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Islamfeindlichkeit
"Als Moslem in Sachsen - das ist kein Spaß"

Die AfD wurde in Sachsen bei der Bundestagswahl zur stärksten politischen Kraft. Dort leben nur wenige Muslime. Özcan Karadeniz vom Verband binationaler Familien ist einer von ihnen - und er erlebt offene Ablehnung. Immerhin: "Alles, was offen dargelegt wird, kann man aufgreifen", sagte Karadeniz im Dlf.

Özcan Karadeniz im Gespräch mit Susanne Fritz |
    Teilnehmer einer Veranstaltung der Pegida demonstrieren in Dresden
    Die islamfeindliche Pegida-Bewegung ist in Sachsen besonders stark (picture alliance/dpa/Arno Burgi)
    Susanne Fritz: Herr Karadeniz, sind Sie überrascht von dem Wahlergebnis und dem Erfolg der AfD in Sachen?
    Özcan Karadeniz: Ehrlich gesagt sind wir nicht überrascht von dem Wahlergebnis. Wir haben die Umfragewerte in den letzten Monaten und Jahren immer wieder verfolgt. Vor einem Jahr war es bereits so, dass die AfD mehr als 30 Prozent hatte. Wären damals Landtagswahlen gewesen, dann ständen wir in dieser Hinsicht noch sehr viel schlechter da.
    Fritz: Die AfD hat in Sachsen 27 Prozent der Stimmen bekommen. Inwiefern wird der Wahlerfolg dieser islamfeindlichen Partei das Alltagsleben der Muslime in Sachsen verändern?
    Karadeniz: In Sachsen leben 0,48 Prozent Muslime und gleichzeitig ist es so, dass nirgendwo in der Republik die Angst vor einer Islamisierung des Abendlandes größer ist als in Sachsen. Das muss man vorwegstellen. Inwiefern sich das Leben konkret ändern wird, das vermag ich nicht einzuschätzen. Es ist so, dass es bisher schon in weiten Teilen Sachsens kein Spaß war, als bekennender Moslem zu leben. Ich mag mir gar nicht ausmalen, inwiefern sich das ändern wird. Es kann alles beim Alten bleiben, es kann aber auch sein, dass menschenverachtende Haltungen sich noch mehr Bahn brechen und sich Menschen bestärkt fühlen durch die Wahlergebnisse und den vermeintlichen Rückhalt in der Gesellschaft und sich vielleicht zu ganz anderen Aktionen hingerissen fühlen.
    Es gibt Austausch, aber es gibt auch zur Schau gestellten Hass
    Fritz: Sie haben es gerade schon beschrieben: Es gibt sehr wenige Muslime in Sachsen. Trotzdem schildern Sie, dass es zu islamfeindlichen Aktionen gekommen ist. Wie war es denn in den vergangenen Jahren in Sachsen?
    Karadeniz: Ich kann auf meine persönlichen Erfahrungen verweisen und auf Erfahrungen, die aus meinem näheren Umfeld an mich herangetragen wurden. Die sind sehr ambivalent. Es gibt, wie anderswo auch, Menschen, die zugewandt sind, die interessiert sind, die wissen möchten, wie ein Austausch geht, die Kontakt haben möchten. Aber es gibt auch, und das ist anders als in anderen Teilen der Republik, sehr offen zur Schau gestellten Hass. Da gibt es Berichte von Menschen, die von jemandem auf dem Fahrrad im Vorbeifahren angespuckt worden sind, es gibt Berichte von Kopftuch tragenden Frauen, die aus der Straßenbahn gedrängt oder nicht hineingelassen wurden oder ähnliche Vorfälle.
    Fritz: Das ist sehr massiv, was Sie da schildern. Sie haben in Sachsen bei einem Präventionsprojekt mitgearbeitet, das sich mit Vorurteilen gegenüber muslimischen Männern befasste. Was hat das bewirkt?
    Karadeniz: Das Projekt läuft noch. Es ist über fünf Jahre angelegt. In dem Projekt geht es darum, dass wir mit Fachkräften arbeiten, mit Multiplikatoren und dass wir sie für bestimmten Themen wie antimuslimischer Rassismus, Geschlechterverhältnisse oder für gesellschaftliche Selbst- und Fremdbilder sensibilisieren und in diesen Belangen weiterbilden. Wir haben in der Vergangenheit einen sehr großen Wert auf interkulturelle Kompetenzvermittlung gelegt. Ich würde sagen, dass wir viele Menschen erreicht haben. Wie Sie sich denken können, ist es nicht so, dass sich rechte Überzeugungstäter in dieser Weiterbildung eingefunden haben. Aber für viele Menschen aus der gesellschaftlichen Mitte, die große Verunsicherung spüren, war es sehr hilfreich, bestimmte Themen ansprechen zu können, sie auch in einer Runde thematisieren zu können und durch die methodisch angeleitete Begleitung unsererseits da ein Stück mehr Sicherheit gewinnen zu können.
    Der verweigerte Handschlag und das Kopfkino
    Fritz: Welche Vorurteile gibt es gegenüber muslimischen Männern in Sachsen?
    Karadeniz: Ich glaube gar nicht, dass es so viel anders ist als im Rest der Republik. Es ist so, dass es in Sachsen offener zutage tritt als im Rest Ostdeutschlands. Das liegt daran, dass die Menschen hier viel offener mit ihren Vorurteilen umgehen. Das macht es für Menschen, die in der politischen Bildungsarbeit tätig sind, viel einfacher, denn alles, was offen dargelegt wird, kann man aufgreifen und bearbeiten.
    Fritz: Können Sie Beispiele nennen dafür?
