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Islam
Wie hältst du's mit Gender?

Auf einer Tagung in Stuttgart diskutierten junge Muslime über die Gleichberechtigung von Frauen und eine feministische Lesart des Koran. Noch weichen Wunsch und Wirklichkeit voneinander ab - doch es gibt auch zahlreiche Beispiele für gelebte Gleichberechtigung im muslimischen Alltag.

Von Thomas Wagner |
    Frau mit Kopftuch. (Copyright: imago stock & people)
    Junge muslimische Frauen sollen dabei helfen, islamische Gleichberechtigung umzusetzen (imago stock&people)
    Dieses Frauenbild sorgt für Entsetzen: Koran, Sure vier, Vers 34. Dazu sagt Verena Maske, Religionswissenschaftlerin aus Marburg:
    "Es steht drin, dass eine Frau eine Gehorsamspflicht gegenüber ihrem Mann hat. Und wenn sie dem nicht nachkommt, ist sozusagen erlaubt, dass sie geschlagen werden kann."
    Dieses Frauenbild sorgt für Begeisterung: Erinnerungen einer jungen Muslimin an ihre Anfänge beim Verband "Muslimische Jugend Deutschland", kurz MJD. Ischum Karakui studiert Bildungswissenschaft und Soziologie.
    "Das war mein erstes MJD-Meeting, an dem ich mit 13 Jahren teilgenommen habe. Da hat eine junge Frau einen Vortrag gehalten. Dass eine Frau da vorne steht, vor so einer Menschenmasse, selbstbewusst, einfach in ihrer Profession darüber referiert, hat mich sehr beeindruckt. Sie hat auch Kopftuch getragen. Und das war sehr beeindruckend für mich, mit meinen 13 Jahren damals."
    Viele junge Frauen in Spitzenpositionen
    Größer können die Gegensätze kaum sein: Hier die Fundstelle im Koran, die unter bestimmten Umständen das Verprügeln von Frauen legitimiert, dort eine junge Karriere-Muslima, die selbstbewusst Vorträge hält. Viele junge Frauen nehmen zudem in den islamischen Jugendverbänden Spitzenpositionen ein.
    Das alles wurde auf der Tagung "Genderfragen unter jungen Muslimen" in Stuttgart diskutiert – ein Thema, das darauf abhebt, dass Muslimen in in den Medien ein eher traditionelles, konservatives Frauenbild zugeschrieben wird, dass es aber andererseits zahlreiche Beispiele für gelebte Gleichberechtigung im muslimischen Alltag gibt. Und dieser Gleichberechtigung stehe selbst die umstrittene "Prügelsure" im Koran nicht im Wege, betont Religionswissenschaftlerin Verena Maske. Denn neben der so genannten "literalistischen Auslegung", die in einem eher weniger zeitgemäßen Koran-Verständnis isoliert auf den Wortlaut blickt, gebe es in der islamischen Theologie ganz andere Interpretationsmöglichkeiten.
    "Dann gibt es auch feministische Auslegungen, die sagen, dass das so überhaupt nicht mehr interpretiert werden kann und dass das insofern sowieso eine obsolete Diskussion ist."
    Verena Maske bezieht sich dabei auf das Buch "Gender-Dschihad" der islamischen Autorin Amina Wadud, "Wo sie eben sagt: Frauen verdienen heute genauso ihr Geld, sind heute genauso Familienvorstand, wie die Männer auch. Und diese Sure ist sozusagen kontextbezogen einfach nicht mehr von großer Bedeutung. Und es gibt im Koran so viele Stellen, die von partnerschaftlicher Beratung sprechen, dass wir das zurückstellen müssen und dass das heutzutage für den heutigen Kontext keine Rolle mehr spielt."
    Dem stimmt auch Naeem Ahmed Sheikh aus Stuttgart zu, der derzeit islamische Theologie studiert. Die umstrittene "Prügelsure" als gewichtigen Beleg für eine angeblich frauenfeindliche Haltung des Koran heranzuziehen, sei nicht legitim, meint er. Begründung: Auf Arabisch, der Originalsprache des Koran, sei der Text längst nicht mehr so eindeutig, wie in der deutschen Übersetzung:
    "Wenn man das arabische Wort anschaut, so gibt es viel mehr Übersetzungsmöglichkeiten, die man auch wählen kann: Zum Beispiel, dass man sich scheidet - man geht auseinander. Das ist eine mögliche Übersetzung."
    Eine durchgehend frauenfeindliche Handlung kann der angehende Islamwissenschaftler im Koran ganz grundsätzlich nicht erkennen. "Es gibt auch Stellen im Koran, wo explizit Männer und Frauen genannt werden. Und das finde ich schon sehr fortschrittlich."
