritt, dann ist das für mich das beste Zeichen, um gegen ein Patriarchat anzugehen.
Beyrodt: Schokolade, Weltfrieden und Iftar-T-Shirts: Die Autorin Nadia Doukali im Gespräch mit dem Deutschlandfunk.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.