    Karadeniz: Ich würde behaupten, ein Großteil der Erzieherinnen in den Kitas berichtet in der Weiterbildung davon, dass sie sich von muslimischen Männern nicht ernstgenommen oder respektiert fühlen. Viele Pädagoginnen berichten von ähnlichen Einschätzungen. Das ist für uns immer relativ interessant, denn neben den einzelnen Weiterbildungsinhalten schauen wir dezidiert auf das, was die Leute mitgebracht haben an Einzelfällen und gehen dem nach. Dann entstehen zum Teil ganz absurde Situationen. Dann stellt sich zum Beispiel heraus, dass ein muslimischer Vater eine Erkältung hatte und seine Bazillen nicht in der Einrichtung verstreuen wollte und deswegen der Frau nicht die Hand gegeben hat. Die Interpretation, die aber sofort angelegt ist, die sofort auf die Situation projiziert wird, ist die, dass der muslimische Mann der Frau nicht die Hand gegeben hat aus mangelndem Respekt oder aus religiösen Gründen heraus. Ich möchte das nicht pauschalisiert wissen, aber es gibt Fälle, in denen das Kopfkino eine große Rolle spielt, Verunsicherungen, die dann wechselseitig zu bestimmten Ereignissen führen.
    Özcan Karadeniz, ein junger Mann, blickt freundlich in die Kamera
    Özcan Karadeniz setzt sich für die muslimische Minderheit in Sachsen ein (Privat)
    Fritz: So wie Sie das schildern klingt das so, als ob da Missverständnisse eine Rolle spielen. Was verbindet man in Sachsen mit "dem" Islam ?
    Karadeniz: Ich bin kein großer Anhänger dieser Kontakthypothese, die weit verbreitet ist. Demnach bräuchte man nur ausreichend Kontakt mit bestimmten Personenkreisen, dann würden sich Vorurteile abbauen. Im Falle Ostdeutschlands oder speziell Sachsens habe ich meine Meinung ein Stück weit revidiert. Was sehr auffällig ist: Die Menschen haben so gut wie keine Kontakte zu Muslimen. Das heißt, alles was sie an Wissen und an Ängsten haben, speist sich aus der medialen Berichterstattung. Da muss man kritisch auf die Medienberichterstattung schauen, die ist beim Thema muslimische Männer auf negative Aspekte fokussiert.
    "Die Medien müssten über ihre Arbeit reflektieren"
    Fritz: Was müsste da passieren? Fehlt es an Aufklärung?
    Karadeniz: Das müsste man wahrscheinlich auf Peer-Ebene angehen. Eine generell größerer Grad an Bildung – also nicht an formaler Bildung, sondern an politischer Bildung – müsste in den Regelsystemen etabliert werden, also an Schulen. Ich finde, dass die Medienschaffenden ein Stück weit über ihre eigene Arbeit reflektieren müssten. Beispielsweise müssten sie sich vor Augen führen, welche Stereotype immer wieder reproduziert werden dadurch, dass der Fokus immer nur auf das Ungewöhnliche, das Negative gerichtet wird.
    Fritz: Wobei es da ja auch tatsächlich gibt. Es gibt radikale Tendenzen, die kann man nicht leugnen.
    Karadeniz: Das würde ich auch nicht leugnen. Aber es gibt auch radikale Tendenzen im Buddhismus, wie wir es gerade in Südostasien erleben. Wir haben definitiv ein Problem auch in Deutschland und unter den Muslimen, die in Deutschland leben. Aber wir haben auch ein sehr großes Problem mit Rechtsradikalismus in Deutschland. Die Amadeo-Antonio-Stiftung hat von 1990 bis 2015 187 Fälle gezählt, in denen Menschen getötet worden sind durch Rechtsextreme, aus rechtsextremen Gründen. Da würde ich gern sehen, dass das einen ähnlichen Raum erhält in der Sorge der Bürger, vonseiten der Medienschaffenden, aber auch in der Politik. Da fehlen mir ein bisschen die Relationen.
    Fritz: Was würden Sie vorschlagen, was würden Sie sich wünschen: Wie sollten Politik und Gesellschaft künftig auf Rechtsradikalismus reagieren?
    Karadeniz: Ich würde mir wünschen, dass nicht nur das Thema Rechtsradikalismus in den Fokus gerückt wird, denn das ist tatsächlich so, dass wir in Deutschland ein von vielen Teilen des anglo-amerikanischen Raums sehr abweichendes Verständnis haben. In Deutschland findet die Diskussion insbesondere um Rassismus meistens dahingehend statt, dass man das im Nationalsozialismus verortet oder im Apartheitsregime Südafrikas oder irgendwo in Ostdeutschland bei irgendwelchen Jugendlichen, die Baseball-Keulen schwingen und Bomberjacken tragen. Tatsächlich ist es aber so, dass mein Verständnis von Rassismus ein anderes ist. Rassismus ist ein gesellschaftliches Verhältnis, ein Verhältnis, das die Gesellschaft strukturiert, ähnlich wie bei Geschlechterverhältnissen. Wenn Sie sich das Thema Geschlechterverhältnisse anschauen, dann ist es so, dass Frauen nach wie vor im Schnitt 20 Prozent weniger verdienen als Männer und viele Berufszweige, in denen Frauen tätig sind, weniger Anerkennung genießen. Bei Rassismus müssen wir alle ein anderes Verständnis entwickeln. Rassismus bedeutet für viele Menschen, dass sie schlechtere Zugangschancen haben, dass Teilhabe verwehrt wird. Das ist für mich die Grundlage für das, was an Auswüchsen stattfindet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.