    "Ein sehr positiver Wandel"
    Dass sich die jungen Muslime auf ihrer Tagung in Stuttgart mit solchen Fragen sehr intensiv beschäftigten, hat einen Grund: 80 Prozent der Deutschen, so eine in Stuttgart vorgelegte Umfrage, glaubt, dass der Islam meilenweit von gelebter Gleichberechtigung zwischen Frau und Mann entfernt sei - eine Wahrnehmung, die allerdings nicht von ungefähr kommt. Beispiel: Gastarbeiter aus der Türkei, fast alle Muslime, die ab den 60er-Jahren nach Deutschland kamen - und über viele Jahre hinweg ein sehr klassisches Frauenbild pflegten: Der Mann arbeitet, die Frau bleibt zuhause, kümmert sich um Kinder und Küche und muss sich vielleicht gar nicht so sehr in die deutsche Gesellschaft integrieren. Doch das ist Vergangenheit, glaubt Derya Sahan, ehemalige Bundesvorsitzende des Frauenverbandes im türkischen Islamverband DITIB:
    "Wir haben momentan einen Generationenwechsel. Die nach Deutschland eingewanderten türkischen Muslime sind jetzt in der dritten Generation, die hier sehr selbstbewusst ist, die die Sprache sehr gut kennt, die das Bildungssystem kennt, die sich auch hier in dieses Bildungssystem integriert hat. Studierte junge Leute, die aktiv in der Gesellschaft sind und sich mitbeteiligen im Gesellschaftsleben. Da habe ich einen Vergleich gezogen und habe gesehen, dass das in einem sehr positiven Wandel ist momentan."
    Ist Gleichberechtigung unter Muslimen also gelebte Wirklichkeit in Deutschland?
    Derya Sahan: "Es wird zu einer gelebten Wirklichkeit. Momentan ist es noch nicht so. Aber ich bin voller Hoffnung, dass das mit den jungen Frauen, die jetzt aktiv sind, die auch ihre kulturellen Rollen hinterfragen, dass es mit diesen Frauen auch soweit kommen wird, dass diese Gleichberechtigung, dass diese islamische Gleichberechtigung auch umgesetzt wird."
    Mit einer Ehefrau ganz gut ausgelastet
    Dabei ist die Emanzipation der Frau, die Verwirklichung von gleichen Rechten und Chancen, ein Problem, das eigentlich nicht speziell den Islam betrifft - so wie überhaupt vieles, was am gelebten Islam in Deutschland kritisiert werde, kein spezifisch muslimisches, sondern ein allgemein gesellschaftliches Problem sei, betont Nina Prasch, Leiterin der Jungen Islamkonferenz in Berlin:
    "Ganz, ganz viele Themen, wie die Rollenverteilung in der Familie, wer das Einkommen für die Familie erwirtschaftet, wer die Handtasche trägt, das sind keine islamspezifischen Themen. Da ist es komplett falsch, die im islamischen Kontext zu diskutieren."
    Davon zu unterscheiden seien allerdings Ausprägungen, die sehr wohl islamspezifisch sind, zum Beispiel, "... dass der Mann im Islam - rein rechtlich - vier Frauen heiraten darf und die Frau das im Gegenzug nicht darf und was das für ein Rollenverständnis wiedergibt und wie sich junge Muslime heute zu so etwas positionieren sollten, wollen, können."
    Und wie sich zu solch einem strittigen Thema positionieren: "Also ich kenne niemanden, der mehr als eine Ehefrau hat. Und ich würde behaupten: Die meisten Männer sind mit einer Ehefrau ganz gut ausgelastet."
    "Bitte akzeptiert uns so, wie wir sind"
    Medizinstudentin Raniah El-Jezawi aus Dortmund ist stellvertretende Vorsitzende der "Muslimischen Jugend in Deutschland" - und hält die angesprochene Vorschrift für nicht mal im Entferntesten praxisrelevant. Sie werde vielmehr von Islamkritikern funktionalisiert.
    "Es wird gerne genutzt, um irgendwelche Ressentiments zu unterstützen. Klar muss die muslimische Gemeinschaft damit umgehen: Ist das situativ? Ist das angemessen? Aber das ist eine Situation, die nicht auf Öffentlichkeitsebene geführt werden kann, weil es eine wissenschaftliche Frage ist."
    Will heißen: Auch diese Regelung müsse im Kontext ihrer Entstehung gesehen werden - als Handlungsanweisung für die muslimische Gemeinschaft tauge sie nicht. Dass den Muslimen in Deutschland dennoch solche Fundstellen immer wieder um die Ohren gehauen werden, empfinden die Betroffenen als ungerecht. Dadurch, heißt es, würden alle belastbaren Erfolge in Sachen Gleichberechtigung konterkariert. Raniah El-Jezawi wünscht sich ...
    "...eine Gesellschaft, wo jeder erst mal sein darf, wie er sein will. Wir Muslime sind nur ein Teil davon, die sagen: Bitte akzeptiert uns so, wie wir sind. Und so lange sich jeder an die Regeln hält, die uns das Gesetz vorgibt, sollte jeder so sein, wie er möchte. Weil: Vielfalt ist eine Chance!"