Beherzt zieht Bronisław Talkowski die Holzbohle aus der Verankerung im Boden. Mit einer Taschenlampe beugt er sich über das entstandene Loch und leuchtet in den Hohlraum zu seinen Füßen. "Alles in Schuss", brummt der Spätfünfziger.
"Das ganze Gebäude ist aus Holz. Da muss man natürlich ständig nachbessern und sich drum kümmern. Es steht auch auf der Liste der nationalen Kulturgüter. Und der Staat bemüht sich darum, dass wir die ganze Substanz erhalten können."
Denn die ist eine Besonderheit im katholischen Polen: Scheunengroß, Giebeldach, zwei Ecktürmchen mit Halbmond darauf. Das komplett in grün gestrichene Gebäude ist die älteste Moschee Polens. Knapp 180 Jahre alt ist das Gebetshaus im Dörfchen Kruszyniany im ländlichen Nordosten Polens.
Hier leben seit Jahrhunderten die Tataren, eine kleine muslimische Minderheit, die ursprünglich von der Krimhalbinsel stammt. Im 17. Jahrhundert kämpfte diese auf Seiten der Adelsrepublik Polen-Litauen gegen das osmanische Reich, erzählt Dżemil Gembic, der Fremdenführer der Gemeinde.
"König Jan Sobieski hatte keine Geld, um die Tataren für ihre Dienste zu bezahlen. Also gab er Ihnen Land. Und so kamen 1679 die ersten 45 Familien hierher. In der Gegend um Vilnius leben sogar schon seit dem 14. Jahrhundert Tataren, die damals vor dem Bürgerkrieg geflohen sind."
In Anlehnung an diese Urtataren und ihre litauische Herkunft wird die Minderheit auch als Lipka-Tataren bezeichnet. Das Angebot des polnischen Königs war für seine Vorfahren äußerst verlockend, weiß Gembic zu berichten. Dżemil Gembic:
"Tataren bezahlten keine Steuern, aber jeder Familie musste einen berittenen Soldaten für die Armee stellen. Die Männer durften sich eine Einheimische zur Frau nehmen und ihre Kinder muslimisch erziehen. Dazu erhielten die Tataren die Namen und die Rechte von Adligen. Und deswegen haben wir hier wunderschöne polnische Namen: Murawski, Popwawski, Bogdanowitsch."
In den folgenden 350 Jahren assimilierten sich die Tataren, sie passten sich allmählich an die Mehrheitsgesellschaft an. Insgesamt leben heute rund 3000 polnische Tataren in der Region. Nur vier Kilometer vom Dorf entfernt beginnt Weißrussland, dort leben noch etwa 6000. Etwas weiter nördlich in Litauen 4000.
In Kruszyniany selbst sind nur noch drei tatarische Familien übrig. Das Zusammenleben mit den katholischen Nachbarn sei seit jeher friedlich, betont der Gemeindevorsitzende Bronisław Talkowski.
"Das ist nicht wie Saudi-Arabien, wo zum Nachmittagsgebet die Arbeit unterbrochen wird und die Autos anhalten. Das hier ist eine andere Wirklichkeit. Keiner stört oder streitet mit den anderen. Es gibt keine Probleme."
Überhaupt seien sie in erster Linie Polen, meint Talkowski. Nur mit einer andere Herkunft und Religion. Mit ihren "Glaubensbrüdern" im Nahen Osten würden Sie diese zwar teilen, doch ihre Werte seien polnische. Das sehe man auch an der Auslegung des Islams, erklärt der Gemeindevorsteher.
"Im Koran steht auch, dass sich Frauen züchtig kleiden sollen. Aber "züchtig" bedeutet in den Augen eines Arabers etwas anderes als in den Augen eines Polen. Vereinfacht gesagt sind es solche Unterschiede."
Diesen entspannteren Umgang mit sich und anderen will Gemeindevorsteher Talkowski hervorheben.
"So ist das bei den polnischen Tataren. Man kann sich beruflich und religiös frei entfalten und zusammenleben. Man kann an Weihnachten zu Katholiken gehen, zu Orthodoxen, zu Juden: oder sie zu sich nach Hause einladen. Es ist alles eine Frage des guten Willens und des gegenseitigen Verständnisses."
Doch nicht alle Polen sind so voller Verständnis. Ultranationalisten, die jegliche Form des Islams ablehnen schimpfen regelmäßig online gegen die "Terroristen". Alle paar Jahre kommt es auch zu Vandalismus an der Moschee in Kruszyniany. Zuletzt vor knapp zwei Jahren. Bronisław Talkowski nimmt es äußerlich gelassen. Konsensfähig sind die Tataren auch deshalb, weil die meisten selbst gegen die Zuwanderung von arabischen Muslimen sind. So will auch Bronisław Talkowski keine Flüchtlinge in seinem Dorf. Offiziell aus Platzgründen, sagt er. Andere Gründe nennt er jedoch auch.
"Das ist eine Frage der Kultur und des Temperaments dieser Leute, nicht der Religion. Die Religion verteidige ich: die Hilfe für Arme, Schwache, Frauen. Aber das was in Köln zum Beispiel passiert ist hat nichts mit der Religion zu tun. Das kommt aus der Kultur dieser Menschen, dass die so sind und nicht anders."
Seine Kritik ist dabei erstaunlich deckungsgleich mit der der polnischen Nationalisten. Auch sie wetterten nach Köln gegen die vermeintlich Frauen verachtende arabische Kultur. So wie der Parlamentsabgeordnete Selim Chazbijewicz, der immer wieder medial gerne gegen Flüchtlinge und Kopftuchträgerinnen poltert. Der umstrittene Politologe ist selbst Tatar.